Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Social Media bringen unsere Demokratie ins Wanken

Juni 2024

Social Media sind in jedem Haushalt und auch in der Berufs- und Freizeitwelt omnipräsent. Das wäre an sich noch nicht schlimm, würden sie nicht die klassischen Nachrichtenmedien verdrängen. Bedenkt man, dass Google einen Suchmaschinenanteil von 90 Prozent hat, wird klar, dass wir es hier beinahe mit einem Monopol zu tun haben, das darüber entscheidet, was bei uns am Bildschirm oder auf dem Display zu sehen und zu lesen ist. Und Google will in erster Linie nicht die Demokratie fördern, sondern Geld verdienen. Das ist legitim, aber auch demokratiegefährdend. Denn es wird auch die Pluralität, die Meinungsvielfalt und die Qualität untergraben: mit Inhalten beinahe ohne rechtliche Verantwortung, es sind ja „nur“ Meinungen von anderen.

Algorithmen bestimmen, was wir sehen
Algorithmen sind eine formal festgelegte, technisch automatisierte Vorgehensweise, nach der eine definierte Aufgabe gemäß einem strukturierten Schema gelöst wird und sie legen fest, was wir sehen oder sehen wollen, um belohnt zu werden, dass wir richtig liegen und in unserer „Blase“ bestätigt werden. Wer schon einmal eine „rechte“ Seite geöffnet hat, kann das gut nachprüfen. Diese Algorithmen „entscheiden“ nicht nach Wichtigkeit, sondern nach Nutzungsverhalten, und so ist es nicht verwunderlich, dass demokratiepolitische Inhalte in ihrer differenzierten Darstellung zu kurz kommen. Das bedeutet vor allem bei weniger Gebildeten und bei Kindern und Jugendlichen ein höheres Gefährdungspotenzial, weil ein Korrektiv fehlt und die Inhalte innerhalb derselben Nutzergruppe als Follower verbreitet werden.  

Die Qualität des Lesens und Aufnehmens von Print und Digital
Der Medienberater Peter Plaikner weist auf die Qualität des Lesens hin: Die Aufnahmequalität des digital Gelesenen hat nicht annähernd die Qualität des Lesens auf Papier. Deshalb liege der Anteil der E-Books im Buchhandel noch immer unter 15 Prozent. Aber wer von den Jungen liest noch Bücher? 
Noch relevanter scheint die Tatsache, dass sich die Aufmerksamkeitsspanne drastisch verringert hat. Längere, komplexe Inhalte zu lesen, fällt immer schwerer und viel leichter die Aussage: „Das zu lesen ist mir zu kompliziert oder zu anstrengend.“ Social Media kommen dem mit kurzen, knackigen, reich bebilderten Inhalten entgegen, zu Lasten des oft notwendigen komplexen Teils der Inhalte. 

Auch Online-Medienportale verlieren
Junge Erwachsene, durchaus gebildet und vernünftig, erklären mir, dass sich die professionellen, traditionellen Medien eben diese Kanäle von Social Media zunutze machen müssten, wenn sie junge Menschen erreichen wollen. Das ist nicht falsch, aber auch nicht hinreichend. 
Denn nur manchmal gelingt es, die Social Media-Konsumenten auf die Online-Plattformen von seriösen Medien zu locken. Aber wenn es folglich dort zu lange und zu komplex wird, springt das Dopamin gesteuerte Gehirn nicht an, sondern mit einem Klick wieder heraus. So berichtete Manuel Reinartz, „Presse“, von einem nur sehr kurzlebigen Interesse an ihrer Online-Plattform und auch weltweit gingen die Klicks bei den Onlinemedien zurück: „Junge User können immer schlechter erreicht werden.“ Auch wenn die Gründe nicht geklärt seien, wird eine Medienverdrossenheit vermutet. So ist die Zahl derer, die an Nachrichten interessiert sind, weiter leicht gesunken und die Zahl derer, die sich nicht für Nachrichten interessieren, um gut ein Prozent gestiegen. Verloren haben auch die Fernsehprogramme als Nachrichtenquelle, bleiben aber noch die meistgenutzte Quelle. Tageszeitungen bleiben stabil, aber die Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten ist mit 14,3 Prozent noch recht gering, steigt aber leicht, insbesondere bei den jungen Altersgruppen. Bei den Zugriffszahlen gab es dennoch einen spürbaren Rückgang. Nur bei ganz „großen“ Ereignissen wie Skandalen oder Wahlen gibt es einen sehr kurzzeitigen Hype. 

Und wo bleibt die Demokratie?
Ja, Social Media sind eine Bedrohung für unsere Demokratie, weil sie eine Bedrohung für guten – in der Regel professionellen – Journalismus sind und der die vierte Säule in der Demokratie ist. Würden Social Media das leisten, stünde Russland längst nicht mehr auf so sicheren Beinen. ORF-Russland-Korrespondentin Carola Schneider hielt vor zwei Jahren fest, dass sich junge, gebildete Menschen in Russland sehr gut über Social Media international informieren (können) und sich von der gleichgeschalteten Presse emanzipiert hätten. Was auf jeden Fall in einem demokratischen Rechtsstaat notwendig ist: Die Regulierung von Social Media dahingehend, dass diese für „Nachrichten und Meldungen“ verantwortlich gemacht werden (können), wie es bei den klassischen Medien auch der Fall ist. Fake-News dürfen im besten Fall gar nicht verbreitet und im anderen Falle schnell und sicher beklagt werden können. In den Schulen muss Medienbildung geleistet werden, als grundlegende Bildungsarbeit im Rahmen von fächerübergreifender „politischer Bildung“. 
Aber klar muss auch sein, dass sich die klassischen, professionellen Medien viel stärker um einen Zugang zu jungen Menschen kümmern müssen. Wie, muss dringend geklärt werden. Einfach wird das nicht, aber „Zusehen“ geht nicht, es braucht neue Wege und neue Formate, um wieder in die Breite der Gesellschaft zu kommen. Social Media sind dort längst angekommen, der professionelle Journalismus muss seinen Weg noch finden. Noch hält unsere Demokratie stand, aber die Zeit drängt. Verlässliche Medien sind nur die vierte Säule der Demokratie, aber eine grundlegende Voraussetzung für diese - und ohne sie beginnt jede Demokratie instabil zu werden.

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