Plomben aus Beton
Bis 1925 war der Lünersee ein unberührter Bergsee, „der wohl jedem Besucher des Scesaplanagebietes unvergesslich bleibt. Durch die felsige, etwas öde Umgebung wird der Eindruck, den der tiefblaue See ausübt, noch erhöht.“ Richtung Norden trennt eine etwa 350 Meter hohe Steilstufe das Seebecken vom oberen Brandnertal, das von der Alvier entwässert wird. Das große Wasserreservoir und das immense Gefälle Richtung Tal weckten schnell die Begehrlichkeiten der expandierenden Energiewirtschaft, denn der Lünersee hatte schon als natürliches Gewässer einen nutzbaren Inhalt von 45 Millionen Kubikmeter, der durch den Bau einer Staumauer noch vergrößerbar schien.
In den 1920 Jahren nahmen die Pläne zum Ausbau der Wasserkraft in Vorarlberg konkrete Formen an. In der Generalversammlung der Vorarlberger Illwerke in Stuttgart am 25. April 1925 wurden die ersten Baumaßnahmen beschlossen, nämlich das Vermunt- sowie das Lünerseeprojekt, da diese eine wirtschaftliche Einheit bilden sollten. Unmittelbar nach der Entscheidung wurde am Oberlauf der Ill mit dem Bau des Vermuntwerks begonnen, während am Lünersee zunächst nur vorbereitende Arbeiten, nämlich die Absenkung des Sees und dessen Abdichtung, in Angriff genommen wurden.
Um den Lünersee, der gegen das Brandnertal durch eine Felsbarriere abgeschlossen wird, nutzbar zu machen, musste allerdings zunächst der Wasserhaushalt des Sees reguliert werden, denn der Abfluss zum Tal erfolgte nicht durch einen kontrollierbaren Überlauf, sondern durch Spalten, die sich an der engsten Stelle der Barriere befanden. Diese Spalten, durch die ein permanenter Wasserverlust zu verzeichnen war, sollten abgedichtet werden. Mit den Vorarbeiten dafür wurde durch die Vorarlberger Landesregierung schon lange vor der Gründung der Vorarlberger Illwerke begonnen. So wurde 50 Meter unter dem normalen Seespiegel ein Stollen bis zwei Meter an den See vorangetrieben, dieser wurde an zwei Stellen durch Betonwände abgeschlossen sowie zwei Schieber eingebaut, um den Abfluss des Seewassers nach der Sprengung zu regeln. Um die Wand, die den Stollen noch vom See trennte, zu sprengen, wurden 24 Löcher gebohrt und mit rund 50 Kilogramm Dynamit gefüllt. Da das Schauspiel dieser Sprengung vermutlich viele hunderte Zuschauer angelockt hätte, wurde sie geheim gehalten, um die Arbeiten ungestört durchführen zu können. Am 26. August 1925, abends um 6 Uhr und 36 Minuten, wurde der Stollen am Lünersee durchgeschlagen. Die Verantwortlichen zogen nach der gelungenen Aktion zufrieden Bilanz „Dieser Augenblick wird für alle Zeit ein wichtiges Ereignis im Ausbau der Wasserkräfte Vorarlbergs sein.“
Nun konnte das Wasser langsam abgelassen werden, was in den ersten fünf Wochen den Wasserspiegel schon um einen Meter sinken ließ. Die Absenkung hatte vor allem zum Ziel, die undichten Stellen an der Nordwand ausfindig zu machen. Aufgrund dieser Beobachtungen sollte dann die Abdichtung der durchlässigen Partien erfolgen. Die freigelegte Felswand wurde durch eiserne Leitern und Drahtseile an verschiedenen Stellen zugänglich gemacht und in Höhe des einstigen höchsten Seespiegels wurde ein horizontaler Arbeitsweg angelegt, in dessen Nähe die verschiedenen Baustelleneinrichtungen aufgestellt wurden. Dieser Weg war eine geeignete Arbeitsbasis, um an die einzelnen Stellen der Mauer gelangen zu können, soweit nicht der Zugang über den See selbst durch Kähne und Flösse erfolgte. Für die Dichtung der Spalten wurde vorgeschlagen, zunächst einige Meter tief den Fels auszusprengen, nach Möglichkeit immer innen breiter als außen, sodass die Betonplombe schwalbenschwanzförmig vom gesunden Gestein festgehalten wird und somit bei Frosteinwirkung nicht abspringen kann.
Der Lünersee galt schon damals als perfektes Terrain für die Energiewirtschaft, denn es war möglich, die 12,6 Millionen Kubikmeter aus dem jährlichen Zufluss noch durch den umgeleiteten Abfluss des Brandnergletschers zu ergänzen. Dieser sollte in 2400 Meter Seehöhe gefasst und durch einen 1,5 Kilometer langen Stollen in den See geleitet werden. Zudem wurde schon damals geplant, zusätzliches Wasser aus dem Rellstal mittels eines Pumpwerks in den See zu fördern.
Im „Vorarlberger Tagblatt“ wurde anlässlich der Absenkung des Lünersee über den aktuellen Stand der Vorarlberger Wasserkraft berichtet: „Das Jahr 1925 wird für den Ausbau der Wasserkräfte in Vorarlberg besonders denkwürdig sein. Das für die allgemeine Versorgung des Landes wichtige Gampadelswerk mit einer Jahreserzeugung von 15 Millionen Kilowattstunden wurde fertiggestellt und in Betrieb gesetzt. Das 1919 begonnene Spullerseewerk für die Versorgung der Arlbergbahn liefert seit dem Frühjahr Strom für den elektrischen Betrieb für die Strecke Innsbruck-Bludenz. Die riesige Staumauer am Spullersee, die seinen Inhalt von 2,5 auf 15 Millionen Kubikmeter erhöht, geht ihrer Vollendung entgegen. Die Vorarlberger Illwerke aber haben mit der Sprengung des Felsriegels am Lünersee am 26. August einen der bedeutendsten Schritte zur Verwirklichung ihrer großartigen Pläne getan.“ Aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung sollte es dann aber bis 1954 dauern, bis der Ausbau des Lünersees und des dazugehörigen Kraftwerks beginnen konnte. Das Potenzial des Lünersees scheint aber noch lange nicht erschöpft zu sein, ist doch mit „Lünersee II“ das größte Pumpspeicherkraftwerk Österreichs bereits in der konkreten Planungsphase.
Die gezeigten Fotografien sind der Öffnung des reichhaltigen Archivs der illwerke vkw zu verdanken. Seit einigen Jahren wird im Illwerke-Zentrum-Montafon in Vandans-Rodund ein digitales Archiv aufgebaut, wo Pläne, Fotografien, Akten und vieles mehr digitalisiert, aber auch im Original für die Nachwelt konserviert werden. Das Firmenjubiläum „100 Jahre Illwerke vkw“ wird nun zum Anlass genommen, die interessantesten Fotos der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In Kooperation mit der Vorarlberger Landesbibliothek werden heuer etwa 1000 Fotos der Firmengeschichte auf volare (www.vorarlberg.at/volare) aufrufbar. Den Anfang machen die 1920er Jahre mit der Gründung der Vorarlberger Illwerke und dem Bau des Kraftwerks Vermunt sowie den vorbereitenden Arbeiten am Lünersee und am Silvrettastausee.
„Der Lünersee gilt dem gemeinen Manne als ein geheimnisvolles, unergründlich tiefes Wasser. Als einmal einer ein Senkblei in denselben warf, so rief ihm aus der Tiefe eine Stimme entgegen: Ergründest Du mich, so verschlinge ich dich. In ihm hausen nach der Vorstellung des Volkes mancherlei Ungethüme, und viele Geister wurden von Kapuzinern und anderen frommen Priestern in den See verbannt. Es geht auch die Prophezeiung, er werde einmal ausbrechen, sein Wasser werde alsdann bei der Bludenzer Kirchenstiege bis zur siebten Kirchenstufe hinaufreichen und der ganze innere Walgau werde überschwemmt sein; bisher sei ein Ausbruch nur durch einen ungeheuren Felsblock gehemmt, der mit mächtigen eisernen Klammern an die unterirdische Öffnung angeschmiedet sei.“
Aus Franz Josef Vonbun: „Sagen Vorarlbergs“, 1889
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