Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

Alles wird anders? Ach, von wegen!

Juni 2020

Corona wird die Welt und uns Menschen weniger verändern, als es vor allem Optimisten, Moralisten und Ideologen gern hätten. Und das Vorurteil, dass das Stadtleben so wahnsinnig frei mache, ist widerlegt worden.

Ich fuhr kürzlich von unserer Wohnung in dem Ort nahe Wien los, wollte durchs Gewerbegebiet und über die Bundesstraße auf die Südautobahn. Und plötzlich war er da: ein Stau! Dicht gedrängt Wagen an Wagen, und während es bei mäßigem Verkehr normal drei Minuten braucht, um auf die Autobahn zu kommen, dauerte es nun 20. Und es war nicht wegen eines Unfalls.
„Alles wie früher“, dachte ich. Denn bevor Corona im März die Straßen ausdünnte, kam das da nicht selten vor. Und auf einmal wieder die Staumeldungen im Radio. Auch auf Radio Vorarlberg, das man hier im Osten übers Internet hören kann, tönen die gewohnten Meldungen über dichten Verkehr und Staus an diesem und jenem Kreisverkehr.
 So viel zur „Verkehrswende“. Während sich öffentliche Verkehrsmittel mit Ende der Quarantäne nur langsam füllen, zeigen Studien etwa von McKinsey in Deutschland, dass der Zuspruch zum Pkw (und Rad) wächst – auch in Städten: Dort wollen die Hälfte der Leute künftig seltener Öffis benützen. Und mehr als ein Drittel jener meist Jungen, die sich seit Jahren als Gegner des Individualverkehrs geriert hatten, erwägen jetzt einen Autokauf. Ein Kleines halt. Man hört das auch in Wien im privaten Umfeld.
 Es hat halt schon was für sich, gell, so ein Auto. Man fühlt sich darin sicherer als in der vermieften U-Bahn, im Zug oder Bus, wo immer jemand niest, hustet oder sonst kränklich ausschaut, man kann Lockdowns trotzen und leicht aufs Land. Gerade für Städter war das schlimm, die etwa in Wien in ihren Wohnschuhschachteln festsaßen und die Stadt, um die sonst ein peinlicher urbaner Anbetungstanz stattfindet, die üblichen arroganten Spottchoräle auf „die Provinz“ und die Leute dort inklusive, plötzlich als beengend, abweisend, gefängnishaft empfanden. Daran änderten die paar Balkonkonzerte und -partys wenig, deren Häufigkeit medial total übertrieben dargestellt wurde.
Die Stadt und das Leben dort machen frei? Daran stimmt manches, aber generell ist das Vorurteil widerlegt worden. Schon herrlich, die dünnere Besiedlung, Ruhe, saubere Luft und freundliche soziale Distanz am Land, wo man vom Internet am Schreibtisch (einem Tunnel zur weiten Welt) schnell auf der Wiese, am Berg, im Weinlokal ist. Als Vorarlberger weiß man das. Und das haben auch Urbanos gerade aus der Kunst-, Medien-, Sozialwissenschaftler- und Intelligenzlerszene erkannt: Viele haben seit Jahren Landsitze etwa im Waldviertel und Burgenland. Immer mehr junge Paare mit Kindern fliehen aufs Land, speziell um Wien herum. So ein blühender Gemüsegarten ist halt schon was Feines. 
 Der Gemüsegarten, der musste zuletzt für manch Dämlichkeit herhalten. Nämlich für Fabulationen, wie denn Corona nicht die Welt verbessern werde. „Nichts wird mehr sein, wie es war“, lautete etwa im März der Titel eines im Internet publizierten, mehr als 1,7 Millionen Mal angeklickten Texts einer Salzburgerin, der nett und blumig ist, aber übel naiv. Alles und jeder werde sich ändern, heißt es, die Leute würden nach der Quarantäne auf die Straßen laufen und einander „umarmen, miteinander weinen, lachen und feiern“. Man sehe, „wie unwichtig und dumm dieser ganze Konsum ist“. Und ein notorischer deutscher Zukunftsauskenner meinte, dass „in der neuen Welt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle spielt. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.“
 Schnüff, so schön! Aber haben Sie Menschen auf die Straße laufen und weinen gesehen? Sind Ihnen die nervigen Nachbarn sympathischer oder Moneten weniger wichtig geworden? Wie „unwichtig und dumm“ der Konsum ist, das dürfen die vielen eingehenden Firmen und die Hunderttausenden jäh Arbeitslosen beklatschen. Und die Milliarden, mit denen sich Staaten verschulden, um die Wirtschaft zu retten, bringt das Christkind.
Sicher wird sich manches ändern: Man wird Europa teils reindustrialisieren (die massive Industrieverlagerung nach Asien war mir schon in den 1990ern suspekt). Man wird mehr auf Regionales setzen, wichtige Waren nicht mehr großteils aus Indien und China beziehen, die IT-Struktur ausbauen. Man wird nachdenken, wie viel vom Massentourismus und den Armeen von Bussen mit Chinesen in Hallstatt man wirklich ertragen will. Man wird heimische Landschaften vermehrt genießen, eventuell mehr von Zuhause aus arbeiten, hoffentlich mehr Hygiene walten lassen und nicht mehr offen herumniesen. Und bitte, bitte: Es habe ein Ende mit dieser fürchterlichen Ski-Bar-Szene! Nicht mit den Lokalen, sondern mit der geistesgestört überlauten Musik, die der Hauptgrund war, dass solche Bars zu Pandemiebrutzentren wurden: Dort musste man sich auf engstem Raum anschreien, um reden zu können, und spuckte Anderen die Viren ins Gesicht.
Aber: Corona wird uns nicht grundsätzlich besser, solidarischer, bescheidener, grüner machen. Und wo es ein „Umdenken“ gibt, einen „neuen Lebensstil“, ist das oft weniger einer Erleuchtung geschuldet, sondern durch fallende Einkommen erzwungen. Vieles, was Änderungspropheten verkünden, sind als Prognosen verpackte ideologische Wunschzettel. Not taugt aber selten zum sozialen Erweckungserlebnis, Krisen sind keine moralischen Erziehungsanstalten. Natur, Menschen und Systeme unterliegen dem Trägheitsgesetz und haben die Tendenz, auch nach schweren Schlägen in die alte Lage zurückzufinden. Die Welt ist konservativ. Wie sagte der Philosoph Georg Hegel (1770-1831): „Was die Erfahrung und die Geschichte lehren, ist, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“
Man muss das nicht so extrem sehen. Aber die neue Normalität wird eher alt ausschauen. Nie wurde so viel über Geld geredet wie jetzt, kaum jemand wurde bescheidener und senkt Ansprüche. Reisepläne nach Australien werden verschoben, nicht aufgehoben. Das Klagelied der Juristen wegen der Pandemiemaßnahmen hebt an. Das Polit-Hickhack geht weiter. Die Messerstecher sind zurück. Und z’Luschnou am Kreisverkehr staut sich’s wieder.

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