Wolfgang Weber

Er etablierte 2003 die Grundlagenlehr­veranstaltung „Politische Bildung“ für Lehramtsstudierende in Geschichte und Sozialkunde an der Universität Innsbruck. Neben der Lehre ist seine Fachexpertise als demokratiepolitischer Bildner auch in Vermittlung und Forschung gefragt, etwa bei Ausstellungsprojekten mit Klassen der Mittelschule Lauterach (2006) und des Bundesgymnasiums Lustenau (2008) und gegenwärtig als Fachexperte im EU-finanzierten Forschungs- und Vermittlungsprojekt „World Class Teacher“ mit Standorten in England, Österreich, Polen und der Slowakei.

Demokratiepolitische Bildung im verflixten siebten Jahr

Oktober 2014

Vor sieben Jahren beschloss das österreichische Parlament die Senkung des Aktivwahlalters auf 16 Jahre. Volksvertretung und Fachleute erhofften sich davon eine Stärkung der partizipativen Demokratie. Mit erweiterten Fort- und Ausbildungsmöglichkeiten sollten die neuen Wählerinnen und Wähler auf ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Miteinander vorbereitet werden. Wie andere scheiterte auch diese „Bildungsreform“ an der österreichischen Realität.

Die Einigkeit war groß, als der 28. Vorarlberger Landtag in seiner vierten Sitzung am 9. Mai 2007 mit den Stimmen aller vier Parteien eine Vorlage des Kultur- und Bildungsausschusses zu Demokratie, Politischer Bildung und Globalem Lernen beschloss. Forderungen wurden gestellt. An die Bundesregierung in Wien. An die im selben Jahr zu gründende Pädagogische Hochschule in Feldkirch. An den Landesschulrat in Bregenz.

Der Bund sollte einen neuen Unterrichtsgegenstand ermöglichen, der „Demokratie, Politische Bildung und Globales Lernen“ heißen und an den Unterstufen der Gymnasien sowie den damaligen Haupt- und Mittelschulen obligatorisch sein sollte. Die Lehramtsstudien an den Universitäten müssten dieses Fach in die Studienordnungen einbauen und für bereits aktive Lehrerinnen und Lehrer einschlägige Fortbildungen gesichert werden.

Die Pädagogische Hochschule, die im September 2007 gegründet wurde, sollte ein Fach „Demokratie, Politische Bildung und Globales Lernen“ in die neu zu entwickelnden Curricula für Volks- und Mittelschulen aufnehmen, einschlägige Forschungen anstoßen und durchführen. Der Gründungsrektor der PH Vorarlberg kündigte damals gar die Errichtung eines Forschungsschwerpunkts Politische Bildung an der neuen universitären Ausbildungsstätte für Vorarlberger Pflichtschullehrende an.

Der Landesschulrat schließlich hätte nach dem Wunsch der einstimmigen Entschließung aller vier Landtagsparteien im Mai 2007 die betroffenen Einrichtungen, also Schulen und Weiterbildungsinstitutionen, stärker vernetzen und für ein nachhaltiges und kontinuierliches Fort- und Weiterbildungsprogramm für Pädagoginnen und Pädagogen sorgen sollen.

Im siebten Jahr nach dieser einstimmigen Entschließung forderte das Vorarlberger Schülerinnen- und Schülerparlament die Integration eines eigenständigen Unterrichtsfachs Politische Bildung ab der 7. Schulstufe. Auf Antrag von ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten beschloss der 29. Vorarlberger Landtag in seiner 9. Sitzung am 12. Dezember 2013 wie schon sieben Jahre zuvor, die Bundesregierung aufzufordern, ein obligatorisches Unterrichtsfach Politische Bildung zu schaffen.

Inhaltlich war dieser Antrag ein Rückschritt. War sieben Jahre zuvor noch von Demokratie, Politischer Bildung und Globalem Lernen die Rede, blieb 2013 nur mehr die Politische Bildung übrig. Dieser terminologische Unterschied ist jedoch zentral. Denn Demokratiepolitische Bildung ist seit der Initiierung des gleichnamigen Projekts des Europarats 1997 der Terminus technicus für dieses Fach. Damit wurde ein Neubeginn ausgedrückt. Die „alte“ Politische Bildung forciert insbesondere das Wissen um politische Strukturen und Systeme, die „neue“ Demokratiepolitische Bildung hingegen rückt individuelle Erfahrungen und praktische Zugänge in den Mittelpunkt der Erziehung zur mündigen Bürgerin. Die Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv in gesellschaftliche Prozesse ihres eigenen Lebensumfelds einzubringen, werden entwickelt und gefördert. Politische Bildung in Form von Staatsbürgerkunde ist Vergangenheit – Demokratiepolitische Bildung in Form von Stärkung der Eigeninitiative und Partizipation ist Gegenwart.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtig stattfindenden Neugestaltung der Lehramtsstudien haben die österreichischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen derzeit die Jahr­hundertchance, alte Studienordnungen zu entrümpeln und neue, für die Entwicklung der Demokratie zentrale Fächer zu implementieren. Demokratiepolitisches Wissen als Schlüsselkompetenz für alle Lehramtsstudierenden etwa im Rahmen des Kernfachs Bildungswissenschaftliche Grundlagen in der Sekundarstufe einzuführen ist angesichts der Empfehlung des Europarats zur Demokratiebildung aus dem Jahr 1997 auch 24 Jahre danach ein Gebot der Stunde.

Im gegenwärtigen Entwurf für die gemeinsame Lehramtsausbildung der Pädagogischen Hochschulen in Tirol und Vorarlberg sowie der Universität Innsbruck ist keine Rede von Demokratiepolitischer Bildung für alle künftigen Lehramtsstudierenden. Das hehre Ansuchen des Vorarlberger Landtags aus dem Jahr 2007, gar einen Unterrichtsgegenstand „Demokratie, Politische Bildung und Globales Lernen“ einzuführen, ist vollkommen von der bildungspolitischen Agenda verschwunden – so wie das 2007 von der PH Vorarlberg angekündigte Forschungszentrum Politische Bildung Makulatur blieb. Der seit 1987 in Kooperation mit der Universität Salzburg am Wissenschafts- und Weiterbildungszentrum Schloss Hofen durchgeführte Universitätslehrgang Politische Bildung wurde 2014 erstmals aufgrund ungenügender Anmeldezahlen nicht eröffnet. Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl am 21. September 2014 war mit 64,3 Prozent die nach 2004 geringste in der Geschichte demokratischer Wahlen in Vorarlberg. Jene teilnehmende Demokratie, die mit der Senkung des Aktivwahlalters vor sieben Jahren gestärkt werden sollte, wird zwischenzeitlich von einem Drittel der Wahlberechtigten durch Abwesenheit bei Wahlen gestraft. Die Verankerung einer modernen und von Parteien und Interessengruppen unabhängigen Demokratiepolitischen Bildung nicht nur in der Lehramtsausbildung ist notwendiger denn je.

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