Peter Freiberger

Gaunerzinken – Geheimcodes aus dem Mittelalter

Juni 2016

Ein X eingeritzt in der Dachrinne, zwei senkrechte Striche mit Kreide aufgemalt an der Gartenmauer – wer solche oder ähnliche Symbole entdeckt, sollte umgehend die Polizei verständigen.
Es könnte sich um sogenannte Gaunerzinken handeln. Dann ist Gefahr im Verzug.

Gaunerzinken stammen ursprünglich aus dem Mittelalter. Bettler verwendeten diese einfachen grafischen Zeichen für Informationen über die Bewohner von Häusern. Die Zinken informierten über die Menschen – etwa über deren Religiosität oder Freigiebigkeit. Entsprechend suchten sich die Bettler Ziele aus, sie wussten, wie sie vorzugehen hatten, um Erfolg zu haben. Die Gaunerzinken gibt es heute, Jahrhunderte später, immer noch, wenngleich ihnen moderne Kommunikationsmittel wie das Handy Konkurrenz machen und sie ein wenig in den Hintergrund drängen. Zahlreiche Gerüchte ranken sich um diese Kommunikationsmethode, die ein bisschen der Hauch des Mysteriösen beziehungsweise Unheimlichen umrankt. Jedenfalls bereiten Gaunerzinken den Menschen Angst. Diese Angst ist nicht unbegründet.

Symbolik gleichgeblieben

Herbert Humpeler und Christian Spitaler vom Landeskriminalamt Vorarlberg betreiben Kriminalprävention. Sie wissen Bescheid über diese Zeichen, die nach wie vor in erster Linie Bettler benutzen. An der Symbolik hat sich kaum etwas geändert. An zwei konkrete Fälle aus Dornbirn und Wolfurt erinnern sich die Kriminalisten. Einmal haben Unbekannte mit Kreide ungewöhnliche Zeichen auf eine Gartenmauer gemalt, ein anderes Mal wurden Symbole auf den Briefkasten gekritzelt. „Eigentlich bringen die Bettler Gaunerzinken oft an schwer einsichtlichen Stellen an – beispielsweise mit einem spitzen Gegenstand an der Rückseite einer Dachrinne“, weiß Herbert Humpeler. Die Zeichen sind meist sehr klein und auf den ersten Blick fast nicht zu erkennen. Freilich – wenn die Bettler betagte, alte Leute im Haus vermuten, fallen die Symbole größer aus. Außerdem machen sie sich dann nicht die Mühe, die Zeichen zu verstecken. Einheitliche, quasi standardisierte Zinken, die alle in der Szene und länderübergreifend kennen, scheint es nicht zu geben. „Diesbezüglich sehen wir keinen roten Faden“, sagt Christian Spitaler. Fest steht allerdings, dass die verschiedenen Clans dieselben Symbole verwenden. Wie die auch immer aussehen – sie informieren beispielsweise darüber, ob sich nur Frauen in einem Haus befinden, ob mit Kindern oder Männern zu rechnen ist, ein scharfer Hund über das Anwesen wacht oder sich betteln grundsätzlich lohnt. Und natürlich erlauben die Symbole Rückschlüsse, ob materiell etwas zu holen ist oder nicht – durch Betteln oder Einbrechen.

Bettler nicht ins Haus lassen

Die Verbindung zwischen Gaunerzinken und Bettlern selbst in der heutigen Zeit stellt einen Fakt dar. Die Kriminalisten Humpeler und Spitaler warnen davor, Bettlern, die an der Wohnungstür läuten, die Tür zu öffnen oder sie gar ins Haus zu bitten. „Es kann sich dabei um Personen handeln, die lediglich die Situa­tion im Haus für Einbrüche auskundschaften wollen“, sagt Humpeler. Überdies bestehe die Gefahr, Opfer von Einschleich- oder Trickdieben zu werden. Gerade im Mai wurden in Vorarlberg einige solcher Fälle registriert. „Wir raten, Bettler grundsätzlich nicht ins Haus und dort schon gar nicht unbeaufsichtigt zu lassen“, betont Humpeler.

Ob in Vorarlberg außer in den bekannt gewordenen bzw. gemeldeten Fällen Gaunerzinken angebracht wurden, weiß die Polizei nicht. Der Grund dafür ist simpel. Spitaler: „Solche Zeichen lassen sich nur schwer von Kinderzeichnungen unterscheiden.“ Niemand könne auf den ersten Blick sagen, ob ein Kreis oder ein Zickzackmuster aus einer Kinderhand stammt oder von Spähern, die weniger Gutes im Sinn haben. „Wer verdächtige Symbole entdeckt, sollte sie jedenfalls nicht vernichten, sondern fotografieren und die Polizei verständigen“, empfiehlt Humpeler. Klassische Einbrecherbanden stecken nach Ansicht der Kriminalisten kaum hinter den Gaunerzinken. Denen sei nämlich egal, wer sich in einem Objekt befinde. Sie kämen ohnehin nur, wenn sie sicher sind, dass das Gebäude gerade leer ist. Und sie bevorzugen außerdem Kommunikationsmittel der modernen Generation.

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