Lukas Fleisch

Referent für Wirtschaftspolitik in der Wirtschaftskammer Vorarlberg mit den Schwerpunkten Umwelt- Energie- und Klimapolitik, Raumplanung und Baurecht.

Die Sache mit dem Schwarzen Peter

Juli 2021

Kaum ein anderes Thema – von der Corona-Pandemie einmal abgesehen – beschäftigt Wirtschaft und Politik derzeit so intensiv wie die globalen Herausforderungen um den Klimawandel und den Umweltschutz und die Frage, wie damit umgegangen werden soll. Wie wir unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nachhaltiger ausrichten? Das Rezept, das den öffentlichen Diskurs oft prägt, scheint einfach: radikale Reduktion unseres Energieverbrauchs, grundlegender Umbau des Energiesystems, ein Ende des wachstumsgetriebenen Raubtierkapitalismus, Verzicht auf liebgewonnene Konsummuster und Verhaltensweisen und eine massive Besteuerung bzw. besser gleich ein Verbot von „bösen“ Technologien und Produkten. Koste es, was es wolle! Und in wessen Hand der schwarze Peter liegt, ist in diesem Diskurs auch meist schnell ausgemacht. Die Realität ist natürlich wesentlich komplexer. Und die Tatsache, dass niemand – zumindest keine demokratische mehrheitsfähige kritische Masse – diesen Weg wirklich einschlagen will oder kann, löst eine diffuse Beklemmung aus und resultiert in politischer Ratlosigkeit. Dennoch überholen hochtrabende politische Ziele einander beinahe im Wochenrhythmus. Erst 40 Prozent CO2-Reduktion, dann 55 Prozent, bis 2050 oder – wie in Österreich angekündigt – bereits bis 2040. Die Dynamik ist ungemein hoch. Doch wie der Weg dorthin wirklich aussehen soll, ist nicht wirklich klar und Gegenstand emotionaler politischer Debatten. Mahnende Stimmen, die dieses „Race to the top“ mit realistischen Zielerreichungspfaden und konkreten, aber vor allem machbaren Maßnahmen hinterlegt sehen wollen und auf die Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft hinweisen, werden dabei häufig als Bremser und Fossilien des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Nun wird diese Zuweisung sicherlich auf einige Proponenten zutreffen, aber eben lange nicht auf alle. Deshalb sollten wir uns über dieses Narrativ unterhalten. 

Es ist kompliziert

Fakt ist, unsere Systeme sind höchst komplex und vielschichtig, eng ineinander verzahnt und daher von Natur aus kompliziert. Das bildet sich nicht nur in unseren rechtlichen Rahmenbedingungen ab, sondern auch in der konkreten Lösungsfindung für offenkundige Probleme, die von zahlreichen Zielkonflikten geprägt sind. Einfache Lösungen und große Würfe sind daher illusorisch. Im Sinne Karl Poppers kann gute Politik deshalb nicht über Revolutionen, sondern nur über viele kleine Schritte funktionieren. Dazu braucht es Kompromissbereitschaft, Verständnis über die Zusammenhänge und eine ehrliche Auseinandersetzung. Extrempositionen und Panik helfen da wenig! Bestes Beispiel dafür bildet der Klimaschutz als globale Herausforderung. Er ist Diplomatie in Reinkultur und ein Bohren dicker Bretter. Es nutzt uns also wenig, wenn wir uns diesem Phänomen aus rein lokaler Perspektive nähern. Betrachtet man beispielsweise Vorarlberg im globalen Ausstoß-Ranking und summiert in einer schnellen Rechnung den tatsächlichen Beitrag von rund 0,006 Prozent, der mit einer lokalen CO2-Neutralität erreicht werden könnte, könnte man ernüchtert das Handtuch werfen. Oder man beschäftigt sich aktiv mit den Möglichkeiten, auf andere Weise effektiv beizutragen, anstatt nur auf die Emissionen zu fokussieren. Beispielsweise über den Export von Umwelttechnologien oder die Entwicklung von besseren Prozessen und Produkten. Dabei geht es um Mehrwert, und nicht um Verzicht und Rückschritt! Durch die Erschließung neuer Wachstumsmärkte in immer stärker nachgefragten Bereichen, die der Gesellschaft nutzen und der Umwelt nicht schaden, werden umwelt- und gesellschaftsschädliche „Angebote“ nach und nach verdrängt. In der ökosozialen Markwirtschaft ruht somit die Kraft, viele unserer Probleme zu lösen. Wenn man sie lässt! Vorarlberg hätte die besten Karten. 

Kompromissbereitschaft ist gefragt

Und hier stehen wir uns oft selbst im Weg. Denn dafür braucht es geeignete Rahmenbedingungen und einen technologieoffenen Zugang, der es auch vermeintlich „schlechten“ Sektoren ermöglicht, besser zu werden. Leider verpassen wir allzu oft die Möglichkeit dazu. Was nutzt es uns, wenn wir bei Sanierungen die Anforderungen an die Gebäudeeffizienz so hoch ansetzen, dass zwar theoretisch nur noch sehr gute Gebäude entstehen, sie aber schlicht nicht umgesetzt werden, weil dadurch alles noch komplizierter und vor allem auch teurer wird. Auch der ressourcenschonende Wiedereinsatz von Recycling-Baustoffen stellt eine Kuriosität dar, da dieser oft nicht oder nur unter extremen Auflagen möglich ist. Das behindert die Kreislaufwirtschaft, statt sie zu fördern. Wir wollen den raschen Ausstieg aus fossilen Energieträgern, wollen aber Beiträge, die gerade dieser Sektor leisten kann, nicht anerkennen. Allzu oft scheint es verlockend, die Dinge einfach zu verbieten oder über unendliche Verfahren und kaum erfüllbare Auflagen gegen alle Eventualitäten abzusichern, anstatt einen sinnvollen Kompromiss zu suchen. Dadurch hemmen wir uns in unserer Effektivität und die Wirtschaft – die viele Lösungen für unsere gesellschaftlichen Probleme bieten kann – in ihrer Innovationsfähigkeit. Das bedeutet nicht, dass sämtliche Schleusen geöffnet werden sollen – rechtliche Leitplanken sind wichtig – wir könnten aber vieles besser machen. Aus derzeitiger Perspektive gilt es also alles zu tun, das hilft. Das heißt, wir müssen effektiv sein, Möglichkeiten schaffen und die richtigen Dinge tun, überall dort wo wir können. Und nicht nur effizient und perfekt in einigen wenigen als „gut“ auserkorenen Themen und Technologien, die aber nur einen relativ überschaubaren Effekt erzielen. Innovation lässt sich nun mal nicht verordnen. Wenn wir sie aber zulassen, geht oft alles ganz schnell und kann auch zu den revolutionär-disruptiven Ereignissen führen, die sich so viele wünschen.

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