Dirk Olaf Hanke

Ein Ort der kritischen Selbstbeobachtung

März 2016

Die Welt um uns herum scheint von Tag zu Tag komplizierter zu werden.
Die alten Gewissheiten – so es überhaupt jemals welche gegeben haben sollte –, die alten Rezepte und Konzepte haben offensichtlich ausgedient.

In einer unüberschaubar gewordenen, globalen Gesellschaft droht das Individuum einer immer stärker um sich greifenden Normierung zum Opfer zu fallen. Der Wert des Menschen wird zunehmend nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Das Denken scheint beherrscht von den Kategorien „Profit“ und „Konsum“: Was muss ich einsetzen, damit ich dieses oder jenes herausbekomme?

Gegen dieses Menschenbild regt sich zunehmend Widerstand. Doch kommt dieser nicht mehr aus jenem politischen Milieu, das traditionell eher links denkt. Es scheint mir, als bezögen zum einen ein religiös begründeter Fanatismus und zum anderen neonationale und neofaschistische Strömungen hieraus ihre Energien. Ihre einfachen Antworten auf komplizierte Fragen locken viele Menschen an, und dies unabhängig von sozialer Stellung und vom Grad der Bildung. Dabei hat die bürgerliche Gesellschaft doch etwas geschaffen, das allen anderen bisherigen politischen Ordnungen haushoch überlegen ist: ein Konzept von Toleranz, Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit, sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit.

Offenbar fühlen sich viele Menschen aber dieser Ordnung nicht mehr zugehörig, weil sie sich ökonomisch oder sozial benachteiligt fühlen. Statt zu fragen, „wie kann ich mir innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung Gehör und somit einen Platz schaffen“, folgt man lieber jenen Kräften, die mit populistischen Parolen auf Bauernfang gehen, aber substanziell keine Lösungsangebote zu gegenwärtigen Problemstellungen liefern. Diese Verunsicherungen finden sich mittlerweile in weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens und der Arbeitswelt.

Für mich, der das Glück hatte, in den Sechziger- und Siebzigerjahre aufzuwachsen, ging es immer darum, mittels künstlerischer Produktion ein Forum für gesellschaftliche Themen zu schaffen. Ziel des Theaters ist es meiner Auffassung nach, einen Diskurs über die jeweilige gesellschaftliche und politische Situation zu führen. Es geht darum, mit den Mitteln der Kreativität und Fantasie Fragen zu stellen und querdenkend unsere Lebenswirklichkeit zu beschreiben. So lassen sich zumindest von einer Seite her, von der künstlerischen, Alternativen beschreiben.

Es geht um den guten, alten Bildungsauftrag des Theaters, der neben der Pflege der klassischen und der Förderung der neuen Literatur auch die Eigenverantwortung des Betrachters im Blick hat. Die Theateraufführung ist immer ein Gesprächsangebot. Sie regt zur kritischen Betrachtung, zum Widerspruch an. Wer sich regelmäßig kritisch mit anderen Sichtweisen auseinandersetzt, schult auch die eigene Kritikfähigkeit. Das ist im Wesentlichen auch der Grund, weshalb man nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum entschieden hat, Kunst und Kultur weitestgehend von ökonomischen Zwängen zu entlasten, damit sie außerhalb von Herrschafts- oder Mehrheitsmeinungen stattfinden kann.

Theater ist leidenschaftlich, vital, fantasievoll, aber auch subjektiv. Wenn wir uns das immer wieder klarmachen, wenn wir uns immer wieder selbstkritisch prüfen, können wir Theaterleute der Gesellschaft etwas anbieten, was ihr abhanden zu kommen droht: kritische Selbstreflexion, die der Motor für Weiterentwicklung ist.

 

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