
Über Gehalt spricht man (noch) nicht
Wenn Anfang November in vielen Ländern Europas Allerheiligen und Allerseelen begangen wird, hat diese Zeit in Finnland noch eine zweite, ganz eigene Bedeutung: In diesen Tagen veröffentlichen die Steuerbehörden die Einkommensdaten aller Bürgerinnen und Bürger. Medien berichten umfangreich, Nachbarn vergleichen sich, es wird über Fairness und Gerechtigkeit diskutiert. Auch hierzulande rückt das Thema nun stärker in den Fokus: Die EU verpflichtet Österreich, mehr Offenheit bei Gehältern gesetzlich sicherzustellen.
Während in Skandinavien offen über Gehälter gesprochen wird, herrscht in Österreich Zurückhaltung – im Privaten wie auch in Unternehmen. Zumindest Letzteres könnte sich womöglich ändern: Ab dem kommenden Jahr verpflichtet die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie Unternehmen zu mehr Offenheit gegenüber Bewerbern als auch innerhalb der eigenen Belegschaft. Eine aktuelle FHV-Studie zeigt jedoch: Viele Vorarlberger Betriebe sind darauf noch nicht ausreichend vorbereitet.
Gehaltstransparenz im Fokus
Die neue Richtlinie könnte – eine konsequente Umsetzung in nationales Recht vorausgesetzt – den bisherigen Umgang mit Gehältern auch in Österreich nachhaltig verändern. Künftig müssen Unternehmen in Stelleninseraten oder vor Bewerbungsgesprächen realistische Einstiegsgehälter nennen, während Fragen nach dem bisherigen Gehalt unzulässig sind. Beschäftigte erhalten zudem das Recht, Auskunft über das durchschnittliche Gehalt vergleichbarer Tätigkeiten einzufordern. Gehaltstransparenz wird von einer freiwilligen Option zu einer rechtlich bindenden Norm.
Eine Bestandsaufnahme unter mittleren und größeren Betrieben fällt mit Blick auf die neuen Vorschriften jedoch eher gemischt aus: So stellen nur etwa rund 30 Prozent der befragten Organisationen Vergleichswerte für gleichwertige Positionen bereit. Öffentliche Institutionen sind hier etwas weiter, in der Industrie bleibt diese Praxis jedoch eher die Ausnahme. Auch bei Gehaltsangaben in Stellenanzeigen zeigt sich ein ähnliches Bild. Das liegt auch daran, dass das Gleichbehandlungsgesetz seit 2011 lediglich die Angabe des kollektivvertraglichen Mindestentgelts vorschreibt. Lediglich deshalb, weil unsere Forschungsgruppe herausgefunden hat, dass diese Praxis eher zur Verfestigung des bestehenden Gender Pay Gaps beigetragen hat. Aus wissenschaftlicher Perspektive wäre es deutlich sinnvoller, mit realistischen Gehaltsspannen zu arbeiten, bei denen geschlechtsspezifische Unterschiede keine Rolle mehr spielen.
Gender Pay Gap: Schlusslicht Vorarlberg
Wie dringlich das Thema auch bei uns ist, zeigen die Daten: Mit einem (unbereinigten) Gender Pay Gap von mehr als 18 Prozent zählt Österreich zu den Schlusslichtern in Europa. Innerhalb Österreichs rangiert Vorarlberg zudem im Bundesländervergleich an letzter Stelle. Zwar umfasst diese vielzitierte Kennzahl auch strukturelle Unterschiede, die Unternehmen nur begrenzt beeinflussen können – der Grundsatz gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit fällt jedoch klar in ihren Verantwortungsbereich. Immerhin gaben 60 Prozent der befragten Betriebe an, ihren eigenen Pay Gap zu erheben, allerdings bleibt offen in welcher Form.
Die neue EU-Direktive sieht hier zukünftig für Organisationen ab 100 Beschäftigten sehr detaillierte Regelungen und eine Übermittlung der Berichte an eine nationale Meldestelle vor. Wird ein Lohngefälle von mehr als fünf Prozent festgestellt, das nicht durch objektive Kriterien erklärbar ist, muss zudem eine gemeinsame Entgeltbewertung erfolgen. Neu ist auch die Beweislast: Während bisher Mitarbeitende nachweisen mussten, dass sie diskriminiert wurden, liegt die Verantwortung künftig bei den Unternehmen. Schadenersatzforderungen inklusive Nachzahlungen entgangener Entgelte werden dadurch wahrscheinlicher.
Zwischen Fairness und Frustration
Obwohl Transparenz gemeinhin positiv konnotiert ist, zeigt die Forschung, dass ihre Auswirkungen auf die Vergütung ambivalent ausfallen. Während Zurückhaltung bei Informationen von Mitarbeitenden als ungerecht empfunden wird, erhöht umfassende Offenheit zwar die Nachvollziehbarkeit, kann jedoch Neid, Fluktuation und Gehaltskompression fördern, das heißt die Angleichung von Löhnen unabhängig von Leistung. Empirische Studien zeigen zudem, dass die Wahrnehmung unter einem bestimmten Referenzwert bezahlt zu werden, sich negativ auf Zufriedenheit, Motivation und Produktivität auswirken kann. Die zentrale Herausforderung für Unternehmen besteht daher darin, nicht nur Zahlen offenzulegen, sondern auch Kriterien und Prozesse klar, konsistent und verständlich zu kommunizieren.
Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern ein Signal für Augenhöhe. Wenn Unternehmen diesen Schritt ernsthaft gehen, verwandeln sie Verpflichtung in eine Chance. Am Ende geht es um wesentlich mehr als nur regulatorische Compliance: Es geht um das Versprechen gleicher Chancen und gerechter Bezahlung – für Frauen und Männer gleichermaßen.
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