Harald Walser

Ein Engel in der Hölle von auschwitz

November 2021

Das Leben und Wirken der Vorarlberger Krankenschwester Maria Stromberger ist ein einzigartiger Fall in der Geschichte des österreichischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Sie hat in Auschwitz vielen Häftlingen das Leben gerettet, war aktives Mitglied des Widerstands im Lager, hat nur mit viel Glück überlebt und war nach dem Krieg zwar in Polen hoch angesehen, wurde in ihrer Heimat aber bislang kaum gewürdigt. Der folgende Text ist ein leicht adaptierter Auszug aus einem kürzlich erschienen Buch des Historikers Harald Walser.

Maria Stromberger ließ vor allem ihren engsten Mitarbeitern unter den Häftlingen nicht nur in Bezug auf deren Arbeitszeit viel Freiraum, sondern auch in Sachen Verpflegung. Typhuskranke SS-Männer im Revier bekamen täglich einen halben Liter Milch, die in der Diätküche von ihrem engsten Vertrauten, dem polnischen Häftling Edward Pyś, aufgeteilt wurde. Die Ration der SS-Männer wurde – anfangs ohne Wissen der Krankenschwester – mit Wasser gestreckt. Edward gelang es so, beträchtliche Mengen zur Seite zu schaffen und sie dann vor allem an die kranken Kollegen weiterzugeben. Milch war bei den Gefangenen natürlich sehr begehrt. Er versteckte die Milch in einem Schrank oder gab sie gleich an einen anderen Häftling weiter.
Eines Tages hatten er und ein russischer Gefangener Pech, und es entwickelte sich eine lebensbedrohliche Situation für sie. Der SS-Mann Geiger entdeckte eine ganze Kanne Milch im Kasten des Pflegers. Geiger schlug dem russischen Häftling mehrmals ins Gesicht, worauf dieser zugab, die Kanne von Pyś bekommen zu haben. Geiger stürmte umgehend in die Diätküche. Pyś erinnert sich: „Triumphierend trat Geiger mit der Kanne in die Küche ein, wo ich bei der Arbeit war. Er ging los auf mich und schrie dabei.“ Geiger sprach von Sabotage, er werde Meldung an die Lagerleitung machen. Schwester Maria, durch den Lärm aufgeschreckt, ging in die Diätküche. Dort wurde ihr der Vorfall berichtet. „Vor Empörung wurde sie rot. Ich dachte, sie ist wütend auf mich“, schreibt Pyś. Doch er irrte sich. Maria Stromberger beschimpfte den SS-Mann: Sie selbst habe den Häftlingen die Kanne gegeben. Es seien verdorbene Milchreste, die geschlechts- und typhuskranke SS-Männer nicht ausgetrunken hätten. Geiger könne die Milch gerne selbst trinken, was dieser tunlichst unterließ. 
Nach einem kurzen Heimaturlaub im August 1944 in Bregenz wurde die unentbehrliche „Meldegängerin“ von den Häftlingen schmerzlich vermisst: „Sie fehlte uns in dieser Zeit sehr“, schreibt der ehemalige Häftling Edward Pyś: „Endlich kam sie zurück. Sie war braun gebrannt, erholt und guter Stimmung. Mit geheimnisvoller Miene eröffnete sie mir, dass sie mir ein Geschenk mitgebracht habe, aber dass ich geduldig sein müsse, weil sie es mir erst geben könne, wenn wir sicher seien, dass uns niemand plötzlich überrascht. Ich zerbrach mir den Kopf, was das wohl sein könne.“
Am darauffolgenden Sonntag war es so weit. Das Geschenk bestand aus zwei Revolvern, von denen sich Edek Pyś einen aussuchen konnte. Sie stammten vom Vater von Maria Stromberger. Edek Pyś entschied sich für den kleineren mit Kaliber 6,35. Dafür waren nämlich 13 Patronen vorhanden, während es für den größeren mit Kaliber 9 nur drei waren. Der kleinere ließ sich zudem leichter verstecken. „Das Geschenk hat mich tatsächlich erfreut.“ Die zweite Waffe wurde der Leitung der Kampfgruppe übergeben.

 

Ich bin Harald Walser sehr dankbar, dass er sich heute (…) dieses Themas und dieser wunderbaren und tapferen Frau annimmt und dieses Buch geschrieben hat. Heinz Fischer, ehemaliger Bundespräsident

Stromberger in Gefahr

Die offenkundige Betroffenheit von Schwester Maria, wenn Menschen misshandelt wurden oder sich andere schreckliche Szenen abspielten, schürten natürlich das Misstrauen der SS-Männer ihr gegenüber. Immer wieder gab es bei Standortarzt Dr. Wirths Beschwerden. Sie lebte jetzt in einer Welt, in der allein schon die menschliche Behandlung von Häftlingen gefährlich war. „Zweimal drohte ihr tödliche Gefahr“, schreibt der Häftling Kazimierz Albin in seinen Erinnerungen. 
Besonders der SS-Unterscharführer Alfred Kaulfuß – ein Sudetendeutscher – misstraute Schwester Maria und kontrollierte ihre Tätigkeit ständig. Im Januar 1943 wurde sie zum ersten Mal von ihm beim Standortarzt Dr. Wirths denunziert und von diesem vorgeladen. Mit anwesend bei diesem Gespräch war auch SS-Sanitätsdienstgrad Friedrich Ontl als zuständiger „Spieß“ der Dienststelle. Sie sei weder Mitglied der SS noch Aufseherin und auch nicht bereit, Häftlinge zu schlagen, entgegnete sie mutig. Sie bat daher um Versetzung, wusste aber gleichzeitig um ihre Bedeutung als Fachkraft in der Abteilung. Wirths wollte auf seine angesichts der grassierenden Epidemie dringend benötigte Mitarbeiterin daher auch nicht verzichten. Sie hatte als Oberaufseherin beste Arbeit geleistet und sich auch als Führungsperson bewährt. Immerhin unterstand ihr mehr als ein halbes Dutzend Krankenschwestern. Die Versetzung wurde daher abgelehnt, und es blieb bei einer Verwarnung. 
Doch Kaulfuß ließ nicht locker. Wieder ging es um eine Kanne Milch: Kurz nach dem obigen Vorfall kam der SS-Unterscharführer in die Diätküche und wollte ein Glas Milch, doch es war keine da. Daraufhin wurde der SS-Mann wütend und schimpfte: „Offensichtlich haben die Häftlinge die Milch getrunken. Das ist eine schöne Wirtschaft!“ Das führte zur nächsten Beschwerde. Die Situation wurde für Maria Stromberger nun zur ernsten Bedrohung.
Sie musste sich etwas einfallen lassen und entschloss sich, in die Offensive zu gehen. Die Oberschwester beschwerte sich nun ihrerseits bei Dr. Wirths und bat darum, sie im Zimmer des Standortarztes mit Kaulfuß zu konfrontieren. Dort solle er ihr seine Vorwürfe ins Gesicht sagen. Sie hatte nämlich einen Trumpf im Ärmel: Von zwei Häftlingen hatte sie erfahren, dass Kaulfuß in betrunkenem Zustand ein Bild von Heinrich Himmler zerrissen hatte. Damit konfrontierte sie ihn nun in Anwesenheit von Wirths. „Dieser Mensch wurde vor Entsetzen blass, als ich ihm in Gegenwart von Wirths vorwarf: ‚Wenn ein SS-Mann […] eine Fotografie seines Führers in Stücke reißt, hat er kein Recht, eine Schwester zu verdächtigen, die nur ihre Pflicht erfüllt.‘ […] Er wagte nie mehr, gegen mich vorzugehen.“
Ab diesem Zeitpunkt hatte Stromberger denn auch wirklich keine Probleme mehr mit Kaulfuß. Das Misstrauen etlicher anderer SS-Männer aber blieb. Ihre Situation in Auschwitz war bis zu ihrer Abberufung nach Berlin Anfang Jänner 1945 prekär.

Lesetipp! 

Harald Walser, „Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger“, Falter Verlag, 2021. 

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