Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

DEMOKRATIE IM SPANNUNGSFELD VON DIREKT UND INDIREKT

Oktober 2021

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass die Volksabstimmung in Ludesch zur Betriebserweiterung des Getränkeherstellers Rauch verfassungswidrig ist, kam Demokratie in direkter und indirekter Form wieder stärker in den Diskurs. Von Schwächung der Demokratie (Bürgermeister Martin Schanung) war die Rede, bis zur Klarstellung, dass die repräsentative Demokratie so nicht gestürzt werden könne (Bürgermeisterin Andrea Kaufmann). Tatsächlich wurde mit diesem Erkenntnis die direkte Demokratie geschwächt und die indirekte Demokratie gestärkt. Ob damit gleich die Demokratie geschwächt oder gestärkt wird, soll näher erläutert werden.
Wie schon Anton Pelinka in seinen Vorlesungen zu betonen wusste, ist die direkte Demokratie der utopische Kern des Demokratiebegriffes und die indirekte Demokratie das Ergebnis einer Einsicht in Realitäten, die durch utopische Ziele nicht außer Kraft gesetzt werden können. Pelinka: „Die indirekte Demokratie ist die Synthese von demokratischer Utopie und von gesellschaftlicher Wirklichkeit.“ Wie so oft, geht es um das Maß – an dem freilich nachjustiert werden kann – aber auch um die gegenseitige Toleranz und vielleicht sogar um mehr gegenseitiges Verständnis und Miteinander, ohne gleich die Demokratie als Ganzes in Frage zu stellen.
 

Repräsentative Demokratie und die Macht der Parteien

Pelinka sieht bei einem Zuviel an repräsentativen Elementen eine ständige Gefahr für die Demokratie ins Überschlagen in eine Oligarchie, in eine bürokratische Elitenherrschaft, in eine vom Volk nur theoretisch kontrollierte Elitegruppe. Tatsächlich sollten sich Parteien überlegen, ob sie durch ihre „Filterwirkung“ für potenzielle Mandatare nicht Parteiräson und Parteiloyalität über das freie Mandat und die persönliche Integrität der Kandidaten stellen. Und gesetzgeberisch könnten Wahlen attraktiviert werden, wenn es wie in der Schweiz „das Recht zum Panaschieren“ gäbe. 

Bei diesem meint Gerhard Schwarz, ehemaliger NZZ-Redakteur, können die Wähler*innen „die Wägsten und Besten“ aus verschiedenen Listen auf die Liste der „eigenen“ Partei setzen, ohne dass diese Stimme ungültig wird. Und was auch nicht vergessen werden soll, ist der Umstand, dass es vor allem in kleinen Gemeinden in der Praxis relativ leicht ist, mit einer eigenen Partei in das Gemeindeparlament einzuziehen. Sogar auf Landes- und auf Bundesebene kann das geschafft werden, wie Matthias Strolz bewiesen hat. Aber es bedeutet viel Einsatz und auch Risiko, in dieser Art in der indirekten Demokratie mitzuwirken. 

Direkte Demokratie von unten ermöglichen?

Wenn wir einmal das eher zahnlose Recht der Volksbegehren außer Acht lassen, können die Parlamente eine Entscheidung immer dem Volk zur Abstimmung vorlegen und direkt abstimmen lassen. Eine Gesamtänderung der Verfassung muss dem Volk vorgelegt werden. Und bisher gab es in Vorarlberg auch die Möglichkeit, per Unterschriftensammlung eine Entscheidung dem Volk durch Abstimmung – ohne Zustimmung der gewählten Repräsentanten – zu überantworten. 
Unabhängig von meiner Meinung als überzeugter Demokrat für diese „Volksinitiative“ sollen auch die Nachteile der direkten Demokratie Erwähnung finden.
So gibt es einerseits die gewählten Vertreter, die dafür gewählt sind, die Entscheidungen für ihre Wähler im Parlament zu treffen und so ist die direkte Demokratie oft das Anliegen der Opposition, sind sie doch noch einmal eine Chance eine (mögliche) Entscheidung der Repräsentanten umzustoßen. Sie gibt in der Auseinandersetzung auch jenen (politische) Macht, die es nicht zu Repräsentanten geschafft haben oder sich nicht auch für die Alltagsentscheidungen zur Verfügung stellen. Direkte Demokratie öffnet auch dem Populismus die Türe und erlaubt zweitens machtvollen Gruppen Einfluss auszuüben, was klar auch bei der repräsentativen Demokratie möglich ist, aber die Verantwortung bleibt persönlich bei den Mandataren, die sie im besten Falle übernehmen und dabei stets auch den Blick auf das Große und Ganze gerichtet haben mögen. Wenn es zu viele Volksentscheide gibt, verlieren diese an Bedeutung, was an den Beteiligungen in der Schweiz abzulesen ist und wir schlittern in eine „Betroffenheitsdemokratie“, in der vom Abstimmungsrecht Gebrauch gemacht wird, wo es einen (be)trifft. 

Partizipative Demokratie

Wenn wir als dritten Teil der Demokratie die Partizipative hinzunehmen, seien darunter alle jene Formen gemeint, dort Mitsprache zu (v)erlangen, wo sie (noch) gar nicht vorgesehen sind, zum Beispiel durch Bürgerinitiativen. Von der „Atomkraft – nein danke“ über Hainburg bis zur Initiative in Weiler gegen eine Betriebsansiedlung kann die repräsentative Demokratie ihrer (Ohn)Macht bewusstwerden. Und manchmal mündet diese in ein direkt demokratisches Element, wie in Ludesch. Das ist nun „von unten“ nicht mehr möglich, aber die Macht der Partizipation als Bürgerinitiative ist ungebrochen und vermag Entscheidungen umzustoßen oder schon im Vorfeld politisch zu verunmöglichen. Aber wie meinte Kaspanaze Simma in einem Interview: „Aber mindestens genauso bedeutend ist der politische Diskurs in der Bevölkerung, den eine Abstimmung automatisch mit sich bringt. Für eine gelebte Demokratie ist das sehr befruchtend.“ Demgegenüber steht die Befürchtung, dass solche basisdemokratischen Entscheidungen den Frieden im Dorf nachhaltig stören. Aber Demokratie ist nun einmal die „Zivilkultur des Umgangs miteinander“ (Julian Nida-Rümelin) und zu diesem Umgang gehört auch eine demokratische Streitkultur, im Parlament wie auf dem Marktplatz.

 

Veranstaltung 

Veranstaltung am Freitag, 22. Oktober in Höchst in der alten Stuhlfabrik ab 19 Uhr öffentlich mit Publikumspartizipation:
„Es lebe die Demokratie!? Wie können repräsentative, direkte und partizipative Demokratie in Zukunft besser zusammenwirken?“ www.buergerinnenrat.at

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