Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

Als die Kavallerie der Guten die Täuscherpartei rettete

November 2017

Wieso Grünwähler en masse zu einer Partei überliefen, die kurz vor der Wahl einen Megaskandal zu verantworten hatte und ihr Platz zwei sicherten, ist schon ziemlich bizarr.

Einige Wochen sind seit der Nationalratswahl, dieser „Wendewahl“, vergangen. Nach einem der schmutzigsten Wahlkämpfe war man lange mit Kehren und Kärchern beschäftigt, um den Mist aus Bosheiten und Lügen zu beseitigen. Vor allem in Wien, wo der sich stets besonders dicht zusammenballt.

Noch immer beschäftigt viele eine Frage: Wieso sind laut Wählerstromanalyse etwa 400.000 vormalige Wähler anderer Parteien, Nicht- und Erstwähler zu jener Partei geritten und retten ihr Platz zwei, die sich gerade eine der größten Abartigkeiten der letzten Jahrzehnte zurechnen lassen musste: strategisch geplante Täuschung der Öffentlichkeit durch getürkte (a)soziale Medien samt Abgleitens in Grausliches zu Wahlschlachtzwecken. Die Justiz ermittelt.

Zur Erinnerung: Ende September flog auf, dass eine SP-Sondertruppe interner Mitarbeiter und externer Berater (darunter der in Rumänien und Israel strafrechtlich verfolgte Tal Silberstein, Experte für „dirty campaigning“), mindestens zwei Facebook-Seiten betrieb, die wirkten, als gehörten sie anderen Urhebern, und ÖVP-Chef Sebastian Kurz anpatzten. Die „Wir für Sebastian Kurz“-Seite gab sich als VP-Fanbase und streute rechtspopulistische Übertreibungen, die liberalere Kurz-Zuneigende abschrecken sollten. Die Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ schien FP-nah, wobei sie Kurz ins linke Eck rückte, als „Willkommenskulturfreund“ und „Münchhausen“ zu enthüllen suchte und mit xenophoben bis antijüdischen Tönen arbeitete. Das sollte primär der FPÖ schaden, indem man ihr „dirty campaigning“ unterschob. Da sich der oft zum Nachteil des Benutzers auswirkt, sollten so potenzielle FP-Wähler abgeschreckt werden.

Silberstein wurde im August gefeuert, nachdem er in Israel wegen Geldwäscheverdachts verhaftet worden war. Die „Facebook-“ beziehungsweise „Silberstein-Affäre“ hat weitere schmierige Facetten inklusive gewisser Drähte ins Kurz-Camp, aber lassen wir das. Die Sache sollte bekannt sein.

Jedenfalls: Wieso kam eine 400.000 Wähler starke Kavalleriearmee, die vom Skandal wissen musste, dessen erstes Opfer die Öffentlichkeit war, der SPÖ zu Hilfe? Die verloren im Vergleich zu 2013 zwar 305.000 Wähler, die meist zur FPÖ flohen (155.000), zur Liste Kurz (43.000) und den Nichtwählern. Die Kavallerie aber gab den Täuschern einen Überhang von rund 100.000 Stimmen und ein mikrobengroßes Plus von 0,04 Prozentpunkten auf 26,86 Prozent, noch vor der FPÖ (26 Prozent). Sonst würden die Roten mit kaum 19 Prozent auf Rang drei knien.
Besonders irritierend: Die größte Partie der SP-Zugänge, 161.000, kam von den Grünen. Der Rest stammte meist von Nicht- und Erstwählern (156.000). Generell entleerten sich Ulrike Lunaceks und Ingrid Felipes Grünteetassen (581.000 Wähler anno 2013 beziehungsweise 12,4 Prozent) primär zur SPÖ. Zum Kirchenspalter der Grünen, Peter Pilz, pilgerten nur 67.000, doch 84.000 zu Kurz. Am Ende blieben den Grünen 193.000 Fans beziehungsweise 3,8 Prozent. Das war’s vorerst mit dem Hohen Haus.

Interessant sind die Wählerflüsse in Vorarlberg im Vergleich zu Wien. Während die Grünen in Wien um brutale 10,5 Prozentpunkte auf 5,9 Prozent knallten, war das im Ländle marginal sanfter (minus 9,8 Punkte) auf 7,2 Prozent. In Wien wuchs die SPÖ um 2,85 Punkte, in Vorarlberg gar um 4,7 auf 17,85 Prozent. Im Vergleich zur Landtagswahl 2014, als die Ländle-SP 8,8 Prozent holte, echt ein Jubelgrund!

Wie dem auch sei: Dass gerade Menschen einer Lebens- und Denkungsart, die sich vorgeblich so hohe Niveaus bei Werten, Moral, Anstand und Menschlichkeit (von Zynikern „Gutheit“ genannt) zumisst, zu jemandem desertieren, der soeben der Belügung der Öffentlichkeit überführt war, ist bizarr. Man könnte sich dazu allerhand Unvorteilhaftes denken, aber lassen wir das, denn diese Leute sind sehr empfindlich und teilen umso heftiger aus. Von „flexibler Moral“ wird man wohl sprechen dürfen.

Viele Grünflüchtlinge erklären ihre Motive öffentlich. Interne Vorgänge (etwa die Demontage von Peter Pilz) hätten sie geärgert; eine Bewohnerin des Wiener Bobo-Bezirks Neubau sagte in „News“: „Diese keifenden Weiber Vassilakou, Glawischnig und Korun haben meine Partei zerstört.“ (Maria Vassilakou ist Vizebürgermeisterin; Eva Glawischnig trat im Mai als Grünen-Chefin ab; Alev Korun war zuletzt im Parlament für Menschenrechte, Migration, Integration zuständig.)

Die Grünen seien blauäugig und ignorierten Alltagsprobleme, etwa als „No Borders“-Klub, der nicht sehen wolle, dass man Migration filtern muss. Die Political Correctness nerve zusehends. Peter Pilz sagte dazu gegen Ende eines Gesprächs mit „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak Bemerkenswertes (www.diepresse.com/pilz13 – ab 17:14). Etwa: „Was ich wirklich nicht mag, ist die Sprachpolizei. Dieses ,So-und-so darf man das nicht sagen‘.“

Wer zur SPÖ wechselte, begründete das oft taktisch. So lasse sich die FPÖ in der Regierung leichter verhindern. Diese Leute sehen Parteien wohl mehr als Mittel zum ego-moralischen Zweck denn als Abbild eigener Überzeugung. Da drückt man bei deren Inhalten und Umtrieben schon einmal ein Auge zu, wenn ein vorgeblich guter Zweck die Mittel heiligt.
Immerhin: Die grünen „Diesmal SPÖ“-Wähler waren ja nicht allein. Zudem zeigen Umfragen, dass die Silberstein-Affäre nur für 16 Prozent aller Wähler irgendwie Thema war und ihre Wahl vielleicht beeinflusste. Anderen Daten zufolge könnte sie sogar bei fast niemandem (!) das Wahlverhalten beeinflusst haben – auch nicht dort, wo man der SPÖ entfloh.

Nun ja. Laut einer anderen Umfrage sagten 93 Prozent, dass sie Politikern wenig oder gar nicht trauten. Wie man aber ein Volk einschätzen soll, dem es praktisch wurscht ist, wenn es verarscht wird, darf man sich auch fragen.

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