Hanno Schuster

Kommunikations- und Strate- gieberater, Vorsitzender Public Relations Verband

 

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort …!

März 2025

Begriffe in der Obdachlosigkeit.

Rilke bringt in seiner Poesie schon im 19. Jahrhundert die Sorge zum Ausdruck, dass Worte ihre Bedeutung verlieren, wenn sie leichtfertig verwendet werden. Was damals galt, gilt heute noch vielmehr. Viele Begriffe sind in einem Zustand der Entkernung, sie werden inflationär genutzt, ohne dass sie noch etwas Konkretes bezeichnen. „Nachhaltigkeit“, „Freiheit“, „Gemeinschaft“, „Werte“ oder das kleine Wörtchen „Wir“– all diese Worte waren einst mit klaren Bedeutungen verknüpft, wurden mit Erfahrungen, Kämpfen und Überzeugungen gefüllt. Und heute? Mit der semantischen Obdachlosigkeit verlieren sie ihre Tiefe. Sie werden bis zur Unkenntlichkeit verfremdet; oft aus Gedankenlosigkeit, immer öfter aber als weiche Steppdecke, mit denen die eigentlichen Interessen zugedeckt werden. Montesquieu bemerkte schon vor Jahrhunderten: „Je größer die Worte, desto mehr kann sich Fremdes in ihnen verstecken.“

Funktionalisierung der Sprache
Begriffe dienen nicht mehr primär dazu, einen gesellschaftlichen Zustand zu beschreiben oder eine Haltung zu reflektieren, sondern werden zu wirtschaftlichen und medialen Strategien. Unternehmen verkaufen Produkte unter dem Deckmantel von „Nachhaltigkeit“, politische Akteure fordern „Solidarität“, ohne sie selbst zu leben, und Medien nutzen „Krisen“, um Schlagzeilen zu generieren. Wenn Begriffe nicht mehr eindeutig sind, wird der öffentliche Diskurs zur Herausforderung. Was für den einen „Freiheit“ bedeutet, ist für den anderen Verantwortungslosigkeit. Was der eine als „Vielfalt“ feiert, empfindet der andere als Bedrohung. Anstatt Verständigung zu ermöglichen, erzeugen die entkernten Begriffe Missverständnisse und Spaltungen. 

Die Sprache zurückgewinnen!
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, bedarf es der Reflexion über Sprache und Bedeutung. Es geht darum, Begriffe wieder mit Substanz zu füllen, sie mit echtem Inhalt zu hinterlegen. Das setzt voraus, dass wir uns nicht von der Bequemlichkeit einer oberflächlichen Kommunikation leiten lassen, sondern bereit sind, tiefer zu fragen: Was meinen wir wirklich, wenn wir „Gemeinschaft“ sagen? Was bedeutet „Verantwortung“ jenseits bloßer Appelle? Erst wenn wir unsere Sprache zurückgewinnen, können wir auch unsere Verständigung verbessern. 

Die Zeit drängt!
„Je mehr Begriffe im Nebel der semantischen Bedeutungslosigkeit verschwinden, desto mehr Menschen werden sich an den Generalzweifel ‚der Gesellschaft‘ oder ‚dem System‘ gegenüber gewöhnt haben“ (Armin Nassehi). Wenn Begriffe nur noch als Mittel der Rhetorik und Manipulation dienen, verlieren sie ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Prozesse konstruktiv zu begleiten. Finden wir den Mut, wieder präziser zu sprechen und zu denken?

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