Peter Hämmerle

* 1957 in Lustenau, BWL-Studium WU Wien; beide Großväter waren Maschinenbauer, beide Großmütter Wirtstöchter, über Letztere kamen das Hobby Kochen und der Beruf: freier Journalist und Fotograf für Essen, Trinken, Reisen. Bücher über Käse, Essig etc., Chef­redaktion „Frisch gekocht“, viele Jahre Ausrichtung der Destillatprämierungen für A la Carte und Falstaff. 2016 von Wien ins Ländle, samt Frau und dreier noch schulpflichtiger Kinder.

Die sieben Ingenieure und ihr Pool

Juli 2021

Dies ist eine Geschichte über Artur Doppelmayr und seine spontane Eingebung, nach Abschluss des Studiums einen Freundeskreis zu gründen mit Vorarlberger Absolventen der TU Graz und deren Frauen, der ein Leben lang halten sollte. Die Rückschau auf diese Ereignisse eröffnet einen erhellenden Blick in ein Zeitfenster der 1950er- bis 1980er-Jahre.

Es war 1954, Artur Doppelmayr war nach dem Studium an der Technischen Universität Graz zurück nach Wolfurt gekommen und fragte sich, wie die alten Bande aus der Studienzeit wohl am besten zu nutzen wären. Er gründete den „Ingenieur-Pool“, deren erster Präsident er werden sollte. Zu Beginn bestand der Pool aus sieben Diplom-Ingenieuren, die sich eine Satzung verpassten, der es gewiss nicht an Ernsthaftigkeit mangelte. Es galt, den Zweiten Weltkrieg, den sämtliche Gründungsmitglieder aktiv miterlebt hatten, hinter sich zu lassen und sein wirtschaftliches und privates Glück in einer gesellschaftlich und wirtschaftlich traumatisierten Welt zu suchen. Es ging um nichts weniger als um die Eroberung der Welt – und die stand für die nächsten Jahrzehnte so offen, wie das davor und danach kaum je der Fall war. Wenngleich, der Weg der Konquistadoren verlief nicht immer linear, beispielhaft die Universitätslaufbahn des Günter Schelling, der das alles eigentlich gar nicht vorhatte.
Der Krieg und die damit verbundenen Erlebnisse sollten kein Thema mehr sein für diese jungen Männer. Man wollte den überstandenen Horror hinter sich lassen, koste es, was es wolle, und es wurde schlicht und einfach nicht mehr darüber gesprochen – welchen Preis dieses Schweigen schließlich forderte, weiß niemand. Was die Poolfreunde darüber hinaus verband, war der Wunsch nach Auseinandersetzung mit Gegenwart und Zukunft, das Erkennen-wollen und Beurteilen-können neuer technischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungen.
Man wollte füreinander da sein und war sich wohl gewahr, dass man eine kleine, feine Elite bildete, einen Bund maßgeblicher Entscheidungsträger im damaligen Vorarlberg. Und man sah sich sehr wohl auch der Gesellschaft verpflichtet und brachte das nicht nur unter Punkt 2.) d) der Pool-Satzungen zum Ausdruck – „Zusammenarbeit im Dienste der Volkswirtschaft, insbesondere unserer engeren Heimat“ – sondern hinterließ am Ende auch eine sehenswerte Bilanz. Dazu gehört nicht nur der Aufbau von Unternehmen wie Doppelmayr, der IMA Schelling oder Head Kennelbach, sondern auch das Wirken von Günter Schelling als TU-Rektor in Graz und als Initiator der Fachhochschulen in Österreich oder Rainer Reichs erfolgreicher Kampf um den Verbleib der Illwerke im Eigentum des Landes Vorarlberg sowie Rudl Amanns Zeit als Rankweils Bürgermeister. Zu diesen Meriten zählte nicht zuletzt die konsequente Lehrlingsausbildung in den Betrieben Doppelmayr, Hämmerle, Head und Schelling.
Ihren Anfang nahmen viele dieser Erfolge in einem Extrazimmer des Gasthauses Schäfle in Hohenems. Dort versammelten sich die Poolmitglieder jeden ersten Samstag im Monat um 20 Uhr c.t. Wer 15 Minuten zu spät kam, das regelten die Satzungen, hatte eine Pönale von 10,- Schilling zu berappen. Sich einfach zu entschuldigen wurde nicht akzeptiert, dann waren 20,- Schilling fällig. Jeweils ein Vortragender gestaltete den Abend zu einem zuvor akkordierten Thema. Den Anstrich eines Debattierklubs brauchte man gar nicht erst zu vermeiden, weshalb noch am gleichen Abend ein genaues Protokoll erstellt wurde – das man im Übrigen bis zum nächsten Treffen beeinspruchen konnte – und es wurde, darauf legte man Wert, ausschließlich auf Hochdeutsch gesprochen. „Im Pool ischt as scharf zuaganga. Und wehe oanar heät dm andro driegredat“, erinnert sich Günter Schelling – der noch ein ausgesprochen schönes Dorabirarisch pflegt und damit offenbar auch in seiner aktiven Zeit bei Gesprächen in Ministerien etc. nicht hinter dem Berg hielt: „I häan eana nünt g’schänkt, do Wieanar.“ Das Vorarlberger Idiom fand hinter der edlen hochdeutschen Inszenierung also doch noch sein Ventil.
Für Bodenständigkeit musste auch bei der Verpflegung gesorgt sein. Ein großer Korb mit Pärle galt als unabdingbar, wenn nach getaner Arbeit „Leberle“ und „Würschtle“ aufgetischt wurden. Den Inhalt des Korbs bewältigten nach übereinstimmenden Aussagen Werner Hämmerle und Rainer Reich quasi im Alleingang. Nicht undenkbar, dass dies eine Prägung durch die Kriegsjahre war oder aber nichts weniger als Feinschmeckerei – Günter Schelling schwört heute noch auf Pärle aus dem Unterland, „im Montafon“ so seine gewohnt scharfe Analyse, „verwenden die Bäcker nicht einmal das richtige Mehl dafür.“
Man darf ohne Weiteres davon ausgehen, dass die Mitglieder des Pool einem kultivierten Patriarchat entstammten und einige, aber nicht alle, recht gläubig waren. Ideologisch lag man folglich nicht sehr weit auseinander. Dennoch gab es Sollbruchstellen. Die aufkommenden Wirtschaftstheorien des Neoliberalismus etwa entzweiten die Antipoden Franzjörg Schelling als Anhänger der Kräfte des freien Marktes und andererseits Rudl Amann, der für die Gesellschaft andere, hehrere Ordnungskräfte einforderte. Es war damals gewissermaßen modern geworden, sich mit allerlei Theorien zu schmücken. Ein stehender Satz von Artur Doppelmayr begann so: „Meine Theorie ist …“ Auch wer Begriffe wie Management oder Sex-Appeal in die Konversation einwob, konnte wenig falsch machen, denn damit lag man erkennbar am Puls der Zeit.
Über theoretische Diskurse hinaus, prägte das patriarchische Prinzip auch die Familien der Poolmitglieder. Oder wie es Gerda Reich, eine gelernte Volksschullehrerin, formuliert: „Für uns Frauen war klar, dass wir uns um die Kinder und den Haushalt kümmern, anders wären Karrieren, wie unsere Männer sie machten, undenkbar gewesen, weil sie geschäftlich so viel unterwegs waren oder so lange Arbeitstage hatten.“ Das bedeutete keineswegs, dass sich die Pool-Frauen auf ihren Platz am Herd beschränkten. Vielmehr haben sie sich von Anfang an stark eingebracht. Was nicht nur daran lag, dass die Satzungen ausdrücklich familiär-gesellschaftliche Zusammenkünfte förderten, sondern auch daran, dass unter den Frauen enge Freundschaften entstanden, von denen manche über Jahrzehnte anhielten oder wie im Fall von Eugenie Neururer und Gerda Reich trotz der Distanz zwischen Ulm und Bregenz bis heute pfleglich bewahrt werden. Die beiden Frauen wirken in ihren Erzählungen mindestens ebenso verbunden mit dem Pool wie die letzten beiden noch lebenden männlichen Mitglieder: Günter und Franzjörg Schelling, die zwar gleich heißen, aber nicht verwandt sind. „Es ist eine lebenslange, schöne Freundschaft geworden“ sagt Eugenie nicht ohne Rührung. Dabei hatte Günter genau das einst wörtlich angekündigt, als er das Ehepaar Reich zu Beginn der 60er als die Letzten einlud, dem Pool beizutreten: „Eine Freundschaft bis ans Lebensende.“ Damals empfand Gerda die Ankündigung Angst einflößend, heute ist sie froh darüber, dass es so und nicht anders gekommen ist.
Die oftmalige Abwesenheit der Männer in den Familien hinterließ Spuren. Mehrere Ehen überlebten das nicht, und auch die Kinder kamen nicht selten zu kurz, jedenfalls hinsichtlich der Väter. Möglicherweise war das den Vätern selbst gar nicht bewusst, vermutlich hatten sie es in den Wirren der Jahrzehnte davor selbst nicht anders erfahren. Es galt immerhin, die schlimmen Jahre und den hohen Arbeitseinsatz zu kompensieren, der Fokus lag daher bisweilen eher auf dem großen Schein neuer Autos etc. als auf sozialer Kompetenz, ist ja auch verführerischer – und vor Eitelkeit und Neid war auch der Pool trotz großer Verbundenheit keineswegs gefeit.

 

Pool Vitae

DI Rudolf Amann 

Rankweil, 1925 – 1986, drei Kinder mit Marlis. Besaß großen Installationsbetrieb; Bürgermeister von Rankweil 1964 – 1978; war nach Konkurs für die Illwerke tätig. Fand nach Marlis‘ frühem Tod ein spätes Glück mit Annie; starb mit nur 61 Jahren beim Sturz auf einer vereisten Stiege.

DI Dr. Herbert Bader 

Hittisau, 1926 – 2013, zwei Kinder mit Gretl. Ein begnadeter Skirennläufer. Geschäftsführer bei Mäser/Elastisana, gemeinsam mit Poolkollege Werner Hämmerle Geschäftsführer bei Kästle. Aufbau von Head Europa. Sanierung von Saniped im Südburgenland. Konkurs mit der Wiener Firma seiner Frau, Belvedere (Krawatten, Dirndlstoffe). Memoiren: „Ein Topmanager erinnert sich.“

DI Dr. Artur Doppelmayr 

Wolfurt, 1922 – 2017, vier Kinder mit Inge, die heute in Bregenz lebt. Ab 1955 in der Firma seines Vaters Emil; machte die Firma dank seines verkäuferischen Talents zu einem internationalen Player; noch mit 75 Jahren Promotion an der TU Graz; 1992 Übergabe der Firmenführung an Sohn Michael; wurde ab 2001 aus dem Aufsichtsrat ausgeschlossen.

DI Werner Hämmerle 

Lustenau, 1927 – 1972, zwei Kinder mit Traudi (geb. Doppelmayr). Entwickelte Maschinen zur Skiherstellung, Pistenraupen und automatische Vakuumverpackungsmaschinen; Mitte der 60er gemeinsam mit Poolkollege Herbert Bader Geschäftsleitung von Kästle; nach 1967 auf testamentarischen Wunsch seines Schwieger­vaters Emil Doppelmayr hin Gesellschafter und gemeinsam mit Artur Geschäftsführer von Doppelmayr, ebenso technischer Leiter; die Firma Hämmerle Maschinenbau ging zehn Jahre nach seinem Tod 1982 mit über 160 Beschäftigten in Konkurs.

DI Eugen Neururer 

Weiler, 1930 – 2020, drei Kinder mit Eugenie, seiner Jungendliebe aus der Heimat, die heute noch in Ulm wohnt, wo beide über 40 Jahre lebten. Eugen Neururer war technischer Leiter der LKW-Sparte bei Mercedes. Er war Gründungsmitglied und wesentlicher Archivar des Pool.

DI Josef Pritzl 

Feldkirch, 1926 – 2001, hatte drei Kinder mit Gerdi, die heute in Feldkirch lebt. Erste Jahre bei Installationen Keck; gründete sein eigenes Installationsunternehmen, das heute nicht mehr besteht. Wird von Pool-Kollegen als bescheiden aber clever beschrieben.

DI Dr. Reiner Reich 

Landeck, 1931 – 2020, drei Kinder mit Gerda, die heute noch in Bregenz lebt. Ab 1965 bei der Vorarlberger Kraftwerke AG; Wechsel zu Vorarlberger Illwerken, zuletzt bis 1993 Vorstandsvorsitzender; sein Verdienst ist die juristische Durchsetzung des Heimfallsrechts gegen die deutschen Miteigentümer und der Verbleib der Illwerke im Eigentum des Landes Vorarlberg.

DI Franzjörg Schelling 

Schwarzach, 1936, drei Kinder mit Marlen. Vorsitzender der Jungen Wirtschaft, Präsident der Vorarlberger Industriellenvereinigung; baute den väterlichen Hersteller von Tischlereimaschinen zum Weltmarktführer für Maschinen zur Plattenzerteilung aus; verlor seinen Betrieb 1996 durch die Ränke eines Mitarbeiters an diesen, mit anschließendem Privatkonkurs; fand seinen Frieden durch die Veröffentlichung von: „Vorarlbergs größter Wirtschaftskrimi mit gutem Ausgang“. Lebt heute noch neben seiner alten Firma in Schwarzach.

DI Dr. Univ. Prof. Günter Schelling 

Dornbirn, 1923, verheiratet mit Gerda (†2007); studierte Vermessungswesen; ab 1955 Assistent für Photogrammetrie und Fernerkundung in Delft; führte 25 Jahre lang die Vermessungsabteilung der Illwerke; ab 1981 Universitätsprofessor für Geodäsie und Photogrammetrie an der TU Graz; später Dekan und Rektor, als Präsident des Fachhochschulrates maßgeblich verantwortlich für die Struktur und Qualität der Fachhochschulen. Lebt seit vielen Jahren in seinem Haus in der Schrunser Montjola.

 

 

Als Kind war der Autor dieser Geschichte gelegentlich bei Treffen mit Familienanhang. Beliebt waren etwa die jährlichen Ausflüge zum Spargelessen nach Trübbach (CH). Seine lebhafteste Erinnerung an den Pool hat er, damals 14-jährig, an ein Treffen im Jahr 1971 im Haus von Günter und Gerda Schelling bei Schruns. Die pointierten und intelligenten Gespräche der Herren Diplomingenieure, ihr feinsinniger und kultivierter Witz, das hinterließ mehr als einen bleibenden Eindruck. Diese Runde sprühte vor Energie, Geist und Freude.
Die Karrieren der Herren verliefen unterdessen auf ganz unterschiedliche Weise. Der Boom der Nachkriegsjahre bot einiges an Möglichkeit, doch nicht immer verlief die Entwicklung nachhaltig oder so schier unaufhaltsam wie bei Doppelmayr. Das Risiko des Unternehmertums bezahlten nicht wenige mit Insolvenz oder Schlimmerem. Für Werner Hämmerles Herz etwa war das gewaltige Arbeitspensum durch die vielen verschiedenen Jobs und Ämter, zu denen er sich im Laufe der Zeit bereit erklärt hatte und die schieren Mengen an Kaffee und Zigaretten, die damit einhergingen, letztlich zu viel. Er starb 1972 im Alter von nur 44 Jahren, ohne dass sich das für das Umfeld irgendwie ankündigt hätte. Zehn Jahre später wurde die Firma Hämmerle zur Gänze liquidiert. Da half es auch nicht, dass die Poolmitglieder Doppelmayr und Bader über Jahre im Beirat der Firma gesessen hatten. Für Rudl Amann, so vermuten seine Kollegen, war sein langjähriges Amt als Bürgermeister ein Stolperstein zur Insolvenz und für Franzjörg Schelling mündete „der größte Wirtschaftskrimi Vorarlbergs“ nicht nur in den Konkurs seiner Firma, sondern auch in die Privatinsolvenz. Nach vielen erfolgreichen Sanierungen ereilte auch Herbert Bader die Insolvenz der Firma seiner Frau, der Krawatten- und Dirndlstoffefirma Belvedere in Wien, bei der er mithaftete. „Ich kann dennoch zufrieden zurückblicken und behaupten, dass ich heute besser schlafe“, resümiert Franzjörg Schelling seinen beruflichen Werdegang, in welchem er sich für das Liberale Forum und die Industriellenvereinigung kurz auf die politische Bühne begab.
Bis auf das Gründungsmitglied Raimund Melchiori, der 1961 nach Kanada auswanderte und auf Artur Doppelmayr, der in den letzten 20 Jahren seines Lebens bekanntlich sämtliche Verbindungen zu Familie und Freunden kappte und damit auch im Pool nicht mehr wohlgelitten war, blieben sämtliche andere Poolmitglieder bis zuletzt miteinander verbunden. Es ist die Geschichte einer einzigartigen Freundschaft, wie sie vermutlich nur unter diesen speziellen Bedingungen und aufgrund der besonderen Charaktere vieler Mitglieder so lange erhalten bleiben konnte.

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