
Die Rückkehr zur Präsenzpflicht? Eine Phantomdebatte
Man kennt das Muster: Große Organisationen verkünden die Rückkehr ins Büro, und die mediale Aufmerksamkeit ist ihnen gewiss. So entsteht ein Diskurs, der suggeriert: Die Home-Office-Phase war ein vorübergehender Ausnahmezustand, nun kehre man wieder ‚zur Normalität‘ zurück. Doch die Realität in der Breite der Wirtschaft widerspricht diesem Narrativ deutlich, und das ist nicht nur eine betriebswirtschaftliche, sondern auch eine gesellschaftliche Botschaft.
Unsere aktuelle Analyse im Rahmen des Personalbarometers 2025 zeigt: Vier von fünf befragten Vorarlberger Unternehmen planen keinerlei Einschränkungen beim Home Office – viele denken im Gegenteil über eine Ausweitung ihrer diesbezüglichen Richtlinie nach. Selbst in der Industrie, die gemeinhin als infrastrukturabhängig und eher schwerfällig gilt, bleibt die Rückkehr zur Präsenzpflicht eine Randerscheinung. Diese Zahlen stehen im Einklang mit internationalen Entwicklungen: Auch groß angelegte Untersuchungen aus Deutschland und den USA kommen zu dem Schluss, dass sich die Home-Office-Zahlen seit rund drei Jahren auf relativ konstantem Niveau eingependelt haben.
Woran liegt das? Zum einen daran, dass sich Arbeitswelten strukturell verändert haben. Die Corona-Pandemie war ein Beschleuniger, keine Anomalie. Sie hat gezeigt, was möglich ist, und damit eine neue Referenz geschaffen: Mitarbeitende wissen nun, wie sich Selbstbestimmung anfühlt und wollen nicht zurück in starre Routinen. Das zeigen auch die Daten: Der Wunsch nach zwei oder mehr Home-Office-Tagen pro Woche hält seit 2020 an und wird laut Personalbarometer derzeit von zwei Dritteln der befragten Unternehmen jenen Mitarbeitenden ermöglicht, deren Aufgaben ortsunabhängig erledigt werden können. Mit dem wachsenden Wunsch nach Autonomie rückt auch die wissenschaftliche Evidenz zu den Folgen flexibler Arbeitsgestaltung in den Fokus. Diese wirken sich laut aktueller Forschung meist neutral oder positiv auf die Produktivität aus, jedoch ist der Kontext entscheidend: Tätigkeitsprofil, Führungskultur, Ausmaß oder technische Ausstattung beeinflussen die Wirkung maßgeblich.
Bei sehr hoher Home-Office-Quote zeigen etwa einzelne Studien auch Produktivitätseinbußen. Unstrittiger ist der Nutzen flexibler Arbeitsformen mit Blick auf die Mitarbeitenden-Zufriedenheit und die deutlich geringere Fluktuation. Herausfordernd bleibt die Sichtbarkeit: Wer selten vor Ort ist, wird bei Beförderungen teils übersehen. Organisationen sollten Leistung unabhängig von Anwesenheit bewerten – Präsenz ist kein Qualitätsbeweis.
Gleichzeitig darf man nicht übersehen, dass Home Office weiterhin eine privilegierte Möglichkeit bleibt und für viele Beschäftigte schlicht keine Option ist. Gerade in produktionsnahen, handwerklichen oder betreuungsintensiven Berufen sind flexible Arbeitsorte oft nicht realisierbar. Während ein wachsender Teil der Arbeitswelt über hybride Modelle diskutiert, bleibt ein großer Anteil der Erwerbstätigen an feste Orte oder Zeiten gebunden. Diese Ungleichheit in der Arbeitsrealität droht sich zu verfestigen und verdient mehr Aufmerksamkeit in der politischen und betrieblichen Debatte.
Gerade die Vielfalt beruflicher Realitäten macht deutlich: Es braucht differenzierte Lösungen statt pauschaler Antworten - und eine Weiterentwicklung statt Rückbesinnung auf überholte Konzepte. Organisationen, die Vertrauen geben und Vielfalt in der Arbeitsgestaltung zulassen, investieren in Stabilität und Innovationskraft. Die Frage ist längst nicht mehr ob hybride Arbeit bleibt, sondern viel mehr, wie wir sie verantwortungsvoll gestalten.
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