Peter Freiberger

Bewegte Natur am Ende der Welt

Juni 2017

Das Ende der Welt bildet den Schauplatz dieser Wanderung. So nennen jedenfalls einige das versteckte Dörfchen Sibratsgfäll im Bregenzerwald. Die Georunde in der Parzelle Rindberg bietet packende Einblicke in die Hangrutschkatastrophe von 1999.

Die Sibratsgfäller können dem gewagten Vergleich mit dem Ende der Welt verständlicherweise wenig Positives abgewinnen. Fakt ist: Der pittoreske 400-Einwohner-Ort liegt abseits der Durchzugsstraßen eingebettet in eine herrlich liebliche Landschaft aus Wiesen, Hügeln und Tälern. Wundervoller könnte das Ende der Welt gar nicht sein.

In Sibratsgfäll gibt die Natur den Ton an. Noch zu gut ist das Jahr 1999 in Erinnerung. Damals im Mai setzten sich die Berghänge in der Parzelle Rindberg in Bewegung. Auf einer Fläche von 250 Fußballfeldern waren Menschen mit ihren Wohn- und Ferienhäusern, Tiere, Wald, Wiesen, Straßen und Alpgebäude betroffen. Eine große Evakuierungsaktion begann. Häuser wurden talwärts geschoben, beschädigt oder zerstört.

Vor der Katastrophe waren innerhalb von zwei Wochen rund 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresniederschlags gefallen. Der Regen ließ außerdem die letzten vorhandenen Schneereste in kurzer Zeit schmelzen. Im Verlauf des Jahres wanderten die Häuser in Rindberg schließlich teilweise bis zu 180 Meter ins Tal. 17 Gebäude wurden zerstört oder schwer beschädigt, 65 Hektar Wald vernichtet, 85 Hektar Almfläche als Weideland unbrauchbar und 5,7 Kilometer Straßen unpassierbar.

Georunde Rindberg

Die Georunde Rindberg, ein Themenwanderweg mit acht Stationen, gibt Einblicke in das Drama von damals. Selbst fast 20 Jahre später lassen sich Kraft und Gewalt der Natur spüren, wie es niemand erwarten würde.
Wir fahren in den Bregenzerwald nach Hittisau und von dort nach Sibratsgfäll. Im Dorfkern links an der Kirche vorbei und auf der immer schmaler werdenden Straße nach Rindberg. Der Startpunkt der Georunde ist linker Hand der Straße angeschrieben. Geparkt wird ungefähr 100 Meter weiter.

Direkt beim Start befindet sich schon die wahrscheinlich spektakulärste Station des Themenwegs: Felbers schiefes Haus. Das ehemalige Ferienhaus hat sich bei der Rutschung insgesamt um 18 Meter bewegt, ohne größere Schäden zu erleiden. Es schwamm wie auf Wasser. Jetzt steht es schief im Hang.

Ein bizarrer Anblick, der sich bietet. Und die Sinne spielen verrückt, wenn man sich in Schieflage der Eingangstür nähert – über Schwindelgefühle sollte sich niemand wundern. Laienhafte Erklärung dafür: Das menschliche Gehirn ist verwirrt, wenn es ein schräg im Hang befindliches Haus zu verarbeiten hat. In dem Gebäude kann eine Ausstellung über die Ereignisse und über den Naturpark Nagelfluhkette besichtigt werden. Dafür ist allerdings eine Voranmeldung im Tourismusbüro Sibratsgfäll erforderlich.

Auf einem breiten Weg geht es dann durch herrliche Wiesen sanft hinauf. Im Bereich der zweiten Station „Das gewanderte Haus“ halten wir uns bei der Wegteilung in gleichbleibender Richtung aufwärts (nicht links abzweigen).
In etwa 1100 Metern Höhe teilt sich die Route. Hier könnte man der Variante „Georunde Rindberg Riesalpen“ folgen. Wir hingegen begnügen uns mit der klassischen Georunde Rindberg und wandern rechter Hand hinab. Wer probieren möchte, wie es sich in der Schräge wohnt, setzt sich an der Station auf einen der Stühle an den Tisch.

Sinne spielen einen Streich

Knapp unterhalb lohnt es sich, den kleinen Kubus zu betreten, der – wie sollte es anders sein – schief im Hang steht. „Alles im Lot?“ lautet die Frage. Die Antwort fällt aus: „Eher nicht“. Denn die Sinne spielen uns wieder einen Streich – Schwindelgefühle! Ein paar Meter weiter unten öffnet sich der Blick auf den Abriss der großen Rutschung vom Mai 1999. Zaunpfähle, die plötzlich schief standen, bildeten die Vorboten der Katstrophe.

Beim Bauernhof orientieren wir uns abermals rechts und spazieren zur nahen Marienkapelle. Hierbei handelt es sich um einen Neubau. Die alte Kapelle stand an einem anderen Platz und wurde 1999 zerstört. Im Anschluss an die Kapelle geht es an der Wegteilung in gleichbleibender Richtung zum Gasthaus Alpenrose, dem letzten Punkt der Georunde. Das Gasthaus konnte dank der Solidarität vieler Einheimischer gerettet werden.

Etwa eine Stunde dauert die Wanderung bis hierher – inklusive Studium der einzelnen Stationen. Was liegt jetzt näher, als in der Alpenrose einzukehren? Vielleicht lässt sich die Schieflage des Hauses von einigen Zentimetern ja spüren. Bis zum Parkplatz beziehungsweise Ausgangspunkt sind es schließlich nur noch wenige Meter.

Übrigens: Die Natur in Sibratsgfäll bewegt sich nach wie vor. So wandert beispielsweise das Feuerwehrhaus jährlich um zweieinhalb Zentimeter talwärts, das Siedlungsgebiet um eineinhalb Zentimeter.

Talort: Sibratsgfäll (929 m)
Ausgangspunkt: Parkplatz am Beginn der Georunde in der Parzelle Rindberg (rund 1000 m) in Sibratsgfäll
Strecke: Wiesenweg, (wenig befahrene) Straße
Höhenunterschied: je rund 100 Höhenmeter Auf- bzw. Abstieg
Entfernungskilo­meter: 1,8 km
Gehzeit: rund eine Stunde (inklusive Aufenthalt bei den Stationen)
Voraussetzung: keine besonderen Voraussetzungen
Kinder: ab dem Kleinkindalter
Mountainbuggy: ja
Ausrüstung: festes Schuhwerk
Einkehrmöglich­keiten: Gasthaus Alpenrose, Tel 05513 2214, www.alpenrose-rindberg.at; diverse Einkehrmöglichkeiten in Sibratsgfäll
Anreise mit Öffis: Landbus 41 von Dornbirn nach Sibratsgfäll (Dorfzentrum); rund 30 Minuten Fußweg vom Dorfzentrum zum Ausgangspunkt

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