Angelika Schwarz

* 1975 in Feldkirch, ist Journalistin, studierte Germanistin und Anglistin, langjährige ORF-Redakteurin und -Moderatorin (Radio und Fernsehen). Angelika Schwarz arbeitet in der Unternehmenskommunikation der Landeskrankenhäuser Vorarlberg.

Mens sana in corpore sano

März 2023

Wir alle haben schon „gezittert vor Angst“, „Schiss gehabt“ und „eine große Last auf unseren Schultern“ gespürt. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Dass psychische Zustände ganz offensichtliche Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben, wird in vielen Ländern dieser Welt als ganz natürlich akzeptiert. Entsprechend stark ist die Psychosomatische Medizin – jenes Fachgebiet, das sich mit der Wechselwirkung von Psyche und Körper befasst – als Teil der medizinischen Versorgung verankert. Auch in Vorarlberg ist die Fachdisziplin inzwischen angekommen, „allerdings ist nach wie vor Aufklärungsarbeit nötig, viele kennen uns noch nicht“, schildert Primar Dr. Georg Weinländer, ärztlicher Leiter des Departments für Psychosomatische Medizin am Landeskrankenhaus (LKH) Hohenems. Seit über 15 Jahren sorgen er und sein Team dafür, dass seelische Auslöser und deren körperliche Auswirkungen erkannt und ganzheitlich behandelt werden. Vor elf Jahren ist das Department von Rankweil ins LKH Hohenems übersiedelt. Dort werden durchschnittlich rund 170 Patienten pro Jahr während einer jeweils sechs Wochen andauernden stationären Behandlungsphase betreut. 
Diese Patienten haben physische Schmerzen beziehungsweise Krankheiten, deren Ursache sich trotz fachkundiger Untersuchung nicht eindeutig feststellen lässt. Ihre Beschwerden stehen in einem Zusammenhang mit seelischen und sozialen Belastungen, die krank machen. Auch bereits länger zurückliegende, schmerzhafte Erfahrungen können emotional gekoppelt sein. „Menschen etwa, die früher Gewalt erfahren und sich in dieser Situation hilflos ausgeliefert gefühlt haben, können Jahre später, in einer ähnlichen emotionalen Situation mit gefühlter Hilflosigkeit, den körperlichen Schmerz von damals wieder spüren. Die Koppelung zwischen somatischer Schmerz­erfahrung und psychischer Erfahrung kann wieder an die Oberfläche treten und die Funktion von Organen beeinflussen. Diese sogenannten funktionellen Störungen werden von den Betroffenen in Form der von ihnen geschilderten Symptome erlebt. Meist handelt es sich um Schmerzen, auch Organsysteme wie Harnblase, Darm, Blutdruckregulation, Herzrhythmus etc. können betroffen sein“, erklärt Georg Weinländer. Immer dann, wenn sich in den Organen der Patienten keine ausreichende Erklärung für die jeweilige Symptomatik herauslesen lässt, setzt die Psychosomatik an.

Der gar nicht eingebildete Kranke
In einer Zeit, in der sich die Menschen nur allzu gern an nachweislichen Fakten und Zahlen orientieren, ist etwas so Subjektives wie Missempfindung und seelisches Leid oft nur schwer beschreib- und vermittelbar: „Vielen Menschen fällt es schwer, zu akzeptieren, dass ihr Schmerz keine direkte körperliche Ursache hat, nicht herausgeschnitten oder mit einer Tablette gelindert werden kann“, erklärt Weinländer. Ein Gefühl ist nicht messbar, Schmerzempfinden individuell. Aber es ist da. Auch dann, wenn sich ein Schmerz in organischen Befunden nicht nachweisen lässt. „Und wer in so einem Fall die Bereitschaft gefunden hat, zu uns zu kommen, der hat schon einen ersten Schritt zur möglichen Heilung unternommen.“ 
Die Aufgabe des Fachteams besteht zunächst darin, in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Disziplinen nochmals genau zu prüfen, ob körperliche Ursachen tatsächlich ausgeschlossen werden können. „Denn voreilig auf die seelische oder psychosoziale Ebene zu verweisen, wäre falsch! Das ist genauso kurz gegriffen, wie die Patienten mit einem lapidaren ,Da ist nichts, das bilden Sie sich nur ein!‘ abzuspeisen“, betont der Primar. Bereits bevor alle organischen Untersuchungen ohne erklärende Befunde abgeschlossen sind, wird nach möglichen psychosozialen Zusammenhängen geforscht. „Und der Hinweis darauf kommt fast immer an die Oberfläche. Es lässt sich in den allermeisten Fällen herausfiltern, wie oder warum das körperliche Symptom entstanden ist und wie wir dagegen vorgehen können“, macht der Fachmann Mut. „Wichtig ist, sich die Zeit zu nehmen, den Schilderungen aufmerksam zuzuhören.“ Die Wechselbeziehung zwischen Körper, Seele, Geist und sozialem Verhalten wird in der Diagnose und Behandlung vorurteilsfrei berücksichtigt. Es gilt der Grundsatz: Nicht „entweder oder“, sondern „sowohl als auch“. Die Behandlung erfolgt, wo nötig, interdisziplinär: „Wir sind sehr gut vernetzt mit anderen Fachabteilungen. Zudem sind die Ärzte unseres Departments in der Anwendung von Psychotherapie ausgebildet. Und wir haben ein fantastisches Psychotherapeuten- und Pflegeteam, das unter anderem im Bereich der Beziehungsgestaltung besonders geschult ist“, lobt Primar Weinländer. Außerdem werden wir von einer Sozialarbeiterin unterstützt. „Das Entscheidende ist, dass wir die Person in ihrer Gesamtheit behandeln und nicht ausschließlich Krankheiten und Symptome. Die Patienten sollen schlussendlich mit den Möglichkeiten, die sie selbst haben, gestärkt ins Leben zurückfinden.“

Spiegel der Gesellschaft
Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Anfang 2020 haben sich die Arbeitsschwerpunkte auf der Station ein wenig verschoben. Derzeit schlagen etwa „Long-COVID“-Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Schlafstörungen verstärkt auf. „Manche Menschen werden auch mit unerklärlichen Durchfällen überwiesen, die sich später als Folge großer Ängste seit der Pandemie herausstellen. Wichtig ist auch hier die Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Disziplinen.“
Der Arbeitsalltag im Department für Psychosomatische Medizin erlaubt zu einem gewissen Grad also auch einen Einblick in gesellschaftliche Entwicklungen, vor allem in deren Ecken und Kanten: So habe sich etwa der Arbeitsdruck auf die einzelne Person spürbar verändert, resümiert Georg Weinländer. Nicht alle schaffen es, diesem Druck standzuhalten. Und ganz aktuell lasten die gestiegenen Lebenshaltungskosten schwer auf den Schultern der Menschen. „Nicht jeder und jede in unserer Gesellschaft hat dieselben Möglichkeiten, um darauf zu reagieren. Sich aus einer Gruppe oder Gesellschaft ausgeschlossen zu fühlen, kann wehtun. Auch körperlich. Während der Druck gestiegen ist, wird gleichzeitig die Bereitschaft, einander zu unterstützen, weniger. Gerade heute war eine Patientin bei uns, die gesagt hat, dass sie sich in der Behandlung zum ersten Mal in ihrem Leben gehört, verstanden und ernstgenommen gefühlt hat. Die Frau ist über 50 Jahre alt! Und das gibt schon zu denken…“

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