David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Wachstumsförderlich ist zukunftsorientiert

Februar 2023

Wer einmal anfängt, systematisch über langfristiges Wirtschaftswachstum nachzudenken, kann bald an fast nichts anderes mehr denken. Langfristiges Wachstum verbessert die Lebensbedingungen der Menschen massiv, denn die Wirtschaftsleistung hängt stark mit der Lebensqualität und dem Wohlstand der Bürger zusammen. Unser heutiger Wohlstand ist das Resultat vieler Jahrzehnte mit ordentlichem Wirtschaftswachstum. 

Exponentielles Wohlstandswachstum
Auf ein oder zwei Jahre macht es nahezu keinen Unterschied, ob die Wirtschaftsleistung in einem Land mit einem Prozent, zwei Prozent oder drei Prozent wächst. Selbst eine kurze Rezession mit einem stärkeren Einbruch der Wirtschaftsleistung tut zwar weh, ist aber bei danach anhaltendem Wachstum wenige Jahrzehnte später nur noch eine kleine Delle. Hingegen wirken sich bereits kleine Unterschiede in langfristigen Wachstumsraten nachhaltig und fundamental auf den Wohlstand aus. 
Würde die Wirtschaftsleistung in Österreich über die nächsten 50 Jahre mit einer durchschnittlichen realen jährlichen Wachstumsrate von drei Prozent wachsen, so wäre die zukünftige Generation im Jahre 2070 um über das Vierfache wohlhabender als die heutige. Bei einer Wachstumsrate von zwei Prozent erhöht sich der Wohlstand immerhin noch um das 2,7-fache, während ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent nur zu einer Wohlstandssteigerung um rund 64 Prozent führt. 

Ein Blick nach hinten
Es fällt schwer, sich vorzustellen, was es bedeuten könnte, in 50 Jahren um das 2,7-fache wohlhabender zu sein. Stattdessen mag man sich um 50 Jahre in die 1970er-Jahre zurückversetzen. Von 1970 bis heute war die Wachstumsrate des kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukts pro Kopf in Österreich rund 2,2 Prozent. Über die Zeit hat sich der so gemessene Wohlstand etwa verdreifacht. In den 1970er-Jahren betrug die Lebenserwartung der Österreicher 70,2 Jahre, heute liegt sie um über zwölf Jahre höher. Die Sterblichkeit von Kindern im Alter zwischen null und fünf Jahren entspricht heute rund einem Zehntel von jener von 1970. Man mag lange philosophieren, was „Wohlstand“ tatsächlich bedeutet. Klar ist jedoch, dass die meisten Bürger heute ein deutlich früheres Ableben ihrerseits oder die Kindersterblichkeit der 1970er-Jahre im Regelfall nicht wünschenswert fänden. 
Darüber hinaus können wir uns dank Wachstum nicht nur mehr, sondern auch deutlich bessere Produkte leisten. Gleichzeitig hat sich die Produktauswahl enorm erhöht. Einfach formuliert: Ein Ferngespräch war 1970 eher unüblich und teuer. Heute ist die mobile Videotelefonie zu einem Preis von fast Null fast schon wieder ein alter Hut. Wer immer noch nicht davon überzeugt ist, dass Wirtschaftswachstum auch Wohlstand schafft, frage sich, wie viel er bereit wäre zu zahlen, sich einer Tumorbehandlung in einem Spital nach heutigem Standard zu unterziehen statt zum Standard der 1970er-Jahre. Wohlgemerkt war der damalige Standard in Österreichs Spitälern im internationalen Vergleich hoch, denn hierzulande war schon damals die Wirtschaftsleistung pro Kopf vergleichsweise hoch. Öffentliche Gesundheit will finanziert sein und eine höhere Wirtschaftsleistung bietet Finanzierungsmöglichkeiten. 

Wachstumsförderlich ist zukunftsorientiert
Wegen der transformativen Kraft von Wachstum zeugt eine langfristige Wachstumsorientierung von Verantwortungsbewusstsein, insbesondere auch gegenüber der zukünftigen Generation. 
Manche mögen auf die Konsequenzen von Wirtschaftswachstum auf den Klimawandel hinweisen. Dazu ist nur zu sagen: Ja, in der Vergangenheit war Wirtschaftswachstum mit einem höheren CO2-Ausstoß verbunden. Doch entkoppelt sich das Wirtschaftswachstum vieler reicherer Länder seit rund zehn bis 15 Jahren Länder vom CO2-Ausstoß. Während also die Wirtschaftsleistung steigt, geht der CO2-Ausstoß zurück. Die Behauptung, der Klimawandel lasse sich nur durch eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung bremsen, ist ein Märchen der Ewiggestrigen.
Da Wirtschaftswachstum systematisch mit Wohlstand zusammenhängt, lässt sich gute Politik auch dadurch bewerten, ob sie wachstumsförderlich ist oder nicht. Für langfristiges Wachstum sind die politischen Rahmenbedingungen entscheidend. Dabei geht es nicht darum, zu jedem Zeitpunkt alles richtig zu machen – das ist unrealistisch. Es gibt immer unerwartete Schocks wie Konflikte, neue Viren oder andere Kata­strophen. Unabhängig davon wäre ein solider Wachstumspfad anzustreben. Daher muss bei kurzfristigen Politikentscheidungen bewertet werden, ob und wie sie die längerfristige Wachstumsrate beeinflussen. 
So war das Problem der vielen Lockdowns nicht primär, dass diese kurzfristig einen Schock für die Wirtschaft darstellten. Das Problem dürfte eher sein, dass durch die Bildungs- und Vertrauensverluste das langfristige Wachstumspotenzial der Wirtschaft möglicherweise geschwächt wurde. Ähnlich ist es bei der Sozialpolitik nicht so entscheidend, ob in einer echten Krise etwas mehr Geld mobilisiert wird, um ärmere Bürger kurzfristig zu unterstützen. Das Problem ist eher ein Sozialsystem, das Anreize setzt, möglichst viel vom Staat zu fordern, wenig zu arbeiten und das von politischen Entscheidungsträgern oft für Wahlzuckerl missbraucht wird. Ein derartiges System ist nicht nur schwer finanzierbar, sondern hat das Potenzial, die Wachstumsrate langfristig zu senken. Bei der Klimapolitik gilt, dass die relevante Frage nicht nur ist, ob sie einen relevanten Beitrag zur Reduktion der Erderwärmung leistet. Entscheidend ist auch, wie viel sie langfristig an Wachstum kostet. Reduziert beispielsweise die Klimapolitik die jährliche Wachstumsrate um nur einen Prozentpunkt bis 2100, dann wäre die zukünftige Generation weniger als halb so wohlhabend, wie sie hätte sein können, wenn auf eine derartige Politik verzichtet worden wäre. Insofern muss nachhaltige, wohlfahrtsorientierte Politik im Regelfall wachstumsförderlich sein.

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.