Peter Freiberger

Im Hier und Jetzt sein

März 2017

Klettern hat sich in Vorarlberg zum Breitensport entwickelt – zu fast jeder Jahreszeit. Mehr als 60 Klettergärten im überschaubaren Land sprechen eine deutliche Sprache. Was macht den Boom aus? Vorarlbergs Kletterlegende Beat Kammerlander erklärt die Vorzüge dieser relativ jungen Sportart und stellt ein paar seiner Lieblingsrouten vor.

Der inzwischen 58-jährige Profikletterer aus Feldkirch und seine Kollegen nahmen in jungen Jahren täglich das Risiko in Kauf, tödlich abzustürzen. Diese Zeiten haben sich geändert. Heute dominiert das Sportklettern in den Klettergärten- und hallen und in gut gesicherten alpinen Wänden. „Klettern wurde zu einer sicheren Sportart“, stellt Kammerlander fest.

Der gebürtige Nüziger hat einen internationalen Meilenstein gesetzt, als er 1991 in der rund 400 Meter hohen Südwand der siebten Kirchlispitze im Rätikon die „Unendliche Geschichte“ – die damals schwierigste alpine Sportkletterroute im oberen zehnten Grad – Rotpunkt kletterte. Der Schwierigkeitsgrad X plus war „eröffnet“. Zur Erklärung für alle Nicht-Kletterer: Rotpunkt bedeutet, eine Route aus eigener Kraft zu durchsteigen, ohne die Sicherungskette zu belasten. Bisher gab es erst drei Wiederholungen der „Unendlichen Geschichte“. Nummer zwei und drei gelang im Jahr 2015 zwei Damen – der in Bludenz wohnhaften Tirolerin Babsi Zangerl und ihrer Schweizer Seilpartnerin Nina Caprez.

Klettern hat Status eines Breitensports

Der Alpenverein hat mit dazu beigetragen, dass Klettern inzwischen eine hohe Akzeptanz genießt und als Breitensport gilt. In vielen Bereichen Vorarlbergs entstanden mithilfe des Alpenvereins Klettergärten, es gibt eine Vorstiegskletterhalle in Dornbirn sowie Boulderhallen in Bludenz, Bürs (Klimmerei) oder in Rankweil (Steinblock), wo ohne Seil in Absprunghöhe geklettert werden kann.
„Von unseren rund 25.000 Mitgliedern klettern mehr als 25 Prozent“, sagt Rainer Schlattinger, Geschäftsführer vom Alpenverein Vorarlberg. Die Nachfrage nach Kursen sei dermaßen groß, dass die Heerschar an Ehrenamtlichen diese gar nicht abdecken könne. „Viele Sportbegeisterte ziehen den Gang in die Kletterhalle dem in ein Fitnessstudio vor“, weiß Beat Kammerlander. „Unser Sport bietet die Möglichkeit eines Ganzkörpertrainings.“ Zahlreiche Sportlehrer an Vorarlbergs Schulen klettern selbst – und geben ihre Leidenschaft und Können an die Schüler weiter. „Im Land hat sich eine tolle Kletterszene entwickelt“, freut sich der Profi.

Diese Szene ist auch im Winter aktiv. Klarerweise erfreuen sich gerade in der kalten Jahreszeit die Kletter- und Boulderhallen großer Beliebtheit, in den Klettergärten herrscht aber ebenfalls Betrieb.
Stichwort Winter: In der kalten Jahreszeit kommen die Eiskletterer voll auf ihre Kosten. „Diese Kletterdisziplin erlebte vor Jahren einen starken Aufschwung, der große Boom hat jedoch etwas nachgelassen“, sagt Kammerlander. Er selbst hat vor wenigen Wochen den Fallbachwasserfall (700 Klettermeter bei einer Wandhöhe von 550 Metern) im Klostertal durchstiegen. Der Fallbachfall ist der längste Wasserfall in ganz Österreich.

Im Brandnertal bieten sich laut dem Experten viele ausgezeichnete Möglichkeiten für die Eiskletterer. Allerdings macht dort immer wieder der Föhn einen Strich durch die Rechnung. Die Eiskletterer kämpfen generell mit Wintern, die – im Gegensatz zu früher – nicht mehr durchgehend richtig kalte Temperaturen bieten. Die Konsequenz: Richtig gute Linien bauen sich inzwischen nur noch in mehrjährigen Abständen auf. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Zahl der Eiskletterer mittlerweile gesunken ist.

Beat Kammerlander, selbst zweifacher Vater, erachtet das Klettern auch als ideale Sportart für Kinder – nicht zuletzt aufgrund der sozialen Komponente. „Beim Klettern lernen sie, im Hier und Jetzt zu sein und überdies Verantwortung zu übernehmen. Sie wissen, dass sie ihren Partner nie zu früh aushängen dürfen, weil er sonst tot sein könnte. Darüber hinaus klettert man miteinander, nicht gegeneinander.“ Rein athletisch betrachtet verändern sich die Körper von Kindern, die regelmäßig klettern, sehr positiv. Kammerlander: „Da wachsen junge Athleten heran.“
Alpenvereinsgeschäftsführer Rainer Schlattinger hat noch einen Aspekt ausgemacht, der dem Klettersport zum Aufschwung verholfen hat: „Klettern kostet nicht viel.“
Den Schritt von der Boulder- beziehungsweise Kletterhalle oder dem Klettergarten in die alpinen Wände wagen aber nicht alle. Die Plaisirrouten – also jene, bei denen der Klettergenuss aufgrund bester Absicherung im festen Fels im Vordergrund steht – sind dafür ziemlich überlaufen.

Tipps vom Profi Kammerlander

Für Beginner empfiehlt Beat Kammerlander die Klettergärten in Nüziders (Hängender Stein), in der Feldkircher Felsenau, in der Bürser Schlucht, in Nofels und in Koblach. Wer sich dem High-End-Sportklettern verschrieben hat, für den bietet beispielsweise die international bekannte Bürser Platte extreme Möglichkeiten. Dort hat Kammerlander selbst mehrere Routen in den obersten Schwierigkeitsbereichen eröffnet. Und allen, die es gemütlicher im alpinen Fels angehen möchten, legt er die Route Via Cosimo (Schwierigkeitsgrad V) in der Roten Wand im Lechquellengebirge ans Herz.

Apropos ans Herz legen: Anfänger sollten laut Kammerlander unbedingt mit einem guten Bergführer die ersten Griffe wagen. Der vermittle die Sicherungstechniken, richtiges alpines Verhalten und Wissen über alpine Gefahren. „Dieser Einsatz zahlt sich hundertmal aus.“

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