Stefan Hagen

Projektmanagement und Organisationsentwicklung

Thomas Gabriel

Unternehmer (Molindo) und Mitgründer der Initiative Startupland.

Florian Dünser

Inhaber voor – Agentur für Digitalkommunikation www.voor.at

Am Puls der Zeit

März 2021

Was bereits ist und was sein sollte – über Digitalisierung in Vorarlberg.

Die Pandemie hat Digitalisierung und Automatisierung massiv beschleunigt, heißt es vielfach. Doch ist dem so, auch in Vorarlberg? Was ist in unserem Land Stand der Dinge? „Thema Vorarlberg“ hat drei ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der Digitalisierung – Stefan Hagen, Thomas Gabriel und Florian Dünser – gebeten, in ihrem Bereich jeweils einen Blick auf die aktuelle Situation und auf künftige Herausforderungen zu richten. 

 

 

 

Dieser Gedanke wird Sie vielleicht überraschen: In hoher Komplexität und Dynamik ist der Faktor Mensch der Schlüssel zum Erfolg.
Stefan Hagen Institut für Dynamikrobuste Organisation (Partner) www.hagen.management

 

Die dynamikrobuste Organisation Höchstleistung in Zeiten der Digitalisierung

Wie sind „digital champions“ organisiert? Hat das Ganze etwas mit „new work“ zu tun? Was ist eigentlich „digital leadership“? Und wirkt Corona als Beschleuniger des Wandels? Fragen über Fragen. Und noch mehr Buzzwords, die das Denken vernebeln.
In diesem kurzen Beitrag möchte ich Ihnen fünf Gedanken für die unternehmerische Praxis mitgeben. Es sind theoriebasierte Gedanken zum Nach-, Vor- und Weiterdenken. Denn Theorie hilft, gute Ideen von Schnapsideen zu unterscheiden. Und auf GUTE IDEEN sind wir aktuell mehr denn je angewiesen. Nur so können wir unsere Zeit und Energie sinnvoll einsetzen.
Selbstverständlich darf es aber nicht bei den Ideen und der Theorie bleiben. Es braucht vor allem auch mutiges AGIEREN, Kooperieren und Ausprobieren. Obwohl – oder gerade weil – die Lage komplex und unübersichtlich ist.

1. Digitalisierung ist ein Modebegriff

Digitalisierung ist der aktuell gängige Begriff für Technologie. Vereinfacht ausgedrückt, hilft Technologie, menschliche Grenzen zu überwinden und folglich Menschen zu entlasten. Der Faustkeil war vor rund 1,75 Millionen Jahren die erste Technologie, die unsere Vorfahren entwickelt haben. Das, was die Ära der Digitalisierung besonders macht, sind Geschwindigkeit und Radikalität des technologischen Fortschritts. Deshalb sprechen wir auch von „exponential technology“.

2. Marktdruck und Höchstleistung

Die Merkmale von unternehmerischer Höchstleistung haben sich in den letzten Jahrzehnten sukzessive verändert. In der Hochblüte der Industrialisierung waren vor allem effiziente, standardisierte und automatisierte Prozesse und Strukturen maßgeblich für den Unternehmenserfolg. Im Zeitalter der Digitalisierung wurden Märkte immer globalisierter, gesättigter und damit enger. Bei zunehmendem Marktdruck steigt die Bedeutung echter Innovation. Die Voraussetzungen hierfür sind gute Ideen (=Menschen) und eine konsequente Umsetzung (=Organisation). Unternehmen, die vielfach als „digital champions“ bezeichnet werden, nennen wir auch dynamikrobuste Höchstleister. Diese Unternehmen halten dem Marktdruck nicht nur erfolgreich Stand – sie erzeugen Marktdruck in ihrer Branche.

3. Radikales UM-DENKEN

An den meisten Schulen und Hochschulen werden immer noch die industriell geprägten Managementkonzepte unterrichtet und gelehrt. Diese reichen aber bei Weitem nicht mehr aus, um Unternehmen in hoher, digital beschleunigter Dynamik erfolgreich zu gestalten, zu steuern und zu entwickeln. Die mit Abstand beste Alternative zur herkömmlichen Betriebswirtschaftslehre ist die Systemtheorie. Dies hat beispielsweise die St. Galler Managementlehre schon in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt. Es braucht nichts Geringeres als ein radikales Um-Denken – ein völlig neues Verständnis und Bewusstsein von Management, Organisation und Zusammenarbeit. Dazu hilft es theoretisch zu verstehen, was moderne und leistungsfähige Organisation ausmacht.

4. Der Mensch macht den Unterschied

Dieser Gedanke wird Sie vielleicht überraschen: In hoher Komplexität und Dynamik ist der Faktor Mensch der Schlüssel zum Erfolg. Das ist übrigens auch der gute Kern des New-Work-Ansatzes, der leider in weiten Teilen ins Reich der Absurditäten abgedriftet ist. Dynamikrobuste Organisationen schaffen es, einen stabilen Rahmen für Potenzialentfaltung und Hochleistungsteams zu schaffen. In diesen Unternehmen sind Menschen durch schwierige Marktprobleme angestachelt – vergleichbar mit einem Sportteam, das unbedingt gewinnen will. Entsprechend hart und leistungsorientiert ist auch das Training.

5. New Work ≠ Romantik

Menschliches Talent, Potenzialentfaltung und Teamleistung in den Fokus zu rücken, mag romantisch klingen. Das GENAUE GEGENTEIL ist der Fall. Dynamikrobuste Höchstleister zeichnen sich durch eine besonders klare und konsequente Geisteshaltung im Management aus. Führung mit Geist und Haltung bedeutet, das Richtige zu erkennen (=Geist) und das Richtige zu tun (=Haltung). Wenn diese Geisteshaltung von der Unternehmensspitze vorgelebt wird, kann eine nachhaltige Leistungs- und Innovationskultur entstehen. Eine Kultur, in der Menschen sprichwörtlich Bock auf Leistung und eigene Entwicklung haben. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es WOLLEN. Denn es gibt nichts SINNvolleres, als Markt- und Kundenprobleme noch besser und erfolgreicher zu lösen als die Mitbewerber. SO geht Höchstleistung in Zeiten der Digitalisierung.

 

Was Startups schon seit vielen Jahren vorleben, könnte auch für größere Unternehmen bald zur neuen Realität werden.
Thomas Gabriel ist Unternehmer (Molindo) und Mitgründer der Initiative Startupland.

 

Agiere wie ein Startup!

Die Corona-Krise hat die heimischen Unternehmen einiges gelehrt – vor allem im Hinblick auf die Digitalisierungsgeschwindigkeit. Prozesse, Strukturen und Kommunikationswege wurden im Turbogang auf den neuesten Stand gebracht. Viele Geschäftsmodelle hingegen orientieren sich an veralteten Mustern, die es aufzubrechen gilt. Das kann nur dann gelingen, wenn Innovation und Wachstum in den Fokus gestellt werden. Hier lohnt es sich, einen Blick über den eigenen Tellerrand zu werfen – denn das, was Startups schon seit vielen Jahren vorleben, könnte auch für größere Unternehmen bald zur neuen Realität werden.

Corona-Krise als Chief Digital Officer

Corona wirkte wie ein Chief Digital Officer, der den Status quo infrage stellt. In Krisenzeiten merkt man schneller, wo die Probleme liegen. Prozesse wurden im Schnellverfahren angepasst, digitale Vertriebsmodelle wurden quasi über Nacht geboren, und Homeoffice war plötzlich kein Fremdwort mehr. Ein unangenehmes Gefühl von Dringlichkeit wurde spürbar, und genau dieses war nötig, um wichtige Veränderungen zulassen zu können. Es braucht schnelle Entscheidungen, Experimente und eine positive Fehlerkultur – hier können sich viele Unternehmen eine Scheibe vom Start­up-Spirit abschneiden. 

Arbeiten in der Zukunft 

Volles Vertrauen in Mitarbeitende, flexible Arbeitsgestaltung und dezentrales Arbeiten – das ist bei Startups schon längst Standard. In den kommenden Jahren wird der Arbeitsplatz der Zukunft jedoch eine neue Dimension erreichen – Homeoffice wird nicht die alleinige Lösung bleiben. Neue Formen des Arbeitens werden sich etablieren, und der Trend hin zu mehr Flexibilität in der Arbeitszeit und dem Arbeitsumfeld wird weiter wachsen. Doch das ist nur möglich, wenn zugleich an einer neuen Form von Unternehmenskultur gearbeitet wird. 

Unternehmen müssen endlich umdenken

Ein Blick in andere Branchen zeigt, wie schnell es oft abwärts gehen kann, wenn man nicht am Puls der Zeit bleibt. So wurden bereits die Musik- oder Medienbranche von der großen Digitalisierungswelle überrollt, und viele Schwergewichte mussten das Spielfeld räumen. Unternehmen sind darauf angewiesen, Innovationen auch disruptiv zu entwickeln, um sich langfristig am Markt zu behaupten. Während Traditionsunternehmen den Fokus primär auf die inkrementelle Optimierung ihrer Produkte und Geschäftsmodelle in bekannten Märkten legen, geht es bei jungen Startups um das schnelle Finden und Skalieren digitaler Geschäftsmodelle in für sie neuen Märkten. Investitionen in bewährte Produkte reichen nicht mehr aus – Unternehmen müssen in disruptive Ideen investieren. Diejenigen, die das nicht erkennen, werden langfristig von der Bildfläche verschwinden. 

Mut zu radikalen Entscheidungen

Womit verdienen die Vorarlberger Unternehmen zukünftig ihr Geld? Es braucht neue Produkte, Plattformen und Lösungen, und genau dafür müssen wir radikal neue Wege beschreiten. Unternehmen sollten über das bestehende Kerngeschäft hinausdenken, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Es lauern überall neue Mitbewerber. Dazu stehen die Mittelständler und Startups stärker denn je im Fokus internationaler Investoren, insbesondere aus China und den USA: Übernahmekandidaten aus dem Bereich Zukunftstechnologie werden dringend gesucht. Es gewinnt, wer konsequent seine eigene Innovationsstrategie umsetzt. Hier können Corporate Innovation Teams Abhilfe schaffen. 
Es ist wichtig, dass man die Innovationsführer in einem Unternehmen identifiziert und ihnen Freiräume gibt. Arbeiten in interdisziplinären Teams wird ein Erfolgsgarant sein. Die Vernetzung mit der Startup-Szene kann unterstützend wirken, denn diese lebt den Spirit schon lange vor. Gleichzeitig sollten Konzerne aber auch stärker auf Startup-Be­teiligungen setzen. In der Praxis zeigt sich, dass Innovationen außerhalb der Organisation besser entstehen können. Unternehmen sichern sich mit Investitionen in diese Richtung die langfristige Wettbewerbsfähigkeit. 
Die Zeit für Ausreden ist vorbei. Gerade unter schwierigen Umständen ist oft mehr möglich. Der Formel-1-Weltmeister Ayrton Senna hatte einmal gesagt: „You cannot overtake 15 cars in a sunny weather ... but you can when it’s raining.“ Ab auf die Überholspur.

 

Für viele Betriebe waren es die ersten Schritte in eine Welt, die mit der ihr bekannten nicht viel gemeinsam hat.

Florian Dünser Inhaber voor – Agentur für Digitalkommunikation www.voor.at

 

Von zweifelhafter Solidarität und Überbrückungshilfen

Es ist nicht viel Positives, was wir mit Corona und den damit einhergehenden Begleiterscheinungen assoziieren dürfen. Und doch machte der erste Lockdown vielen Betrieben deutlich, wie schnell, einfach und effizient Menschen über digitale Kanäle erreicht werden können – vor allem in Relation zu anderen Marketing-Maßnahmen. Die Digitalisierung der heimischen Betriebe bog von der Begegnungszone direkt auf die Autobahn ab, auch in Klein- und Kleinstbetrieben war eine regelrechte Euphorie spürbar. Mit viel Kreativität und Ehrgeiz wurden über Nacht neue Vertriebswege aus dem Boden gestampft, regionale Multiplikatoren auf Social Media gesucht und Synergien mit Branche, Gemeinde, Kammer und anderen Partnern genutzt. Der eigene Tellerrand schien keine fest verankerte Grenze mehr zu sein. 

Keine Zeit für Verständnis

Maßnahmen, die auch retrospektiv nicht kleingeredet werden dürfen. Für viele Betriebe waren es die ersten Schritte in eine Welt, die mit der ihr bekannten nicht viel gemeinsam hat. Konsum- und Shoppingverhalten, Gesetzmäßigkeiten und Rahmenbedingungen erfordern eine Anpassungsgeschwindigkeit, mit der sich vor allem kleine und/oder traditionsreiche Betriebe oft schwertun. 
Trotz allem Verständnis: Digitalisierung ist kein Trend, sondern in Hinblick auf unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand alternativlos. Und mit einjähriger Distanz zum ersten Lockdown muss kritisch hinterfragt werden: Hat der Digitalisierungsturbo eine nachhaltige Basis geschaffen – oder war er eine notwendige, aber kurzfristige Überbrückungshilfe durch die ersten Monate der Krise? Und die Antwort ist so unbefriedigend wie aussichtsreich: sowohl als auch. 

Gekommen, um zu bleiben?

Viele Betriebe sehen bisherige Erfolgsmodelle in Kommunikation und Marketing durch die Zäsur der Pandemie nicht länger als gottgegeben an. Die Zwangspause wurde und wird genutzt, sich neu zu orientieren und, damit einhergehend, zu hinterfragen. Die ersten Gehversuche auf Instagram oder mit rudimentären click-and-collect-Konzepten waren bei manchen Betrieben Initialzündung für weitreichendere Maßnahmen. Denn es ist eben nicht in Stein gemeißelt, dass Geschäftsmodelle und Vertriebswege, die 40 Jahre lang gut funktioniert haben, auch nur in fünf Jahren noch von Erfolg gekrönt sind. Wie tickt meine Zielgruppe, wie trifft sie (Kauf-)Entscheidungen – und überhaupt: Wie hat sie sich in den vergangenen Jahren verändert, sind nur drei simple Fragen, deren Antwort Antrieb für Veränderung genug sein sollten. Und trotzdem: Mit diesen Fragen beschäftigen sich – Corona hin oder her – längst nicht alle Betriebe. Es sind noch viel zu viele, die wie Kleinkinder mit Blick auf die drohende Kollision die Augen verschließen – in der Hoffnung, davon verschont zu bleiben. 

Adieu Zukunftsperspektive

Das Internet wird nach wie vor in vielen Betrieben als Feind verpönt, Amazon nicht als Vorbild für Innovationsfreude und Kundenservice gesehen, sondern als Schreckgespenst und Monopolist verteufelt. Zweifelsohne soll kritisch und distanziert auch die Kehrseite der Medaille betrachtet werden – sie soll aber nicht Anlass dafür sein, die Augen vor der Realität zu verschließen. Oder anders gesagt: Jener Geschäftsführer, der im Jahr 2021 noch immer keinen Bock darauf hat, sich mit Google, Facebook, Amazon & Co auch nur zu beschäftigen, wird sich schwertun, eine Zukunftsperspektive für seinen Betrieb zu skizzieren. 

Zahlen lügen nicht

Denn die Fakten sind eindeutig, wie auch der kürzlich veröffentlichte „Digital 2021“-Report von Hootsuite zeigt. Herr und Frau ÖsterreicherIn verbringen demnach im Durchschnitt sechs Stunden pro Tag im Internet, davon knapp 2,5 Stunden mobil. Knapp 97 Prozent der Internetnutzer haben ein Smartphone, 65 Prozent einen Laptop oder einen Desktop-Rechner. Über 80 Prozent der Internetnutzer in Österreich haben in den vergangenen Monaten online eingekauft, über 90 Prozent haben sich über Dienstleistungen und Produkte im Internet informiert. 
Fakten, die auch bei fest verschlossenen Augen keinen Halt vor der drohenden Kollision machen. Die gute Nachricht: Wir haben Mittel und Möglichkeiten, auszuweichen. Jetzt braucht es vor allem eines: Reaktionsgeschwindigkeit.

 

Tipps: 
• Studie: Vom Wissen zum Können - Merkmale dynamikrobuster Höchstleistung (PDF):  http://dynamikrobust.com/studien
• Video: Im Gespräch mit Dr. Gerhard Wohland (Youtube): http://bit.ly/wohland_talk
• Buch: Wohland, Gerhard (2012): Denkwerkzeuge der Höchstleister. Warum dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen.

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