Gerold Strehle

geboren 1974 in Linz, Architekt, Gründer des Büros für Architektur und Umweltgestaltung in Bregenz und Wien

© Foto: Angela Lamprecht

vorarlberger Wohnbau

Juni 2021

Bei meinen Sanierungsseminaren zeige ich gleich zu Beginn eine Aufnahme des Pariser Wohnblocks Bois Le Prêtre, welcher 2011 von den französischen Architekten Lacaton & Vassal saniert wurde. Der Pritzker-Preis – die weltweit ehrenvollste Auszeichnung für Architektur – erging in diesem Jahr an jene Architekten, die mit diesem instandgesetzten und aufgewerteten Wohnbau im siebzehnten Pariser Arrondissement vorzeigen, wie sozial verträglich, energieeffizient und ressourcenschonend Architektur sein kann. Lacatons & Vassals Persönlichkeit und Wertehaltung stehen damit den international hofierten Stararchitekten, die üblicherweise diesen Preis entgegennehmen, diametral gegenüber.
Die sozialen Wohnbauprojekte der Pariser Architekten – denen 2019 auch eine Schau im Vorarlberger Architekturinstitut gewidmet war – können mit der Bezeichnung „Edelrohbau“ ganz gut beschrieben werden. Die Kosteneinsparungen auf der Seite des praktisch nicht vorhandenen Innenausbaus werden in zusätzliche Raumkubatur und Nutzflächen „re-investiert“. Diese Planungsmethode ist genau das Gegenteil der aktuell beobachtbaren Miniaturisierung des Wohnens mit immer kleineren Wohnungsgrößen, um Wohnen überhaupt noch leistbar zu gestalten. Dass die Architekten damit auch auf massives Unverständnis bei den Eigentümern und Auftraggebern stoßen, beweist die Tatsache, dass der Wohnblock Bois Le Prêtre eigentlich schon zum Abriss freigegeben war und die Entscheidung zur Sanierung erst nach langen Verhandlungen erfolgte. Wohlgemerkt: Der Abriss und die Errichtung eines Neubaus hätten in der Gesamtbilanz massiv schlechter abgeschnitten als das letztendlich ausgeführte Sanierungsprojekt.
Geduld und Ausdauer waren auch beim österreichweit meistpublizierten Wohnbauprojekt des vergangenen Jahrzehnts erforderlich: Beim Wohnprojekt Wien – ein Baugruppenprojekt geplant von einszueins Architekten (Katharina Bayer und Markus Zilker) – musste zu allererst der gemeinnützige Bauträger Schwarzatal „überredet“ werden (um es freundlich auszudrücken), um am städtebaulichen Wettbewerb für das Grundstück als Baugruppe überhaupt teilnehmen zu dürfen. Seit der erfolgreichen Abwicklung des Wohnprojekt Wien bewirbt Schwarzatal nun explizit seine Expertise in diesem Bereich und hat damit – dank der Architekten – ein einträgliches Geschäftsmodell im Osten Österreichs gefunden.
Beide Beispiele verdeutlichen die schwierigen Rahmenbedingungen, denen Architekten oftmals begegnen, um klimagerechte oder sozial nachhaltige Projekte überhaupt umsetzen zu können. An dieser Stelle ist auch der Zeitpunkt gekommen, um über den Einfluss der Politik zu sprechen, welche schlussendlich die Baugesetzgebung mitsamt den Steuer- und Förderinstrumenten wie der Wohnbauförderung gestaltet, um dem Baugeschehen entweder diesen oder jenen gewünschten Spin zu geben. 
Auf das größte politische Erfolgsmodell ever können wir in unserer eigenen Geschichte zurückblicken: das sozialdemokratische Wohnbauprogramm Wiens in der Zwischenkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts. Durch die ausgeklügelte Besteuerung bei der Wohnungsvermietung als auch von Luxusgütern wurde der Grundstein für ein kommunales Wohnbauprogramm geschaffen, von dem die Millionenstadt heute noch zehrt. 
Die Bilanz von konservativer und christlich sozialer Wohnbaupolitik fällt dabei nicht ganz so positiv aus und führt beispielsweise in unserem nördlichen Nachbarland Deutschland zu erheblichen Spannungen am Wohnungsmarkt: Der großzügige Abverkauf von Bestandswohnungen ganzer Genossenschaften sowie Börsengänge von Wohnbaugesellschaften führten zur flächendeckenden Verwahrlosung ganzer Wohnsiedlungen bei gleichzeitig starkem Anstieg der Mieten. 
Die Privatisierungen der Schüssel/Haider-Regierung im Wohnbau hielt sich dabei glücklicherweise in Grenzen, beschäftigte die Justiz aber bis vor kurzem im Rahmen der BUWOG Affäre. Positiv zu Buche steht die Einrichtung des Sanierungsschecks, welcher beginnend ab 2009 einen massiven Sanierungsboom auslöste und auch heute noch in kleinem Maßstab das Sanierungsgeschehen positiv beeinflusst. In Vorarlberg hat man sich zur Energieautonomie 2050 verpflichtet. Eine ehrgeizige Zielvorgabe, die damals wie heute unbestritten die einzig richtige Perspektive einer zukünftigen Lebensweise darstellt. Dabei werden jährlich im Ländle zwischen 70 und 135 Millionen Euro für den sozialen Wohnbau ausgegeben – seit 2007 in Passivhausstandard, um die Vorgaben der Energieautonomie zu erreichen. 
Was dabei aber unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass die Sanierung des Wohnbestands einen vielfach größeren Hebeleffekt (Faktor 10) erzielt als die Minimierung der Energieverbräuche eines Neubaus (Faktor 3). Somit wären wir mit der Methode der Sanierung am Weg zur Energieautonomie schon um die dreifache Wegstrecke weitergekommen! 
Ein weiteres von der Landespolitik erklärtes Ziel war die Versorgung jeder Vorarlberger Gemeinde mit sozialem Wohnbau. Mit dieser Maßnahme sollten die Abwanderung aus den Kleingemeinden eingedämmt und junge Familien bis zum Erwerb eines Eigenheims an den Ort gebunden werden. Eine vernünftige wohnbaupolitische Entscheidung. Mietpreise rund um zehn Euro pro Quadratmeter, wie sie beispielsweise in Montafoner Gemeinden der Fall sind, entspannen den finanziellen Budgetrahmen junger Vorarlberger jedoch nicht wirklich nachhaltig. Es wird zunehmend schwieriger, das Eigenkapital für Privateigentum anzusparen. Das Marktsegment des leistbaren Wohnens, das der soziale Wohnbau in Vorarlberg nicht imstande ist, zu bedienen, wurde somit einer Baufirma mit Bauträgerkonzession überlassen. Die Verschiebung der Wohnbauproduktion von den nicht gewinnorientierten Genossenschaften hin zu den freifinanzierten gewerblichen Wohnbauträgern ist nicht nur in Vorarlberg in vollem Gange, sondern generell in Österreich und Deutschland zu beobachten. 
Ein letzter Trost der gemischten Bilanz unserer aktuellen Wohnbaupolitik bleibt die Zweckbindung der Wohnbaufördergelder aus den Arbeitnehmergehältern. Diese hat sich in Vorarlberg – im Unterschied zu den östlichen Bundesländern – noch halten können.

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