René Schmidpeter

Er ist ein international anerkannter Stratege für CSR (Corporate Social Responsibility), Vordenker und Publizist. Er lehrt an renommierten Hochschulen im In- und Ausland und ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für humane Marktwirtschaft in Salzburg. Er hat zudem einschlägige Publikationen zum Thema „Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen“ veröffentlicht und ist Herausgeber der CSR-Management-reihe sowie der internationalen Flaggschiffreihe „CSR, Sustainability, Ethics and Governance“ beim Verlag Springer Gabler.

Viva la Gemeinwohl! Ein Wolf im Schafspelz

September 2014

Warum sollte die Freiheit des Einzelnen dem Prinzip des Gemeinwohls geopfert werden? René Schmidpeter, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für humane Marktwirtschaft in Salzburg, über die Fehler der Gemeinwohlökonomie-Theorie.

Ideen verändern die Welt – im Guten wie im Schlechten. Und oft ist der Kern von Ideen nicht leicht zu erfassen bzw. sind die Konsequenzen nur schwer abzuwägen. Deswegen gilt es bei Vorschlägen wie der Gemeinwohlökonomie, die Folgen klar zu analysieren und zu benennen. Es besteht nämlich ein gravierender Unterschied zwischen der Idee der sozialen Marktwirtschaft und der Gemeinwohlökonomie! Die soziale Marktwirtschaft basiert auf der konstruktiven Nutzung von Wettbewerb – und ist im Gegensatz zur Gemeinwohlökonomie ein marktwirtschaftliches System. Die Gesellschaft profitiert durch die in der sozialen Marktwirtschaft entfaltete unternehmerische Kreativität. Hätte man zum Beispiel im 19. Jahrhundert einen „Gemeinwohlrat“ entscheiden lassen, was die Gesellschaft „wirklich“ braucht, wäre die Gemeinwohlplanung wohl schnell auf schnellere Pferde gekommen. Jedoch waren es Unternehmer, die unter den Bedingungen des Wettbewerbs und des freien Marktes das Automobil erfunden haben. Und aus 100 Prozent Marktanteil für Pferdekutschen wurden in wenigen Jahren 100 Prozent Marktanteil für Automobilhersteller und eine Welt, in der immer mehr Menschen sich günstig und effektiv fortbewegen können.

Natürlich hat dies einige Unternehmen und Menschen (z. B. Kutschenhersteller und -lenker) hart getroffen, aber in der Gesamtheit hat die unternehmerische Freiheit – mit eigenem Risiko innovative Produkte zu entwickeln – das Wohl der Menschen sehr befördert. Es ist sicherlich auch wichtig, Solidarität zu leben und dafür zu sorgen, dass die Schwachen und Bedürftigen auch am allgemeinen Fortschritt beteiligt sind – eine Idee, die bereits Adam Smith formulierte und welcher Julius Raab und Ludwig Erhardt im System der sozialen Marktwirtschaft zur Realität verholfen haben. Ein System, welches den Menschen in den Mittelpunkt stellt, mit all seinen Stärken und Schwächen. Ein System, welches die Kooperation zwischen Angebot und Nachfrage immens befördert, indem beide Seiten im freien Tausch gewinnen. Ein System, das den Wettbewerb nutzt, um das Leben aller besserzustellen!

Daher muss die Frage berechtigt sein, warum im Namen des Gemeinwohls ausgerechnet dieser für uns alle förderliche Wettbewerb abgeschafft werden sollte? Warum sollte man Unternehmer, die mit ihrem eigenen Vermögen das Unternehmen aufbauen und das Risiko tragen, um die Früchte ihres Ertrags bringen? Warum sollte ein „Gemeinwohlrat“ vorgeben dürfen, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht? Ist es erlaubt, Fleisch zu essen, oder gibt es dafür „Gemeinwohl“-Punktabzug? Ist das Wohl des Einzelnen weniger wert als das Wohl der Gemeinschaft? Muss die Freiheit des Einzelnen gar dem Prinzip des Gemeinwohls geopfert werden? Kann die Minderheit des „Gemeinwohlrates“ der Mehrheit ihren Willen aufzwingen? Die Demokratie muss diese Forderungen frühzeitig einer allgemeinen Betrachtung unterziehen, um die Folgen für alle transparent zu machen. Auch weil viele Ideologien im Schafspelz daherkommen, um sich dann schnell als Wolf zu entpuppen.

Der erste zentrale Fehler ist sicherlich bereits geschehen, wenn sich die Gemeinwohlökonomie selbst als marktwirtschaftliches System bezeichnet. Denn das zentrale Element einer Marktwirtschaft ist per Definition der Wettbewerb – den die Gemeinwohlökonomie mit aller Vehemenz ablehnt. Denn sie verkennt, dass wir den Wettbewerb eben nicht als Selbstzweck zulassen, sondern diesen als ein Mittel zur Förderung der Kooperation und damit zur Besserstellung aller sehen. Die Gemeinwohlökonomie formuliert somit keine neue Alternative, sondern verpackt die Ideen des Marxismus in neue Worthülsen.

Der zweite Kardinalfehler ist, dass sie den wissenschaftlich beobachtbaren Unterschied zwischen dem menschlichen Verhalten in einer Kleingruppe und einer Großgruppe nicht berücksichtigt. Es ist ganz natürlich, dass Menschen in ihrem Handeln einen Unterschied machen, je nachdem, ob sie in der Familie (Kleingruppe) oder in der Weltgemeinschaft (Großgruppe – über sieben Milliarden Menschen) agieren. So ist es verständlich, dass ich meiner Oma am Wochenende unentgeltlich bei der Gartenarbeit helfe, meinen Kunden in Asien jedoch die Arbeitszeit für die Erstellung eines Auftrags in Rechnung stelle. Verhalte ich mich im zweiten Fall unkooperativ? Oder mache ich einfach einen nachvollziehbaren Unterschied zwischen meinem Verhalten am Markt und in der Familie? Diese auch psychologisch notwendige Differenzierung zwischen Groß- und Kleingruppen erklärt das unterschiedliche Verhalten von Menschen. Die Gemeinwohlökonomie hingegen interpretiert dieses unterschiedliche Verhalten vorschnell als negatives Resultat des Wettbewerbs. Daher ist der Vorschlag der „Gemeinwohl“-Anhänger, die von ihnen gewünschten Verhaltensweisen direkt von der Klein- auf die Großgruppe zu übertragen, weder theoretisch noch empirisch haltbar.

Zum anderen wird in der Gemeinwohlökonomie gefordert, dass es niemandem zum Vorteil gereichen darf, wenn er sich aus bloßem „Gewinnmotiv“ sozial und ökologisch verhält. Dies ist sicherlich ein weiterer, schon der dritte, Kardinalfehler. Denn es stellt sich natürlich schnell die Frage: Sollen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nur deshalb gut behandeln, um dadurch höheren Einsatz und Arbeitsleistung zu erzielen, dafür bestraft werden, weil sie ja aus dem vermeintlich „falschen“ Motiv heraus handeln? Sicherlich nicht! Gerade das Motiv der Gewinnerzielung führt zu vielen gewünschten Resultaten: So versucht der Unternehmer, für den Kunden die optimale Leistung zu erbringen, um diesen für sich zu gewinnen. Er schafft für seine Mitarbeiter ein gutes Arbeitsumfeld, um deren Motivation und Loyalität zu erhöhen. Er setzt sich für sein Umfeld ein, weil er weiß, dass sein Unternehmen sich nur in einem prosperierenden Umfeld positiv entwickeln kann. Das Gewinnmotiv ist nicht kontraproduktiv, sondern ganz im Gegenteil: Es schafft Anreize, die gesellschaftlich dringend benötigte Wertschöpfung effizient und in Kooperation mit anderen zu organisieren!

Als Letztes bleibt nur die Bitte an alle, die die Gemeinwohlökonomie auf dem Schild tragen, die dargelegten Argumente kritisch zu reflektieren. Wollen sie wirklich weiter „Viva la Gemeinwohl“ singen und sich einsetzen für ein Ethik-Regime, Abschaffung der Marktwirtschaft und letztlich die Unfreiheit des Individuums – während Milliarden von Menschen weltweit gerade die Vorteile der Marktwirtschaft für sich entdecken?

Kommentare

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Schmidpeter hat die Bücher von Felber entweder nicht gelesen oder nicht verstanden. Selbstverständlich soll es in der GWÖ weiterhin einen Markt und auch einen Wettbewerb geben! Nur sollen die Rahmenbedingungen gemeinwohlorientiert gestaltet werden.
Würde mich doch brennend interessieren, wer in dem von Herrn Schmidpeter FREI ERFUNDENEN "Gemeinwohlrat" sitzt... Er hat das Konzept der Gemeinwohlökonomie offensichtlich nicht verstanden, und maßt sich dennoch ein Urteil darüber an. Solche "Vordenker" brauchen wir sicher nicht.
Der Beitrag zur Gemeinwohlökonomie will drei Kardinalfehler sehen, die vom Autor Schmidpeter leider alle falsch diagnostiziert sind. Selbstverständlich gibt es beim Konzept der Gemeinwohlökonomie weiterhin einen Markt, als auch einen Wettbewerb (wenn auch mit mehr Möglichkeiten zur Kooperation). Das Gleichnis mit der Kutsche ist unpässlich, denn technische und soziale Innovationen wird es auch bei einer Gemeinwohlökonomie weiterhin geben. Grundlage dazu ist selbstverständlich ein gesundes Wirtschaften in jedem Betrieb, mit dem Unterschied, dass Gewinne üblicherweise reinvestiert und der Rahm von Shareholdern nicht abgeschöpft werden soll.