Kurt Bereuter

geboren 1963, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Aus der Armut von Übersaxen zum Luxus von Bally

Dezember 2025

Drei große farbige Kirchenfenster in Übersaxen zeugen von einer Familie, die ihre Heimat nicht vergessen hatte, als sie es in der Schweiz zu Ruhm und Reichtum brachte: Die Familie Bally. 

Der Bürgermeister von Übersaxen, Manfred Vogt, und seine Büroleiterin, Karin Böhler, machten auf einen nie vergessenen Bürger ihrer kleinen Berggemeinde aufmerksam. Nie vergessen, weil in der Pfarrkirche drei von fünf Kirchenfenstern jeden Sonntag an die Familie Bally erinnern. 1898 wurde die Kirche erweitert und von der „Tiroler Glasmalerei“ neue Fenster geliefert. Eines ist gestiftet von Otto Bally von Säckingen und Georgine Hindermann von Basel. Sie „ließen diese Fenster anfertigen zum ewigen Gedächtnis ihrer von Übersaxen stammenden Voreltern – denen Gott gnädig sein möge“.

Ein einsames, stilles Bergdorf
„Ein fahrbarer, aber schmaler und ziemlich steiler Weg führt durch schöne Hochwälder, mit Ausblick auf die tiefen Schluchten des Laternsertals, hinauf auf das weite Bergplateau, auf dem sich die braunen Häuser des einsamen, stillen Bergdorfs ausbreiten“, heißt es in der Familienchronik der Ballys. Das druckfrische Buch „Bally – Geschichte eines Schweizer Unternehmens“ beleuchtet den Erfolgsweg einer Luxusmarke bis zur „Veräusserung des Familiensilbers“ und dem „Lichterlöschen in Schönenwerd“, wo sich seit 1790 das Unternehmen befand. Übersaxen und seine damaligen Bewohner werden in der Chronik ehrenhaft beschrieben: „Die Bevölkerung des Vorarlberger Bergdorfes, damals 330 Seelen, war immer schon ein ruhiger, arbeitsamer Menschenschlag. Die exponierte, etwas raue Lage des Dorfes erforderte seit jeher Arbeit und Sparsamkeit – moderne Genusssucht fand hier wenig Boden.“ Die „Dörfler“ produzierten von alters her Küferwaren und Kübel und arbeiteten in der Lohn-Stickerei. Das Handwerk war oft ein Nebenerwerb zu den kleinen Landwirtschaften, die durch die Erbteilung immer kleiner wurden und manchen Kleinerben zum Auswandern zwang.

Franz Ulrich Bally (1748-1810)
Darunter befand sich auch der Übersaxner Franz Ulrich Bally, der um 1765 mit einer Gruppe von Migranten aus Vorarlberg in die Schweiz auswanderte, wo er sich anfänglich als Maurer verdingte. In der Solothurner Region gab es eine Tradition der Strickerei von Strümpfen und Mützen, die der Region einen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichte. Franz Ulrich Bally muss es geschafft haben, in den Folgejahren in den Vertrieb von Seidenbändern einzusteigen. Es sind zwei Tragekästen aus dieser Zeit erhalten geblieben, die Bally wohl auf den Rücken gebunden hatte, um die Bänder auf die Märkte oder zu Kunden zu tragen. Später ließ er sich in Schönenwerd nieder und erbaute sich mit seiner Frau 1790 ein eigenes Haus.
 
Die Bandweberei
1810 übernahm Sohn Peter die betrieblichen Strukturen und das Unternehmen begann zu florieren. Anfang der 1840er-Jahre begann Peter Ballys Sohn, Carl Franz Bally, mit der Produktion von elastischen Bändern, indem Gummifäden eingearbeitet wurden. Diese Bandweberei in Schönenwerd wurde bis zum Jahre 2002 in sechster Generation weiterbetrieben.

Bally-Schuhe für Menschen mit Stil und Geld
Berühmt wurde die Firma Bally aber nicht wegen ihrer Bänder, sondern wegen ihrer Schuhe und da sollten die Bänder durchaus noch einmal eine Rolle spielen, denn Carl Franz Bally hatte die Idee, anstelle einer Schnürung von Schuhen ein elastisches Gewebe in den Schaft einzunähen und diese Schuhe industriell herzustellen. Anhand eines Stiefelchens, das er von einer Reise aus Paris seiner Frau mitbrachte, ließ er sich vom Schönenwerder Dorfschuhmacher den Herstellungsprozess erklären und 1854 errichtete er eine erste kleine Fabrik, in der 1856 die Mechanisierung und Arbeitsteilung einzog, was Bally für die nächsten dreißig Jahre an die Spitze brachte: Bally kaufte eine Nähmaschine und engagierte eine Vorarbeiterin, welche die Näherinnen anlernte und überwachte. 1862 erwarb er eine Dampfmaschine und der Schuhumsatz stieg bis 1869 auf das Dreifache an. Carl Franz‘ Söhne führten mit einer neu entwickelten Nähmaschine das „Rahmennähen“ ein und 1913 wurden schon vier Millionen Schuhe produziert, 14.000 pro Tag mit 6000 Beschäftigten. Ab 1910 wurde in der Schweiz ein eigener Detailvertrieb aufgebaut und Bally erschloss neue Märkte in Großbritannien, Australien und Ägypten, ehe Geschäfte in Deutschland, Österreich, Dänemark, Italien, Frankreich und in den USA entstanden. Mitte der 1910er-Jahre stieg Bally zum größten Schuhfabrikanten der Welt auf, mit der Produktion von 3,9 Millionen Paar pro Jahr. 

Globalisierung, Wirtschaftspolitik und interne Differenzen
1973 bedeutete der Wegfall des Bretton-Woods-Systems das Export-Aus für Bally in die USA und die gesteigerten Produktionskosten in Verbindung mit der Globalisierung machten es für Bally immer schwieriger. Im Buch werden auch die internen „Kämpfe“ und möglichen unternehmerischen Fehlentscheidungen beschrieben. Die Marke „Bally“ existiert noch heute, sie ist im Besitz einer US-amerikanischen Private Equity Unternehmung, aber immer noch ein Begriff für Luxusschuhe: www.bally.com
 
Bally heute in Übersaxen
Die Familienlinie Bally findet sich heute nur noch in den Kirchenfenstern Übersaxens. Sie sind weit mehr als Kunstwerke aus Glas – sie spiegeln die Beharrlichkeit, die Eigenständigkeit und die kreative Kraft wider, die diese Familie aus Übersaxen auszeichnete. „Diese Eigenschaften sind Teil dieses Bergdorfes geblieben und zeigen sich in den Menschen, den Traditionen und dem ungebrochenen Willen, neue Wege zu gehen, ohne die Wurzeln zu vergessen“, sagt Bürgermeister Manfred Vogt. Karin Böhler erklärt: „Bally-Mode ist eher weniger auf dem ,Schirm‘ der Übersaxner, denn die Preise sind der Luxus-marke angepasst:
Noblesse oblige. Aber die Bally-Kirchenfenster kennt dafür jeder Übersaxner.“

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