Helmut Kramer †

(*1939 in Bregenz, † 2023 in Wien)  war von 1981 bis 2005 Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, ab 1990 Honorar­professor an der Universität Wien, 2005 bis 2007 Rektor der Donau-­Universität Krems.
Foto: Robert Newald

 

Von der Corona-Krise zur Klima-Krise?

Februar 2022

Politiker, die sich in Österreich voreilig dazu hinreißen ließen, die Pandemie für beendet zu erklären, sind mittlerweile ausgetauscht. Jetzt geben jene den Ton an, die schon vor der nächsten Viruswelle warnen, die zu Herbstbeginn 2022 zu erwarten sei. Sollte diese Ankündigung dann nicht halten, ließe sie sich immerhin elegant rechtfertigen: „Eine weitblickende und verantwortungsbewusste Politik hat die drohende ,Omega-Welle‘ verhindert.“ (Danach ist ohnehin mit keiner weiteren zu rechnen, weil das griechische Alphabet mit Omega endet.) 
Bereits zwei Jahre beherrschen nun abrupte und unerwartete Wendungen eines bisher unbekannten Virus die politische Aufmerksamkeit. So sehr, dass bereits Laien über Grundkenntnisse in Virologie und Epidemiologie, Management von Intensivstationen und Rehabilitation nach Long-Covid-Erkrankungen verfügen müssen.  
Freilich konnte sich Österreich dem Virusgeschehen nicht uneingeschränkt widmen. Just während eines Lockdowns kamen beschämende Sittenbilder ans Tageslicht, die ein heftiges politisches Beben auslösten. Welche Ironie: Das Finanzministerium in Wien, von dem die türkise Götterdämmerung ausging, trägt ausgerechnet die Adresse „Himmelpforte“. 
Die zwei Jahre des Kampfes von Regierung und Bevölkerung gegen die Pandemie waren von der unmittelbaren Bedrohung von Gesundheit und Leben Betroffener diktiert, aber auch von weltweit fieberhafter Suche nach empirisch gesicherten Ergebnissen der Forschung und von schrittweise zunehmenden Erfahrungen der Therapie. Lange waren klare Strategien durch mangelhafte Vorsorge vor Epidemien, Überforderung durch Verfolgung von Infektionen und Unsicherheiten der statistischen Erfassung und Analyse behindert. 
Erstaunlich, dass sich grundlegend neue, jedoch letztlich unleugbare Einsichten, die sich aus der physischen Begrenztheit des Planeten Erde ergeben, erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Wissenschaft und Politik durchsetzen konnten. Mittlerweile hat auch der Optimismus ökonomischer Modelle akzeptieren müssen, dass technische und organisatorische Innovationen die Ausschöpfung der Reserven an Rohstoffen, besonders Energieträgern, zwar weit erstrecken können. Aber dennoch sind dem Verbrauch von unverzichtbarem natürlichem Umweltkapital direkt und indirekt Grenzen gesetzt. Ihre Nicht-Beachtung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit desaströse Folgen für die Bewohnbarkeit ganzer Städte, Länder und Erdteile und für die Lebensqualität ihrer Bewohner zur Folge. 
Nicht irgendwann, sondern schon heute: Ungewöhnlich heftige Wetterereignisse, Veränderungen der Meere und des Wassers, Schmelzen der polaren Eismassen und Aussterben von Tier- und Pflanzenarten sind beunruhigende Phänomene, die intensiver werden und meist nicht rückgängig gemacht werden können. 
Politische Konzepte auf längere Sicht zu entwickeln und durchzusetzen führt regelmäßig zu Meinungsverschiedenheiten, nicht zuletzt wegen der fundamentalen Unsicherheit der Zukunft. Fundamentaler Wandel der Rahmenbedingungen für Leben auf der Erde macht jedoch Korrekturen des bisherigen Wegs und eine unbequeme Neuorientierung unvermeidlich. 
Die ständige Steigerung der Wirtschaftsleistung durch Innovationen in Wissenschaft, Technologie und Politik hat sich seit der Industrialisierung als phänomenal fruchtbar erwiesen. Besonders nach 1945 sicherten internationale Kooperation, Förderung von Innovationen und Wettbewerb auf den Märkten eine regelmäßige Expansion der Verfügbarkeit materieller Güter, aber auch bedeutende Verbesserungen von Gesundheit, Lebenserwartung, Bildungsniveau und den Abbau von Hunger und Not in weiten Teilen der Erde. 
Heute wird jedoch der Bevölkerung von Klimaforschung und Ökologie nahegelegt, Wirtschaftswachstum als Ziel und Maßstab der Politik zu vermeiden. Der Verzicht auf Wachstum bedeutet aber Risiken für die gesellschaftliche Stabilität. 
Den weiter steigenden Verbrauch des Naturkapitals zu vermeiden, wird von einem beachtlichen Teil der Bevölkerung skeptisch gesehen oder abgelehnt. Von anderen wird er nur halbherzig unterstützt, besonders wo persönlicher Verzicht auf bisher gewohnte Annehmlichkeiten gefordert würde. Ein nahtlos an die Klimakrise anschließender Modus einer Klima-Krise würde jedoch noch unbequemere Änderungen der persönlichen Lebensumgebung und der individuellen Freiheiten verlangen. 
 

Der rasche Klimawandel geht nicht auf natürliche Prozesse, sondern auf die rasche Zunahme der Weltbevölkerung und der menschlichen, vor allem wirtschaftlichen Aktivitäten zurück.

Von der internationalen Politik wird die Dringlichkeit massiver Kurskorrekturen seit drei Jahrzehnten betont. Der rasche Klimawandel geht nicht auf natürliche Prozesse, sondern auf die rasche Zunahme der Weltbevölkerung und der menschlichen, vor allem wirtschaftlichen Aktivitäten zurück. Den Menschen ist unablässiges Streben nach Verbesserung der Lebensumstände tief eingepflanzt. Die Herausforderung besteht jedoch nicht in der Wahl zwischen „Wachstum Ja“ oder „Wachstum Nein“. Nur Veränderungen der Schwerpunkte von Wachstum und Fortschritt versprechen Erfolg. 
In Österreich wurden in den letzten Jahren infolge der erwähnten „Zwischenfälle“ längerfristige Aufgaben der Politik, auch solche, die im Regierungsprogramm angekündigt sind, systematisch verschoben: Die Alterung der Gesellschaft, die schon eingesetzt hat, macht die Problematik der Pflege und die Finanzierung der Pensionen schon heute dringlich. Wird sich darum wohl der neue Finanzminister aus Sicht der Staatsfinanzen kümmern müssen, so war das gigantisch große und für die Zukunft entscheidend wichtige Bildungsministerium mit einem Aufgabenbereich vom Kindergarten bis zur Forschung infolge der ständigen Bereitschaft zu Corona-Alarm in den Schulen offenbar überfordert. Jedenfalls hat die Regierung den Anstoß zu einer grundlegenden Reform des Bildungssystems, den vor einigen Jahren das Bildungs-Volksbegehren geben wollte, nicht wieder aufgenommen.
Untätigkeit kann hingegen der Umweltpolitik nicht vorgeworfen werden. Die Umweltministerin nützte im Gegenteil weidlich aus, dass die Partei des Koalitionspartners durch peinliche Affären nicht in voller Kampfstärke auftreten konnte: Das sind ein „nationaler integrierter Energie- und Klimaplan“ an die EU, der Beschluss von 45 Seiten eines in allen legistischen Details ausgearbeiteten „Erneuerbare-Energien-Ausbau-Gesetzes“ (freilich ohne Finanzierungsplanung) oder die Einrichtung eines Klimarats, umfassend 100 nach dem Zufall ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, mit Hilfestellung von 15 wissenschaftlichen Berater:innen und einem professionellen Moderatorenteams, Aktualisierung der Ausbaupläne der ASFINAG unter aktuellen umweltpolitischen Gesichtspunkten: Darüber hinaus fördert das Umweltministerium eine große Zahl an nicht-staatlichen Initiativen, die sich den Schutz der Umwelt auf die Fahnen geschrieben haben, darunter auch die international etablierte Bewegung der Jugend „Fridays for Future“: eine imponierende politische Bilanz. 
Der Umstieg von Wirtschaft und Gesellschaft mit der raschen Ablöse der fossilen durch erneuerbare Energien ist ein historischer Schritt. Er betrifft weit über mehr als physikalische oder technische Expertise. Die Komplexität erfordert den transdisziplinären Einsatz zahlreicher wissenschaftlicher Fächer und Modelle. Unvermeidlich verlangt das die durchdachte Einbeziehung von gesellschaftswissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen, etwa der Sozialpsychologie, der Politik- oder der Wirtschaftswissenschaft. Deshalb darf sich die wissenschaftliche Begleitung des epochalen Prozesses nicht auf naturwissenschaftlich geprägte Zusammenhänge beschränken. Im Hintergrund werden über die Wissenschaft hinaus auch politische, weltanschauliche und ideologische Konsequenzen erkennbar. Auf den ersten Blick erscheint es sachlich richtig, dass Analysen der Klimaforschung und Ökologie zu überlassen sind. Dies wird aber der Aufgabe und ihren möglichen Konsequenzen keineswegs gerecht. Menschen und menschliche Gemeinschaften sind Betroffene und Täter des Klimawandels. Die Corona-Krise hat gelehrt, dass der Bedarf an Forschung sich nicht auf Virologen und Epidemiologen beschränken kann. Auch Psychiatrie, Sozialpolitik, selbst Wirtschafts- oder Verkehrspolitik waren einzubeziehen. Das unablässige Drängen „grün“ gesinnter Klima-Propheten und ihre Drohung mit Katastrophen dient dem Anliegen eher nicht.

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