Martina Strolz

* 1971 in Bregenz, Ausbildung zur Grafikerin in der Werbeakademie in Wien, Agenturjobs in Wien und Bregenz, danach selbstständige Grafikerin. Seit 1998 unterstützende Tätigkeiten im Gastronomiebetrieb ihres Mannes, zwei Kinder, lebt in Lochau und Lech.

(Foto © Roswitha Schneider)

Als ob du jetzt ein Buch schreibst!

Dezember 2017

Ich kann den Zeitpunkt nicht mehr genau definieren, wann sich in mir der Wunsch manifestiert hat, ein Buch zu schreiben. Es war jedenfalls in meinen Zwanzigern. Hätte ich damals tatsächlich schon geschrieben, wäre es wohl ein sehr dramatischer Roman geworden. Nach Sinn schürfend und vor Pathos triefend. Gut, dass daraus nichts geworden ist. Der Plan aber ist immer geblieben. Der Plan, es „irgendwann einmal“ zu tun. Wenn die Umstände besser passen. Wenn die momentanen Klippen umschifft sind. Wenn die Sachen X, Y und Z erledigt sind. Dem Irgendwann-Wunsch ist irgendwann die Zeit entglitten.

Wenn einem das Kreative in die Wiege gelegt wird, kann man Vieles tun. Aus der Masse heben möchte ich mich dennoch nicht. Man kann im Gegenzug dafür Vieles auch gar nicht tun. In meinem Fall zum Beispiel: logisch denken oder rohen Fisch angreifen. Ich hätte also nie in einer Steuerberatungskanzlei arbeiten können, oder Berufsfischerin werden.

Ich wurde Grafikerin, es lief gut. Ich war selbstständig, die Kunden waren zufrieden, ich: alles andere. Denn die Dinge, die ich gestaltete, hatten alle ein Ablaufdatum. Aus meiner Kreativität entstand nichts, was bleiben durfte. Wenn die Veranstaltung vorbei war, wurde das Plakat überklebt. Das Hochglanzprospekt für ein Hotel landete nach der Saison im Altpapier. Das fühlte sich nicht richtig an, denn alles, was ich tue, mache ich mit Herzblut und so landete die ganze investierte Energie im Müll. Ich sprang im Quadrat. Bis mein pragmatischer Mann eines Tages sagte: „Punkt eins: Mach nur noch freie Arbeiten als Grafikerin. Punkt zwei: Rede nicht immer nur vom Schreiben, tu’ es einfach. Du kannst das.“ Ersteres fühlte sich im ersten Moment an, wie nackt am Kornmarktplatz zu tanzen, Zweites sogar noch utopischer, denn ich hatte weder Erfahrung im Schreiben, noch eine Geschichte, die mir in der Seele brannte und erzählt werden wollte.

Aber mein pragmatischer Mann hatte mich nun eben in diese Sinnspruch-Postkarten-Idylle geschubst: Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum. (Nebenbei gesagt hatte ich immer eine andere Vorstellung davon, wie sich Idylle anfühlt.) Es war einer dieser Jetzt-oder-Nie-Momente. Ich musste mich erst an dieses Gefühl gewöhnen. Zurück gab es keines mehr.

„Als ob!!“, sagte mein Sohn – wie immer, wenn er etwas mit der ihm eigenen Skepsis betrachtet: „Als ob Du jetzt ein Buch schreibst!“
„Als ob heute kein guter Tag wäre, damit anzufangen“, entgegnete ich ihm, selbst wenig überzeugt. Und schrieb den ersten Satz.

Der Prozess des Schreibens selbst hat meinen Alltag sehr entschleunigt. Ich saß in meinem Kopfkino und hatte nach ein paar vergnüglichen Stunden des Entdeckens und Tippens das befriedigende Gefühl, mein Pensum für den Tag erledigt zu haben. Gelitten haben darunter die Bügelwäsche und raffinierte Mittagsmenüs. Zum Glück mögen meine Kinder Nudeln!

Romantik kam keine auf. Das Schreiben wurde zur Routine. In der Früh, nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, habe ich mich hingesetzt, überrascht festgestellt, was der letzte Tag an Entwicklungen mit sich gebracht hat, und weitergeschrieben.

Eine Bekannte hat mir erzählt, sie schreibe im Urlaub gerne Chansons. Wenn sie unter Palmen sitzt und die Wellen plätschern, wird sie von der Muse geküsst. Das finde ich großartig, bin ich doch gänzlich unmusikalisch. Kann weder singen noch tanzen. Jeder Tanzbär nimmt sich, im Vergleich zu meinem Rhythmusgefühl, aus wie eine Primaballerina vom Bolschoi-Ballett. Trotzdem, diese Hoffnung auf Musenküssen ist für mich absurd. Wenn ich auf jede Kokosnuss gewartet hätte, die auf irgendwelchen Inseln vom Himmel fällt, wäre mein Roman nie fertiggeworden.

Im Gegenteil, von der Muse lasse ich mich erst gar nicht mehr veräppeln. Sie überfällt mich manchmal hinterrücks in der Waschküche, wenn ich gerade jede Menge schmutziger Wäsche und schon gar keinen Stift in der Hand habe. Bis ich dann ein Stück Papier gefunden haben, ist der grenzgeniale Satz natürlich weg. Ich höre ihr also von vornherein nicht mehr zu, dieser Zicke von Muse. Zumindest nicht außerhalb der mit ihr ausgemachten Zeiten. Wenn sie mir etwas mitzuteilen hat, muss sie zu mir ins Büro kommen.

Für mich war der Prozess des Schreibens tatsächlich ein Nine-to-five-Job. Wenn ich nicht wenigstens vier Stunden Zeit pro Tag freischaufeln konnte, um ungestört zu arbeiten, habe ich gar nicht erst angefangen. Wochenenden, Ferien und viele, viele andere Tage fielen also flach. Manchmal musste ich mich danach regelrecht wieder in die Geschichte einlesen.

Auf die Gefahr hin, dass es sehr seltsam klingt, aber ich hatte während des Tuns nie das Gefühl, dass ich es bin, die hier Neues schafft. Es ist aus mir herausgeflossen, und – zugegeben – an manchen Tagen auch nur schwerfällig gepurzelt. Ich konnte es, außer durch die Tatsache, dass ich mich jeden Morgen an den Computer gesetzt habe, nicht bewusst steuern – war mehr Sekretärin als Kreative. Aber ich habe dankbar angenommen, was mir auf die Tasten gelegt wurde. Und ja, es hat in mir ein Gefühl von Demut hervorgerufen. Es war mir nicht möglich, mir zu erklären, woher diese Bildfolgen im Kopf kommen. Wer oder was hatte diese Fragmente von Geschichten, die ich wahrscheinlich im Laufe meines Lebens in der einen oder anderen Form erlebt, gesehen oder gelesen habe, zu etwas völlig Neuem zusammengefügt? Sind das logisch erklärbare, chemische Prozesse im Hirn oder himmlische Einflüsterung?

Einen weinseligen Abend mit einer sehr schlauen Person später, weiß ich, dass alles, was in meinem Roman steht, ganz tief aus meinem Innersten kommt, und wenn man ihn richtig liest, dann öffnet sich das Buch meiner Seele. Zu meinem Glück kennt außer mir keiner den Code dazu. Was bleibt, ist eine Geschichte, die in einem schäbigen Hotel in Wien spielt.

In jeder Figur steckt ein wenig von mir, aber man kann mich nicht erkennen. Meine Kinder stecken in Fragmenten in den Kindern des Romans, aber dann doch auch wieder gar nicht. Und manchmal habe ich auch das genaue Gegenteil von mir Bekanntem beschrieben. Kann man etwas erzählen, das man gar nicht kennt? Noch nie erlebt hat? Nur unzulänglich!

Eineinhalb Jahre nach dem ersten Satz habe ich aufgehört zu schreiben – und das übrigens recht abrupt –, weil ich mir dachte: „Wie lang soll denn das jetzt noch so weitergehen? Soll ich nicht mal stoppen und mir ein Feedback holen, damit ich nicht 355 Seiten in die falsche Richtung gerannt bin? Was, wenn sich die Fantasie im Text vergaloppiert hat? Interessiert das hier eigentlich irgendwen?“

Bücher! Sie verzaubern uns. Sie fesseln uns. Sie verstören uns. Sie entführen uns. Sie lenken uns ab vom Leben. Und erklären es uns, schlussendlich.
Obwohl ich zu Beginn der Arbeit nicht wissen konnte, ob ich das schaffe, wuchs in mir der Wunsch, einen richtigen Schmöker zu schaffen.

Ich liebe dicke Bücher, in die man Hals über Kopf eintauchen kann. Komplexe Charaktere. Verworrene Plots mit unerwarteten Wendungen. Geschichten, bei denen man lange nicht weiß, wo sie enden könnten. Plötzlich beginnt sich alles mit allem zu verweben, fährt gemeinsam um die Kurve und gegen eine Wand. Das Spiel beginnt von Neuem. John Irving ist einer, dem das immer wieder gelingt. Ich habe jedes Buch von ihm gierig verschlungen. Vielleicht aber auch nur, weil ich bei ihm immer auf der Suche nach einem zweiten „Owen Meany“ war. Aber das passiert jedem von uns mit vielen Schriftstellern. Wie gefesselt und gleichzeitig verstört war ich von Franzens „Korrekturen“ und seiner „Freiheit“. „Unschuld“ habe ich mit großer Spannung erwartet und fand es enttäuschend trivial.

Für jedes Alter und jede Entwicklungsstufe gibt es die richtigen Bücher. Ich weiß nicht, ob ich „Narziss und Goldmund“, das ich mit 16 wie den Heiligen Gral in die sommerliche Mili getragen habe, heute noch mit der gleichen Hingabe lesen würde.

Immer wieder haben mich Freunde gefragt, warum ich einen Jugendroman schreibe und keinen für Erwachsene. Ganz ehrlich? Diese Hürde war zu hoch. Der Mut hat mir gefehlt. Ich erstarre oft in Ehrfurcht, wenn ich Bücher von so wunderbaren Schriftstellern wie zum Beispiel Michael Köhlmeier in den Händen halte. Was für kluge Sätze dort stehen und mit welch unglaublicher Schönheit sie von ihm formuliert werden. Das – ganz einfach – habe ich mir nicht zugetraut. Nie wäre ich so unverschämt gewesen, mich auf die Stufe eines Köhlmeiers zu stellen, indem ich dasselbe tue wie er. (Holla! Wenn ich nun aber gerade überlege, dass ich mich mit meinem Jugendroman auf eine Stufe mit Michael Ende und Astrid Lindgren stelle! Als ob ich da nicht doch auf meinen skeptischen Sohn hätte hören sollen!)

Zweites Hindernis: Bei einem Roman für Erwachsene, so habe ich mir gedacht, hätte ich nicht auf Fiktion zurückgreifen wollen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich viel Gescheites über das richtige Leben zu erzählen weiß. Da erschien mir der freie Fall im Raum einer utopischen Geschichte wie fester Boden unter den Füßen.
Aber gut, nach all der Arbeit gibt es kein Kneifen. Augen zu und durch. Raus aus der Deckung!

Meine zwölfjährige Tochter, kritisch und – außer vielleicht durch das Versprechen, eine Katze zu bekommen – völlig unbestechlich, hat den Roman geliebt. Kapitel für Kapitel hat sie auseinandergenommen. Ihre Meinung war mir sehr wichtig. Immerhin ist sie nicht nur Teil der Zielgruppe, sie liest auch an die 25.000 Seiten [sic!] im Jahr, was sie zur Expertin im Metier Jugendbuch macht. Freunde, die das „Hotel Mimosa“ ebenfalls gelesen haben, fanden es fesselnd und durchaus auch für Erwachsene geeignet.

Aber was war mit den professionellen Buchlesern? Mit den Entscheidungsträgern über Gedeih und Verderb meiner Zeilen?

Recht euphorisch habe ich mein Manuskript im Sommer 2016 gleichzeitig bei mehreren Lektoren auf den Schreibtisch gehievt. Und dann begann die Zeit des Wartens. Und des sich in-Geduld-Übens. Und des mit der gebotenen Höflichkeit vorsichtigen Nachhakens. Und des weiter-Wartens. Und des Hoffens und des Verzweifelns und des Ohmmmms.

In unregelmäßigen Abständen machte es PING am Computer und im selben Moment stellte sich ein ähnliches Gefühl ein wie damals, als der Mathelehrer die Schularbeiten ausgeteilt hat.
Eine Mischung aus Achterbahn fahren und einer Haltung, welche einer überheblichen Verachtung sehr nahekommt, mit der man sich selbst vor dem Gegenüber zu schützen versucht. Angst gepaart mit dem plötzlich dringlichen Wunsch, nie ein Manuskript auf die postalische Reise geschickt zu haben. Wohlgemerkt: Das alles noch bevor das E-Mail jeweils geöffnet war.

Schlussendlich überwog natürlich doch immer die Neugier. Ich überflog das Schreiben in weniger als einer Sekunde, schloss es entrüstet und war erst mal beleidigt. Ein paar Stunden später dann, gewappnet für die große Wahrheit, las ich es in Ruhe durch. Erst dann konnte ich die schönen Worte sehen, die Aufmunterungen und die Vergleiche, die gezogen wurden. Wenn da stand: „Ich habe mich festgelesen.“ Oder: „eine warme Geschichte, mit der ich mich sehr wohl gefühlt habe.“ Oder: „Das Buch gehört jedenfalls verlegt!“ Ja, das ging runter wie Butter. Leider bis dato immer verbunden mit dem Satz: „Im Moment keinen Platz in unserem Programm, aber machen Sie unbedingt weiter.“

Okay!? Und was heißt das konkret? Gut, aber nicht gut genug? Weitermachen oder hinschmeißen? Experiment gescheitert? An Tagen mit solchen Nachrichten spielte ich die gesamte Bandbreite der Gefühle durch. Die ganze Familie bekam davon einen Teil ab.

Seit ein paar Wochen nun wurde das Spiel konkreter. Die Lektorin eines renommierten deutschen Jugendbuchverlages hat mir ein sehr ausführliches Feed­back zu meinem „Hotel Mimosa“ zukommen lassen. In Ihrem E-Mail standen kein Ja und auch kein Nein, aber ein paar sehr überlegte und konstruktive Änderungsvorschläge. Da ging es beispielsweise um die charakterliche Schärfung eines Protagonisten oder den Wunsch nach mehr direkter Rede zwischen den Geschwistern. Dinge, die ich selbst schon gespürt hatte und gut annehmen konnte, ohne mich oder meine Geschichte verbiegen zu müssen.

Und so habe ich meinen Roman diesen Sommer noch einmal überarbeitet, auch wenn ich diesem korrigierenden Vorgang wenig euphorisch entgegengesehen habe. Davor ist alles wie von selbst passiert. Ich hatte keine einzige Seite zerrissen und nur in einem zweiten und dritten Korrekturdurchgang hier und da ein Adjektiv ergänzt oder eine Wortwiederholung ausgemerzt. Nun musste ich Teile auseinandernehmen, Dinge einfügen, an anderer Stelle den Plot zurechtbiegen.

Natürlich war ich nicht so naiv, dass ich jemals gedacht hätte, meine Geschichte würde von irgendwem eins zu eins übernommen. Ich sah die Korrekturen als Pflicht. Die Kür lag in der Zeit davor. Nach diesen Änderungen, so die Lektorin, darf ich ihr das Manuskript noch einmal zusenden. Das als-ob-Projekt entwickelt sich nun hoffentlich vom Ohmmmm zum OMG!

Was aber viel wichtiger ist: Ich habe mir bewiesen, dass ich es kann. Ich kann eine komplexe Geschichte mit vielen Ästen und Nebenschauplätzen erzählen und zu einem Ende bringen. Und sollte diese Geschichte nicht die Qualität haben, jemals verlegt zu werden, dann eben nicht. Dann lasse ich zwei Kilo Papier zehn Mal binden und schenke sie meinen Liebsten, als Beweis, dass (fast) alles möglich ist. Man muss es nur tun. Am besten heute.

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