Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Identität aus Blech

Juli 2021

Heinz Fischer, der damalige Klub­obmann der SPÖ, nannte es eine Sommerkomödie, an der sich die sozialistische Parlamentsfraktion nicht beteiligen werde, wieder andere sahen darin eine echte Bedrohung für die Identität und Eigenständigkeit Österreichs. Grund für die Aufregung war 1988 der Beschluss des österreichischen Nationalrats, neue Autokennzeichen mit schwarzen Zahlen und Buchstaben auf weißem Grund einzuführen. Es sollte damit das bis heute auslaufende, aber immer noch gültige Kennzeichensystem abgelöst werden, das seit 1947 in ganz Österreich in Kraft ist.
Eigentlich waren es hauptsächlich Argumente der Verkehrssicherheit, die für die neuen Kennzeichen mit weißem Hintergrund sprachen. Erhöhte Rückstrahlkraft in der Nacht, die bessere Lesbarkeit aufgrund der neuen Abmessungen sowie die Tatsache, dass das alte Nummernsystem an seine Kapazitätsgrenze gekommen war, sprachen für die Erneuerung. Dem wurde von den Gegnern erwidert, dass eine verbreiterte weiße Schrift genau die gleiche Qualität aufweise, der weiße Hintergrund ja sogar zu viel Reflexion verursache könne, was bei Radarmessungen zu Problemen führe.
Für die emotionale Auseinandersetzung um die neuen Tafeln, abseits aller verkehrstechnischen Aspekte, sorgte der prominente österreichische Künstler Friedensreich Hundertwasser, der seine ganze Kraft in den Widerstand gegen die neuen Tafeln investierte. Hundertwasser (1928-2000) war Maler, Architekt und Umweltaktivist, dessen künstlerisches Prinzip die strikte Ablehnung von Standardisierung und die Betonung von Individualität und Lebendigkeit war. In Vorarlberg ist die unverwechselbare Handschrift des Künstlers an der Fassade des Firmengebäudes der Textilfirma Rueff in Muntlix/Zwischenwasser erkennbar. Bei einer Veranstaltung im Rahmen der Hobbymesse in Dornbirn listete er die wichtigsten Argumente gegen die neuen Nummerntafeln auf: „Der österreichische Weg. Diese scheinbar administrative Kleinigkeit, unsere Kennzeichen weiß auf schwarz, sind eine dauernde Visitenkarte Österreichs auf circa drei Millionen Autos, ein Erscheinungsbild unserer spezifischen Eigenständigkeit. Unsere Identität ist unser wichtigstes Gut im Kreis der anderen Nationen, die langsam näher zusammenrücken. Warum müssen wir anonymes Mittelmaß aus dem Ausland kopieren, das der österreichischen Kultur, dem österreichischen Wesen, der österreichischen Seele nicht entspricht.“ Hundertwasser lehnte den offiziellen Entwurf nicht einfach ab, sondern er schuf ein Gegenmodell mit breiten weißen Buchstaben auf schwarzem Grund und dominanten Landeswappen.
In Österreich wenig verwunderlich bekam der Streit schnell auch eine parteipolitische Komponente. Im Widerstand gegen den SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher sammelten sich alsbald zahlreiche ÖVP-Politiker, wie etwa der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer, in einträchtiger Gesellschaft mit dem Kärntner FPÖ-Landeshauptmann Jörg Haider. Schließlich plädierte die österreichische Landeshauptleutekonferenz sogar einstimmig dafür, die Entscheidung für die weißen Tafeln noch einmal zu überdenken und wenn möglich zu revidieren. Es bildete sich ein kraftvolle Initiative, die über 200.000 Unterschriften für die Hundertwasser-Tafeln sammelte, wobei die Vorarlberger Nachrichten mit ihrer medialen Unterstützung stolz darauf waren, „mit 5000 Unterschriften aus Vorarlberg ihr Scherflein dazu beigetragen zu haben.“ Später wurden sogar 10.000 Unterschriften gezählt, die in Vorarlberg geleistet wurden. Gestärkt durch eine Umfrage, in der 93 Prozent der VN-Leser die neuen Kennzeichen ablehnten, bezogen die VN bis zuletzt eindeutig Position. Österreichweit war es vor allem eine Kampagne der „Kronen Zeitung“, die gegen die vorgesehenen Tafeln Stimmung machte.
Auch die Vorarlberger Landespolitiker bezogen klar Stellung für die Hundertwasser-Autokennzeichen, so besuchte der Künstler den damaligen Landesstatthalter Siegfried Gasser sowie Landeshauptmann Martin Purtscher, die ihm öffentlich zur Seite standen. Entgegen der offiziellen Parteilinie der Bundes-SPÖ trat auch die Stadt Bregenz unter einem sozialistischen Bürgermeister für die alternativen Kennzeichen ein. Um sein Begehren auch der breiten Bevölkerung zu kommunizieren, bespielte Friedensreich Hundertwasser 1989 auf der Dornbirner Hobby-Messe einen Stand, wo er mit prominenter Unterstützung für seine Kreationen warb.
Trotz aller Widerstände folgte im November 1989 die endgültige Entscheidung, die neuen, weißen Nummernschilder ab 1. Jänner 1990 einzuführen. Da bei einzelnen Bezirkshauptmannschaften die alten, schwarzen Tafeln aber bereits vorher ausgegangen waren, wurde dort schon im November mit der Ausgabe begonnen.

Obwohl sich Verkehrsminister Streicher klar positioniert hatte: „Es ist sicherlich nicht meine Aufgabe, für die Errichtung einer ‚rollenden Galerie‘ zu sorgen, waren auch nach der Entscheidung viele Hundertwasser-Tafeln im Umlauf, so wurden etwa in Vorarlberg viele davon verlost. Das veranlasste das Verkehrsministerium 1991 zu folgendem Erlass: „Es ist häufig zu beobachten, daß in Kfz in der Heckscheibe sogenannte ‚Hundertwasserkennzeichen‘ mitgeführt werden. Diese stellen zwar nach Ansicht des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr Gegenstände dar, die nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Aussehen leicht für amtliche Kennzeichentafeln gehalten werden können und somit an Fahrzeugen nicht angebracht sein dürfen. Das Bundesministerium empfiehlt aber, gegen Lenker, die solche ‚Hundertwasserkennzeichen‘ im Fahrzeug mitführen, nicht einzuschreiten und diese nicht zu beanstanden.“

Längst hat man sich auch in Vorarlberg an die weißen Tafeln mit schwarzer Schrift gewöhnt und die Exoten mit den alten Tafeln, die sich noch auf den Straßen tummeln, werden immer weniger. In Vorarlberg sind noch ungefähr 5000 Gefährte, oft sind es auch nur Anhänger oder Motorroller, mit den alten Kennzeichen angemeldet.
In der näheren Umgebung ist es nur das Fürstentum Liechtenstein, das sich im Gegensatz zur Schweiz dem allgemeinen, europäischen Trend zu weißen Kennzeichen bis heute widersetzt hat, und sich damit seine blecherne Eigenständigkeit und Individualität erhalten konnte.

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