Dirk Olaf Hanke

Vorsicht: es geht nicht ohne Pathos – weder am Theater noch in diesem Artikel Der Versuch eines Abschiedsbriefs

Juni 2016

Was hat ein Nicht-Vorarlberger, der nur kurze Zeit (wenn man eine Theaterspielzeit als kurz bezeichnen darf) hier war, überhaupt den hier dauerhaft lebenden und arbeitenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern über ihr kulturelles Leben zu sagen? Auf die Gefahr hin, vermessen zu klingen, möchte ich aber doch gerne einige Eindrücke zur Verfügung stellen, mit dem Ziel, vielleicht eine kleine Anregung für das Vorarlberger Kulturleben zu liefern.

Bregenz und sein Landestheater sind mir seit meiner Zeit auf der anderen Seite des Sees – meine Konstanzer Jahre um die letzte Jahrhundertwende – gut bekannt. Die ersten Vorstellungen hier sah ich während der Intendanz von Harald Petermichl, als er begann, ein modernes Programmtheater aufzubauen. Immer wieder hatte ich Verbindung nach Bregenz, mal durch meinen damaligen Potsdamer Intendanten Uwe Eric Laufenberg, als er bei den Festspielen Kreneks „Karl V.“ inszenierte, mal durch Lukas Spisser, einen ehemaligen Schauspieler meines Meininger Ensembles, oder eben in den letzten Jahren durch die Herren Liepold-Mosser und Kubelka. Und eigentlich war „Alcina@“, welches Bernd Liepold-Mosser 2014 in Bregenz inszeniert hatte, der Auslöser für ein intensiveres Gespräch mit dem Intendanten. Dies mündete zunächst in die gemeinsame Arbeit an der Oper „Carmen“ und anschließend in das Engagement als Dramaturg. Soweit dazu.

Jetzt Bregenz – und schon gleich wieder vorbei. Um es vorweg zu sagen: Es fällt mir schwer, zu gehen, aber die neue Herausforderung, die in München auf mich wartet, ist einfach zu verlockend, als dass ich sie – selbst für diesen kreativen und reizvollen Ort am Bodensee – hätte aufgeben können.

Und da bin ich auch schon mittendrin: Vorarlberg hat mich in diesen 11∕2 Jahren, in denen ich mich nun intensiver mit dieser Region befassen durfte, einfach immer wieder überrascht. Die Vielfalt an kreativen Menschen in dieser Region ist für mich – einen Bundesdeutschen – absolut verblüffend. Was hier in der Fläche an Kunst und Kultur, an sozialem und soziokulturellem Engagement stattfindet, sucht man in vielen deutschen Ballungsräumen vergebens.

Vielleicht ist es die Lage am See, die einer gewissen Offenheit förderlich ist. Das ständige Überschreiten von Grenzen – von Deutschland nach Österreich, von Österreich in die Schweiz, von dort nach Liechtenstein und immer auch umgekehrt – hat hier, wie ich finde, einen ganz besonderen Menschenschlag hervorgebracht. Man verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, wenn ich ihn als liberal bezeichne. Damit ist keine parteipolitische Richtung gemeint, sondern eine grundlegende Freimütigkeit.

Vorarlberg scheint es sehr gut zu gehen. Manchmal schieben sich der relativ hohe Wohlstand und die hohe Lebensqualität jedoch vor die Probleme, die es auch hier gibt.
Und da käme schon mein erster Wunsch ins Spiel: Ich würde mir etwas mehr Selbstbewusstsein als Selbstgenügsamkeit wünschen. Eine wache, selbstkritische Analyse des Status quo, um die gesellschaftlichen Aufgaben, die es auch in Vorarlberg gibt (von der Integration der hier angekommenen Migranten bis hin zur Altersstruktur der Bevölkerung), beherzt und herzlich anzugehen. Die Innovationskraft dieses Bundeslandes scheint mir enorm. Also: Frisch zur Tat.

Meine Arbeit am Landestheater war für mich etwas völlig Neues und hielt auch nach über 25 Jahren an unterschiedlichen Theatern einige Überraschungen bereit. Noch nie zuvor war ich an einem Theater tätig, das ohne festes Ensemble arbeitet. Dieser Umstand stellte für mich – der ich ein bekennender Fan des Ensembletheaters war und bin – eine wirkliche Herausforderung dar. Die Vorteile der Arbeit mit Gastensembles sind offensichtlich: Die Stücke können punktgenauer besetzt und Darsteller nach Bregenz verpflichtet werden, die aufgrund ihrer Arbeitsbiografien als fixe Ensemblemitglieder ganzjährig nicht zu finanzieren wären.
Das VLT ist finanziell ganz gut ausgestattet, wenn man sich die Verhältnisse an vergleichbaren deutschen Theatern anschaut. Und dennoch wäre es aufgrund der Tarifsituation und – noch gravierender – der hohen Lebenshaltungskosten nicht möglich, ein Ensemble von 12 bis 14 Schauspielerinnen und Schauspielern aufzubauen und diese adäquat zu entlohnen.

Das ist sehr schade – wie ich finde –, denn gäbe es ein festes Ensemble, könnte das Programm des Landestheaters deutlich verbreiteter werden durch Late-Nights, Lesungen und was uns Von-Berufswegen-Wahnsinnigen am Theater noch so einfallen würde.

Der Intendant versucht das Beste für das Haus und die Künstler herauszuholen. Doch selbst ich, der ich eher in das höhere Gehaltssegment dieses Hauses falle, habe mich wegen der Lebenshaltungskosten entschieden, lieber in einem Dorf auf der deutschen Seite zu wohnen als in Bregenz. Abhilfe könnten hier eine Erhöhung des künstlerischen Etats schaffen oder aufgeschlossene Vermieterinnen und Vermieter, die bei der Vergabe der Wohnung vielleicht eine Miete ansetzen, die nicht ganz ortüblich ist, und so den Künstlern eine Bleibe sichern, die nicht gleich 50 Prozent des Nettoeinkommens verschlingt – eine Art Privatsponsoring.

Vielleicht findet sich ja zukünftig auch ein wohlhabender Vorarlberger, der eine Stiftung gründet mit dem Ziel, Wohnkostenzuschüsse für Künstler zu finanzieren. Im niedersächsischen Oldenburg gibt es so ein Modell seit Jahrzehnten.

Aber jammern will ich nicht, und klagen hat noch nie geholfen. Wichtiger ist es, nach vorne zu schauen, und da würde ich mir Folgendes für Vorarlberg wünschen: Mehr Vernetzung der künstlerischen Potenziale im Ländle, ein stärkerer inhaltlicher Austausch der Kunst- und Kulturproduzierenden, eine Erweiterung des Landeskonservatoriums um eine Schauspiel- und eine Regieklasse, mit dem Ziel, junge Leute auch in diesen Bereichen vor Ort auszubilden und zu fördern. Hier läge eine riesige Chance: Was wäre alles möglich, wenn die hier hervorragende Musikerszene auf eine genauso hervorragende darstellerische Szene träfe? Weit und breit findet sich keine Schauspielschule, kein Regiestudiengang. Zürich ist weit weg, München, Stuttgart auch, und Wien ist noch viel weiter.

Und einen Wunsch habe ich an Sie, liebes Publikum: Bleiben Sie neugierig. Es gibt Wenige wie Sie. Was ich hier bei den Inszenierungen von neuen, oft unbekannten Stücken erleben durfte, ist einzigartig. Und jetzt eine Binse, aber sie muss trotzdem ausgesprochen sein: Im Neuen liegt – neben der Pflege und Überprüfung des Altbekannten – die Zukunft. Es geht um Entwicklung, um Weiterentwicklung. Von uns allen.
Ich gehe sehr wehmütig, leider mit dem Gefühl, nicht fertig geworden zu sein mit dem, was ich mir für Bregenz und das Landestheater vorgenommen hatte.
Deshalb wünsche ich all denen, die weiterhin und zukünftig an diesem wunderbaren Theater arbeiten werden, ein glückliches Händchen, gute Ideen, Kraft – und viele gute Abende im und um das Theater herum.

Ciao, Bella,
mach’s gut.

Herzlichst grüßt
Dirk Olaf Hanke

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