„Zukunft beginnt mit der Überwindung alter Denkmuster“
Matthias Horx (59), Deutschlands profiliertester Zukunftsforscher, im Gespräch mit Andreas Dünser über „Zukunft wagen“, übersteigerte Ängste und „apokalyptisches Spießertum“.
Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch „Zukunft wagen“, dass „Angst in vieler Hinsicht der Schlüssel zur Zukunft ist“, warnen gleichzeitig aber davor, Angst zum Leitgefühl zu machen …
Matthias Horx: In meiner Arbeit als Zukunftsforscher fiel mir auf, wie wenig Menschen eigentlich etwas über die langfristigen und robusten Trends und Veränderungen wissen. Es herrschen unglaublich viele negative Vor-Urteile über die Zukunft vor. Ich wollte wissen, wa-rum das so ist. Dabei stößt man zwangsläufig auf die Funktion der Angst in der menschlichen Psychologie.
Sehen wir der Zukunft mit zu viel Angst entgegen?
Im menschlichen Hirn liegen Belohnungssystem und Angstsystem sehr nahe beieinander. Das ist evolutionär sinnvoll, denn unsere Vorfahren, die in einer lebensgefährlichen Umwelt lebten, mussten gewissermaßen dafür belohnt werden, Angst zu haben. Angst soll uns ja mobilisieren, auf mögliche Zukunfts-Gefahren hinweisen, uns zur Aktivität führen. Wenn aber die Angst aus dem Ruder läuft und wir uns in einer Wohlstands-Welt so verhalten, als wären wir noch von Säbelzahntigern umgeben, dann kann kollektive Hysterie entstehen. Dann werden negative Prognosen zu gefährlichen self-fulfilling prophecies. Wir verhalten uns dann wie im Kino, wenn jemand „Feuer“ brüllt, und es gibt Tote, obwohl es nicht brennt. Der moderierende Umgang mit Angst ist der Kern des Zivilisatorischen. Und damit die Kernfrage der Zukunft.
Und was macht Sie so sicher, dass unsere Ängste falsch sind?
Viele Ängste sind zumindest übersteigert. Wir leben in einer der sichersten und wohlhabendsten Gesellschaften der Welt – und in einem inzwischen friedlichen Europa. Das zunächst einmal anzuerkennen, ist, glaube ich, eine wichtige Bedingung, um die Zukunft zu gestalten. Es ist wahrhaft nicht alles gut auf dem Planeten, aber vieles geht in die richtige Richtung. So sinken zum Beispiel die Geburtenraten weltweit kontinuierlich, die Armut nimmt ab. Hat man darüber jemals in den Medien gelesen oder gehört?
An einer Stelle in „Zukunft wagen“ heißt es, dass sich Jammern und Nörgeln wie Mehltau über alle Diskussionen gelegt hat. Das Kritische ist zur Mehrheitsmeinung geworden.
Nicht das Kritische ist das Problem, sondern das „Negativistische“. Kritisch sein heißt ja, etwas verändern zu wollen. Der Negativist will aber nur seine schlechte Laune bestätigen, und dafür biegt er sich die Welt zurecht. Es ist ja heute zum guten Ton geronnen, alle Politiker Idioten zu nennen, „die Wirtschaft“ als Beutelschneider zu denunzieren und grundsätzlich von einzelnen Extrembeispielen auf das Ganze zu schließen. Wird ein Fall von Kindesmissbrauch bekannt, lauert gleich hinter jeder Hecke ein Kinderverzahrer, wird ein Fall von Korruption aufgedeckt, heißt es gleich: Alle „da oben“ sind korrupt. Dabei ist die Aufdeckung ein Indiz dafür, dass die Warnsysteme funktionieren, eben für Nicht-Korruption! Im Angst-und-Jammer-Universum wird einfach alles als Anzeichen kommender Katastrophen und Untergänge gedeutet. Wenn die Preise fallen, weist das auf die kommende Endzeit durch Deflation hin. Wenn sie steigen, wird Inflation unsere Ersparnisse auffressen. Auf die Idee, dass es Schwankungen in ökonomischen Systemen geben muss, und dass das ganz natürlich ist, kommt man gar nicht.
Ist es das, was Sie mit dem schönen Ausdruck „hysterischer Stammtisch“ umschreiben?
Ich nenne das „apokalyptisches Spießertum“. Mitten im stabilen Wohlstand fürchtet man sich schrecklich und fühlt sich eigentlich ziemlich wohl dabei. In Österreich ist das ein bewährtes Lebensgefühl mit einigem Charme. Wenn es mal tatsächlich eine Krise gibt, kann das der Bodensatz für ganz üble Hysterien werden.
Sie bezeichnen die Medien als „aktive Produzenten von Erregung“ und sprechen von einer „mentalen Propaganda des Schlechten“.
Die Medien funktionieren wie ein Resonanz-System; sie unterstützen alle möglichen Hysterien und prägen daraus ihre eigene Währung: Aufmerksamkeit. Das geschieht oft sogar in guter Absicht. Der brave Jungredakteur, der brav alle apokalyptischen Szenarien kopiert, die sich schon seit zig Jahren als falsch erwiesen haben – das ist eine weit verbreitete Spezies. Wenn man sich manche Fernsehdokumentationen ansieht, möchte man manchmal schreien: „Halt, Stopp! Was ist das für ein Unsinn.“ Da werden Eisbären auf Eisschollen gezeigt, und dahinter droht wagnerianische Musik mit dem Weltenende, obwohl der arme Eisbär nur seinen Spaß hat. Apokalypse-Entertainment eben – aber der Macht der Bilder kann man sich nur schwer entziehen.
Ist unsere Gesellschaft zu einer Erregungsgesellschaft verkommen? Ist uns der Optimismus früherer Zeiten abhanden-gekommen?
Den Eindruck hat man zumindest manchmal, wenn man andere Länder bereist. Ich kenne bitterarme Kulturen mit einem hohen konstruktiven Optimismusfaktor, wo man weiß: Die Leute werden es schaffen, in zwei, drei Generationen werden sie in den Wohlstand aufgestiegen sein. Vielleicht spielt hier auch die katholische Tradition eine Rolle, diese enge Verflechtung von Schuld und Sühne. Wir fühlen uns schuldig für den Wohlstand und erwarten eine Art Gottesgericht, und das projizieren wir dann zum Beispiel in die „Rache der Natur“ oder den „Untergang des Kapitalismus“ oder den „Zerfall Europas“.
In Ihrem Buch ist die Rede von „selektiver Erinnerung“, wonach man sich – salopp gesagt – die früheren Zeiten über Gebühr schönredet.
Das geht auf die Untersuchungen von Kahnemann und anderen Kognitionspsychologen über die Art und Weise zurück, wie unser Gedächtnis Welt – und Zukunft – konstruiert. In Wahrheit erinnern wir uns nicht an „Wahres“, sondern unser Hirn konstruiert Erinnerung je nach Bedarf – um sich gut zu fühlen zum Beispiel, die eigene Jugend zu verklären. Dadurch entsteht ein Eindruck der abschüssigen Bahn: Früher war alles besser, und jetzt wird alles immer schlechter. Dadurch können wir reale Verbesserungen kaum wahrnehmen. Und schließen falsch auf die Zukunft.
Sie hinterfragen von „Weltuntergangspropheten“ aufgeworfene Krisenszenarien wie die Rohstoffknappheit oder die Bevölkerungsexplosion …
Wir denken in Sachen Zukunft gerne in linearen Modellen und abgeschlossenen Systemen und halten das für „ökologisch“. Weil das so schön einfach ist, reduzieren wir die Komplexität der Welt: Man nennt das auch „cognitive ease“. Zum Beispiel die Rohstoff-Frage: Das übermächtige Weltmodell basiert auf der Vorstellung, Rohstoffe hätten die Menge X, und wir würden sie irgendwann verbraucht haben, und dann käme die große Krise, und wir sind alle tot. Auf diesem System basieren alle Annahmen des Club of Rome, dessen Weltmodelle bis heute den Zukunftsdiskurs prägen, obwohl sie fatale Fehler enthalten. Nun hat diese These aber noch bei keinem Rohstoff gestimmt. Viele Rohstoffe, wie Metalle, werden zunehmend recycelt, neue Vorkommen werden entdeckt, effektivere Verfahren erfunden oder Ersatzstoffe genutzt. Menschen sind erfinderisch, sie finden neue Wege des Fortschritts. Die Steinzeit ist auch nicht am Mangel an Steinen zu Ende gegangen. Jeden Tag strahlt die Sonne das Zigtausendfache der Energie ab, die die Menschheit jemals verbrauchen kann. Die Erde ist kein geschlossenes System, wir leben nicht in Mangel-, sondern in dynamisch-adaptiven Systemen. Ich plädiere für ein neues Weltbild der dynamischen Nachhaltigkeit, in der die Zukunft nicht nur aus Verzicht, Rückbau und Verbrauchskontrolle besteht.
Eine Ihrer Aussagen lautet: „Wir leben nicht in der finalen Wirtschaftskrise, sondern im größten Wirtschaftsboom aller Zeiten.“ In Zeiten wie diesen ist das eine bemerkenswerte Ansage …
Etwa drei Milliarden Menschen in den Schwellenländern sind auf dem Weg in den Wohlstand. Das bedeutet, wir haben noch mindestens zwanzig Jahre einen weltweiten Nachfrageboom. Die schiere Anzahl von Menschen, die erfolgreich nach Wohlstand streben, erweitert gigantisch die Weltmärkte, gleichzeitig steigt auch der Bedarf nach neuen, intelligenten Lösungen im Bereich Recycling, Energie, Mobilität, Gesundheit, Logistik. Hier sind europäische Unternehmen ganz vorne; Globalisierung nützt allen Spielern auf dem Feld der vernetzten Wirtschaft. Allerdings wird sich unser Bild von Wohlstand wandeln: Es geht in Zukunft nicht mehr um „mehr haben“ und „mehr Wachstum“. Wir brauchen einen postmateriellen Wachstumsbegriff. Dann könnten wir uns vielleicht endlich von der ewigen Angst vor dem „Ende des Wachstums“ verabschieden.
Und Europa würde sich durch seine Krisen weiterentwickeln …
Wohl dem, der eine Krise hat – und ihre Botschaft annimmt! Eine Ehekrise zum Beispiel führt zu einer Verbesserung der Beziehung – oder zur Scheidung, was ja durchaus auch eine richtige Entscheidung sein kann. In gewisser Weise haben wir vielleicht erst realisiert, was wir an Europa haben, als die Eurokrise ausbrach. Europa wird auch geformt von seinen Bewährungen. Die Ukraine zum Beispiel wird uns näher zueinanderführen. Denn solche Konflikte kann man nicht als kleiner Nationalstaat bewältigen. Wir ahnen, dass die Zukunft nach anderen Regeln spielt.
Entwickelt sich denn auch die Politik weiter? Gerade als Österreicher hat man da zunehmend seine Zweifel angesichts der Reformunwilligkeit der Bundesregierung.
Ich weiß, das ist pure Ketzerei, aber ich möchte die gängige These des „Reformnotstands“ einmal sanft infrage stellen. Vielleicht funktioniert das „Modell Österreich“ ganz gut – und das Beste, was man in diesem Land politisch erhoffen kann, ist sanftes Nachsteuern …
Zukunft beginnt für Sie mit einem Loslassen. Lautet so Ihr Fazit?
Ich ermutige ängstliche Menschen dazu, einmal tief durchzuatmen und sich vorzustellen: Alles, was ich über die Zukunft glaube, existiert nur in meinem Kopf, als Wertung, die mehr mit meinen Gefühlen als mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das kann sehr befreiend sein. Es gibt eben auch viele positive Tendenzen. Und es führt zu einer Selbst-Ermächtigung: Ich realisiere, dass ich in einem ganz erheblichen Maß meine Zukunft bestimmen kann, wenn ich mich nicht von negativen Illusionen ablenken lasse. Zukunft beginnt im Kopf – mit der Überwindung alter Denkmuster.
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