Peter Hämmerle

* 1957 in Lustenau, BWL-Studium WU Wien; beide Großväter waren Maschinenbauer, beide Großmütter Wirtstöchter, über Letztere kamen das Hobby Kochen und der Beruf: freier Journalist und Fotograf für Essen, Trinken, Reisen. Bücher über Käse, Essig etc., Chef­redaktion „Frisch gekocht“, viele Jahre Ausrichtung der Destillatprämierungen für A la Carte und Falstaff. 2016 von Wien ins Ländle, samt Frau und dreier noch schulpflichtiger Kinder.

Über das ebenso entbehrungs- wie erfolgreiche Leben des Senners und Älplers Konrad Troy

Dezember 2020

Erst vor wenigen Wochen nahm der Bregenzerwald Abschied von einem seiner herausragendsten Senner. Konrad Troy vertraute auf die althergebrachte Methode des Sennens mit Gepsen. Wohl entspricht das in keiner Weise den heute gerne vertretenen Ansichten von Lebensmittelhygiene, Standardisierung und risikolosem Workflow. Für die Anhänger von Gepsen­käse allerdings gibt es nichts Besseres. Hilfreich bei der Herstellung dieser Delikatesse ist vor allem eines: eine gute Nase. Und die hatte Konrad Troy.

Es half nichts. War die Zeit wieder gekommen, im Mai also, und die Kühe von ihren zwölf Eigentümern wieder auf das Vorsäß Hammeratsberg/Eggatsberg getrieben, musste auch der Senn Kind und Kegel packen und dorthin nachreisen, üblicherweise für vier Wochen, danach weiter auf die Alp und im Herbst in umgekehrter Reihenfolge retour. Konrad Troys Jahresablauf unterschied sich nur unwesentlich von jenem anderer Älpler und Senner, die im Rhythmus der sogenannten dreistufigen Alpwirtschaft mit dem Vieh dorthin ziehen, wo gutes Gras wächst. Was Konrad Troy jedoch von den anderen unterschied, waren seine Genauigkeit und Disziplin. Die Kompromisslosigkeit, mit der er dem Käse jeden Vorrang einräumte, selbst gegenüber Frau und Kindern, war ebenso bekannt, wie die Erfolge, die seine Käse bei Prämierungen errangen. Gleichzeitig war er einer der genügsamsten und bescheidensten Menschen. Das bescheinigt ihm Maria Vögel, eine Seelenverwandte in Sachen Käse. Er lieferte den guten Käse, sie verkaufte ihn in ihrem kleinen Laden in Schwarzenberg.
Konrad Troys Alpe war über Jahre die Untere Falz bei Schetteregg. Die Alpe Isewart, nur ein wenig höher gelegen, übernahm ab 1992 der damalige Kunstgeschichtestudent und heutige Performer Anton Sutterlüty für einige Jahre als Senn. Troy und Sutterlüty lernten einander während dieser Zeit kennen und schätzen. Anton Sutterlütys Käsekeller in der Wiener Grünangergasse ist eine der Folgen aus dieser Zeit. Es sind vorwiegend Gepsenkäse von der Alp, die dort ihre Jugend hinter sich lassen. Das Sennen mit Gepsen, das hat Sutterlüty von Troy gelernt, und er ist heute einer der größten Anhänger solcher Käse. Auf seiner Homepage schreibt Anton: „Konrad Troy trägt eine wesentliche Verantwortung dafür, dass eine gewisse kleinteilig strukturierte Käseproduktion im Mittleren Bregenzerwald die 70er und 80er Jahre überlebt hat.“ Dazu Stefan Gruber, auch er Wahlwiener und Käsehändler: „Gepsenkäse war immer eine meiner großen Leidenschaften.“
Die Gepse – ob mit b oder p geschrieben – ist ein flacher, runder Holzzuber von etwa 60 Zentimetern Durchmesser. Vielen ist sie heute nur geläufig, weil sie sich so putzig als Serviergefäß für Käsknöpfle eignet. In der Geschichte der Alpkäse jedoch hat sie einen großen Stellenwert. Traditionell wurde die Milch, die die Bauern am Abend zur Sennerei brachten, in diese Holzformen geleert und blieb darin über Nacht stehen, ungekühlt. Auf diese Weise reagierte die Milch mit den Milchsäurebakterien, deren wohlgepflegtes Habitat eben das Gepsenholz ist, und begann zu „reifen“. Wetter, Temperatur und die Qualität der Bergwiesen waren die anderen Parameter, die die Qualität des Käses bestimmten, weshalb etwa Stefan Guber vom Gepsenkäse als einem Abbild des jeweiligen Mikroklimas spricht.
Am nächsten Morgen entrahmte der Senn die Abendmilch und hatte Gelegenheit, über Geruch und Geschmack der Milch den weiteren Käsereiprozess auszuloten. Anton Sutterlütty über Konrad Troy: „Er wusste in der Früh beim Betreten der Sennküche alleine anhand des Geruchs, was in den nächsten Stunden zu tun war.“ Dann nämlich wurde die Früh- mit der Abendmilch vermählt, leicht erhitzt und mittels aus Kälbermägen gewonnenem Lab zum Stocken gebracht.
Zwei Dinge kennzeichnen das Käsen mit Gepsen besonders: Der Verzicht auf industriell erzeugte Mikroorganismen sowie die Führung des Käsereiprozesses weitgehend anhand von Erfahrung und Geruch. Das birgt eine große Chance auf feinen Käse, aber auch ein Risiko. Viele junge Senner trauen sich das leider nicht mehr alleine zu und werden von Milchwirtschaft und Kammer eher dazu angehalten, auf Edelstahl, Kühlung und Standardkulturen zu setzen. Aromatische Vielfalt und das Potential zur Reifung wird man jedoch viel eher im Gepsenkäse finden, davon jedenfalls ist Maria Vögel überzeugt.
Das Käsemachen mit Gepsen ist eine ehemals sehr verbreitete Technik, die insbesondere bei der Erzeugung von Sauermilchkäse einmal unerlässlich war. Heutzutage wird dieses Verfahren jedoch nur noch selten angewandt, vorwiegend auf Alpen. Im Montafon benützt kaum noch jemanden Gepsen – die man dort übrigens Brenta nennt. In der Schweiz, von wo letztlich all unsere tradierte Käsereitechnik stammt, beschränkt sich die Gepsenkäserei auf nur mehr wenige Alpen und das wohl meist aufgrund mangelnder technischer Ausstattung. Willi Schmid von der Sennerei Lichtensteig/CH sieht die Verwendung von Gepsen sogar ein wenig kritisch. Seiner Wahrnehmung zufolge können solche Käse im Alter unruhige, oxidative Noten entwickeln.
Im Bregenzerwald ist Robert Troy, ein Neffe von Konrad, einer der wenigen, die noch beharrlich oder vielmehr von Neuem auf Gepsenkäse setzen und diesen nicht nur z’Alp machen. In Egg-Messmerreuthe hat er sich einen eigenen Reifekeller gebaut. Robert gesteht aber auch ein, dass ihm die Aufrechterhaltung dieses Verfahrens nur möglich ist, weil sein Vater Sepp ihn unterstützt.
Konrad Troy, auch das gehört zu dieser Erzählung, ist zu einer Zeit aufgewachsen, als die Familie eines Senners nur wertlose Randstücke vom Käse zu probieren bekam. Intakte Käselaibe waren heilig und für den Verkauf bestimmt. Dennoch hat dieser Mann Nase und Gaumen in einer Weise geschult, dass er zu einem der besten Käser im Bregenzerwald aufstieg. Man sagt, er wäre eigens auf Alpen geholt worden, wenn es Probleme beim Käsen gab, denn er konnte alleine anhand des Geruchs der Milch einer Kuh erkennen, ob das Tier ein gesundes Euter hatte oder eben nicht. Das ist gleichermaßen das größte Erbe, das Konrad Troy hinterlässt: Neben Konsequenz und Sauberkeit, ist es vorrangig die Nase, die die Entstehung vielschichtiger Käse ermöglicht, die auch zur Reifung taugen. Man muss die Nase nur etwas schulen – und ihr vertrauen.

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