Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Hochleistungsdisziplin mit Klemme und Skalpell

November 2022

Der OP ist ihre tägliche Arena, ihre Disziplin das Operieren, ihr Gegner eine Mischung aus Zeit und Naturgesetzen. Sie gewinnen, wenn sie der Gesundheit, Diagnostik und Therapie zum Sieg verhelfen. Vergleichbar mit der Welt des Spitzensports verfügen Chirurg:innen im Idealfall nicht nur über Talent und Geschick, sondern auch über Disziplin und Durchhaltevermögen, über mentale und körperliche Fitness, über den Mut, rasch Entscheidungen treffen zu können und gleichzeitig über die Fähigkeit, ein selbstkritischer Teamplayer zu sein: Die Parallelen zwischen den Anforderungen an die Akteur:innen des Hochleistungssports und jene der modernen Spitzenmedizin haben Prim. Prof. Dr. Ingmar Königsrainer und Doppel-Olympiasieger Johannes Strolz in ihren Vorträgen beim diesjährigen Kongress der Abteilung für „Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie“ der Landeskrankenhäuser Feldkirch und Bludenz anschaulich verknüpft.

Chirurgie am kalkulierten Limit
„Um Medizin am jeweils aktuellsten Stand zu gewährleisten, muss man sich ständig weiterbilden, trainieren und updaten“, betont Prim. Dr. Königsrainer gleich zu Beginn. Ein solches Update, das das Arbeitsfeld komplett umgekrempelt hat, ist die Entwicklung hin zu minimalinvasiven Techniken. Der Einsatz von Robotertechnik ist heute nicht mehr wegzudenken, sie spielt unter anderem bei Darm-Resektionen eine große Rolle. „Die Herausforderung für die Chirurg:innen liegt darin, dass man Organe und Gewebe nicht mehr direkt in den Händen hat“, erklärt Primar Königsrainer. „Man orientiert sich mehr mit den Augen und anhand der eigenen Erfahrung. Deshalb wird es die konventionelle Chirurgie auch immer brauchen, allein schon, um ein Gefühl für das Gewebe, dessen Stärke und Beschaffenheit zu entwickeln.“ Das gewählte Verfahren orientiert sich immer an den Patient:innen. „Chirurgie am Limit“ bedeutet hier, die Entscheidung zu treffen, wann bei wem welche Methode am sinnvollsten ist: „Dabei darf man durchaus an die Grenzen des Machbaren gehen, sie sogar neu setzen, aber immer kalkuliert! Übertreiben bringt nichts. Das ist bei ‚Sport am Limit‘ genauso.“

Mannschaftsübergreifende Teamplayer 
Die Mitarbeiter:innen der Chirurgie kümmern sich aber nicht nur um den eigentlichen Eingriff, sondern berücksichtigen immer auch die postoperative Entwicklung ihrer Patient:innen mit: „Wir müssen die Menschen auch sicher durch die Zeit nach dem Eingriff begleiten, gerade im Fall von Komplikationen. Da stehen Entscheidungen an, die auch nach der OP über Krankheit und Gesundheit, über Leben und Tod entscheiden können.“ Generell ist die Chirurgie komplexer geworden und daher zumeist im Zusammenspiel mit Leistungen anderer Fächer zu sehen: „Bei der Tumortherapie beispielsweise kann es eine Mischung aus Chemotherapie und Operation sein“, führt Prim. Dr. Ingmar Königsrainer nur ein Beispiel von vielen interdisziplinären Heilverfahren an. Die Chirurgie ist schon längst nicht mehr „alleine“, wird als Teamplayer immer mehr eingebettet in interdisziplinäre Konzepte. Dieser Austausch bindet auch den niedergelassen Bereich und die jeweiligen Fachabteilungen der anderen Häuser im Spitalsverbund mit ein: „Die Hausärzt:innen kennen im Idealfall ihre Patient:innen gut und können eine wertvolle Grundlage liefern“, erklärt Dr. Königsrainer, zu dessen Primariat nicht nur die Chirurgie in Feldkirch, sondern auch jene in Bludenz gehört: „Es ist sinnvoll, die Chirurgie im gesamten Land als eine Einheit mit mehreren Standorten zu sehen. Das erlaubt es uns, die Schwerpunkte gut zu verteilen.“ Die Patient:innen werden idealerweise in jenem Haus operiert, in dem auch die Spezialist:innen für den jeweiligen Eingriff arbeiten. Hohe Fallzahlen bedeuten immer auch eine höhere Expertise.

Selbstreflexion macht stark
Digitale Zeitmessung, Videonachweise, offene Reglements. Wie im Spitzensport, ist auch das Arbeitsfeld der Chirurgie transparenter geworden. Speziell durch die Robotik ist es möglich, im Nachhinein genau nachzuvollziehen, welche Schritte die Chirurg:innen während einer OP wann und wie gesetzt haben. Primar Königsrainer ist sich sicher: „Die Bescheidenheit, sich auch zu hinterfragen, sollte ein:e Chirurg:in ohnehin mitbringen. Genauso wie psychische Stabilität. Mit Grenzen des Machbaren und Enttäuschungen umzugehen, gehört genauso dazu wie die Stärke, nach Todesfällen und tragischen Schicksalsschlägen weiterzumachen. Die Kunst in dem Beruf ist es, mit Niederlagen umgehen zu lernen – genauso wie mit Erfolgen! Das ist beim Sport nicht anders.“ 
Nach besonderen Ausnahmesituationen sucht Primar Dr. Königsrainer das Gespräch mit engen Vertrauten, mit der Familie und anderen Fachleuten. Tragend wirkt auf ihn auch eine gewisse Demut vor dem Leben: „Die bringt auch Gelassenheit und Toleranz im persönlichen Alltagsleben. Manchmal wundere ich mich, über welche Banalitäten – verglichen mit Schicksalen, die wir im Spital erleben – sich die Menschen aufregen können“, schmunzelt er und wird gleich wieder ernst: „Manchmal würde ich ihnen gerne sagen, wie dankbar sie stattdessen sein könnten, dass sie gesund sind! Die Demut vor dem Leben trägt jeder Mensch mehr oder weniger in sich. Genauso wie den Willen zu helfen“, davon ist der Chirurg überzeugt. „Wenn ein Patient vor mir sitzt, sehe ich zu 100 Prozent den Menschen, mit dem ich mitfühle. Die Gratwanderung, Mensch zu sein und gleichzeitig diesen oft herausfordernden Job zu erfüllen, lernt man mit der Zeit, man wächst hinein. Bei der Operation selbst rückt der Mensch als Person in den Hintergrund und das, was man machen muss, wird wichtig. In diesem Moment darf ich mich nicht ablenken lassen. Wie ein Spitzensportler in der Wettkampfsituation muss ich konzentriert sein. Mentale Kraft einsetzen. Ich kann in dieser Sekunde als Letztverantwortlicher nicht weglaufen, muss kämpfen. Für diesen Patienten. Das ist vielleicht der Unterschied zum Sport: Aufgeben ist keine Option.“

 

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