Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Tatortreinigung: „PRIL und AJAX sind zu wenig“

Juni 2024

„Der Tatortreiniger“ – eine Serie aus Norddeutschland, die diesen Beruf in unser Wahrnehmungsfeld gebracht hat. Dazu der Hauptcharakter Heiko Schotte, der sich als Gebäudereiniger auf das Reinigen von Tatorten spezialisiert hat und bei seiner Arbeit in irrwitzige Situationen mit Hinterbliebenen und Bekannten der Mordopfer gerät. Aber wie sehr entspricht diese Darstellung dem alltäglichen Knochenjob, den ein Tatortreiniger tatsächlich zu erledigen hat? 

Dass die tatsächliche Arbeit völlig anders aussieht, bestätigt uns Silvia Schneider im Gespräch. Sie führt als einzige ausgebildete Desinfektorin und Tatortreinigerin in Vorarlberg ein Ein-Frau-Unternehmen, das sich auf dieses Gebiet fokussiert hat.
Silvia Schneider hat eigentlich ganz etwas anderes gelernt: Als CNC-Technikerin hat sie bei so namhaften Unternehmen wie Grass, Presta, Doppelmayr oder Amann Girrbach gearbeitet, bis es sie in die Schweiz gezogen hat. Nach 18 Jahren in dieser Branche „hatte ich einfach keine Lust mehr, dauernd das Gleiche zu machen“, erklärt sie. Zur selben Zeit beging ihr damaliger Lebensgefährte Suizid. Jetzt war ein Tatortreiniger gefragt, den sie auch fand. „Der Reinigungstrupp kam mit vier Personen, die Reinigung war dürftig“, so Schneider. Und ergänzt: „Nicht einmal in den Kühlschrank haben sie geschaut, ob die Ware verdorben ist.“
Kurz darauf ein erneuter Schicksalsschlag: Sie erkrankte an Gebärmutterkrebs, der streute. Es folgten Behandlung, Notoperation und Reha. In dieser Zeit reifte in ihr der Entschluss: „Ich will etwas Neues machen.“ Bereits seit dem Tod ihres Lebensgefährten hatte sie der Gedanke, den Beruf einer Tatortreinigerin zu ergreifen, nicht mehr losgelassen, da sie sich auch über die Unprofessionalität des damaligen Putztrupps geärgert habe. „Und teuer war das Ganze auch noch.“

Ausbildung mit Biss
So absolvierte sie die Meisterausbildung für Denkmal-, Fassade- und Gebäudereinigung in der Steiermark und in Wien. In München erfolgte die Ausbildung zum Desinfektor an der Asklepios Klinik. „Das war eine sehr fordernde Zeit, da die Inhalte sehr komplex und komprimiert waren: Bakterien, Viren, Chemikalien, griechische, lateinische Begriffe, es war von allem viel dabei“, erinnert sie sich. In einem letzten Schritt erlernte sie dann das eigentliche Handwerk der Tatortreinigerin in Frankfurt. 
Damit avancierte Silvia Schneider zur einzigen ausgebildeten Tatortreinigerin in Vorarlberg. Sie weist in diesem Zusammenhang auf eine österreichische Besonderheit hin: „Bei uns kann jeder als Tatortreiniger arbeiten. Aber mit einer Flasche PRIL oder AJAX ist es eben nicht getan.“ Um den Job gut zu machen, bedürfe es vieler Grundkenntnisse, nicht nur was die Reinigung betrifft. Auch das Wissen um die chemischen Abläufe, die beispielsweise bei einem Verwesungsprozess schon nach kurzer Zeit eintreten, ist unverzichtbar. „Da reicht ein bisschen Schrubbern und Wischen bei Weitem nicht aus“, erklärt sie. 2018 erfolgte dann die Gründung ihres Einzelunternehmens.
Zu ihrer eigenen Arbeitskraft beschäftigt Schneider auch Subunternehmen, meint aber, dass es nicht leicht sei, geeignetes Personal zu finden. Sie fordert bei Bedarf Arbeitswillige bei anderen Reinigungsunternehmen an, das Problem sei, dass „manche nach kurzer Zeit auf Nimmerwiedersehen verschwinden.“ Und dann stehe sie wieder alleine da, obwohl sie gut zahle. 
Ob sie ihr Job belaste, wollen wir wissen. Nein, kommt die Antwort schnell und entschlossen. Aber wenn Mitarbeitende in der Nacht deswegen nicht mehr schlafen könnten, lege sie ihnen nahe, es lieber zu lassen. Arbeit und Privatleben müsse man gerade in ihrem Metier strikt trennen.

Todesfälle, „Animal Hoarding“, Spezialreinigung
Aber was macht eine Tatortreinigerin überhaupt. „Zum einen bin ich nach Todesfällen gefragt, wenn es darum geht, den Tatort zu desinfizieren und wieder bewohnbar zu machen. Das sind Suizide, natürliche Todesfälle, aber auch Mordfälle“, erzählt sie aus ihrem Arbeitsalltag. Daneben räume sie aber auch „Messi“-Wohnungen aus oder sei zur Stelle, wenn ein Fall von „Animal-Hoarding“ auftrete. In einem Fall habe sie ein Haus mit über 50 Katzen geräumt. Daneben erledigt sie aber auch weniger spektakuläre Jobs wie Geruchsneutralisation, Schimmelbeseitigung und vieles mehr.
Wie sie denn zu ihren Aufträgen kommt? Das sei unterschiedlich, meint sie. Diverse Bestattungsunternehmen, aber auch die Polizei hätten ihre Nummer, die sie dann an die Hinterbliebenen weitergeben. In den meisten Fällen seien diese Menschen froh, wenn eine „Problemlöserin“ rasch und unbürokratisch zur Seite stünde. „Die Leute haben in solchen Situationen andere Sorgen, als sich um die Reinigung und Desinfektion der Tatorte zu kümmern“, zeigt sie sich mitfühlend. Deshalb verlaufe auch die Zusammenarbeit mit diesen Personen meist in einer positiven Atmosphäre, gerade wenn das nach langen „Liegezeiten“ etwas dauern könne.

Lange „Liegezeiten“
Die längste „Liegezeit“, bei der Schneider gerufen wurde, waren acht Wochen. In dieser Zeit werde der Körper schwarz und löse sich auf. Die Körperflüssigkeiten diffundieren in den Boden, in solchen Fällen sei die Reinigung und Desinfektion sehr aufwändig. „Hier mussten wir eine Kernsanierung machen, was nur mit schwerem Gerät möglich war“, so Schneider. Unterstützung erhielt sie dabei von Subunternehmern. Bis die Baufirma dann das desinfizierte Gebäude sanieren konnte, vergingen zwei Monate. 
Warum es so lange „Liegezeiten“ gibt? „In obigem Fall war das Einfamilienhaus abgelegen und es gab keine engen Angehörigen“, erklärt die Tatortreinigerin. In anderen Fällen komme es jedoch vor, dass Menschen in Mehrfamilienhäusern und Wohnblöcken mehrere Wochen lang verwesen, ohne bemerkt zu werden. In einem Fall sei eine Leiche vier Wochen nicht entdeckt worden, die anderen Parteien hätten den Geruch mit einem „Wechsel des Parfums“ erklärt. Silvia Schneider hat eine andere Erklärung: „Vielfach wollen Menschen nichts mit der Polizei zu tun haben, denn eine Meldung erfolgt ja meist über diese Stelle.“ Und fordert von allen ein gewisses Maß an Zivilcourage, um eine so lange „Liegezeit“ zu vermeiden. Denn die habe ja mitunter gravierende Auswirkungen auf alle Parteien.

FFP 3-Outfit
Rückt also die Tatortreinigerin alleine oder im Team an, so ist es nicht damit getan, normale Arbeitskleidung zu tragen. Vielmehr sind FFP 3-Ganzkörperanzüge mit Kapuze, Brillen, FFP 3-Masken und entsprechende Handschuhe und Füßlinge zu tragen, um eine Infektion zu vermeiden. Mit dieser Ausrüstung sei eine Arbeitszeit von maximal fünf Stunden realistisch. „Danach bist du streichfähig“, beschreibt Schneider ihren Arbeitsalltag. Außerdem sei es nicht möglich, länger als 40 Minuten mit einer FFP 3-Maske zu arbeiten. „Sie haben einen Kohlefilter, der Viren und Bakterien absorbiert. Dieser Filter ist nach 40 Minuten verbraucht, die Maske muss ausgetauscht werden.“ 
Das alles klingt nach einem harten, anspruchsvollen Job. Warum Silvia Schneider immer noch als „Tatort- und Spezialreinigerin“ ihre Brötchen verdient? „Weil ich dafür brenne. Ich sehe mich als Problemlöserin, die Menschen professionell und unbürokratisch helfen kann“, so ihre einleuchtende Motivation. 
www.schneider-desinfektion.at

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.