Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Unsere Perspektive auf die Welt“

November 2023

Die Energieautonomie war das Thema einer Veranstaltung im Festspielhaus. Historiker Philipp Blom hielt dabei ein grundsätzliches Referat – über die Anmaßung des Menschen, die Welt beherrschen zu wollen und „eine mögliche gute Zukunft“.

Das Energieinstitut hatte Mitte Oktober zu einer Veranstaltung ins Festspielhaus geladen, und dort unter reger Anteilnahme in verschiedenen Arbeitskreisen Maßnahmen, Ideen und Bruchlinien auf dem Weg zur Energieautonomie diskutiert. Ein Grundsatz-Referat zum Auftakt der Veranstaltung hatte dabei der renommierte Historiker Philipp Blom gehalten und – online zugeschaltet – zunächst auf die enormen gesellschaftlichen Verwerfungen verwiesen, auf die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten, genauso wie auf den Krieg in der Ukraine; und auf die Tatsache, dass fossile Energien gefährliche, verhängnisvolle politische Abhängigkeiten schaffen. 
Doch noch sei der Mensch, bildlich gesprochen, mit Schattenboxen beschäftigt, sei unverändert verstrickt in Unterhaltungen, die unserer Zeit nicht mehr angemessen sind. Blom spricht da von einer „intellektuell und kulturell zerstörerischen Einstellung“ des Menschen: „Wir wollen uns die Welt unterwerfen, wir wollen die Welt beherrschen, wir denken über unsere Beziehung zur Welt und zu anderen Menschen in den Begriffen von Herrschaft und Unterwerfung, von Herrschern und Beherrschten.“ Dem Historiker zufolge reicht diese Art zu denken bis an die Anfänge der Menschheit zurück, sie stamme aus den Kulturen in Mesopotamien, in denen vor Jahrtausenden die ersten Städte errichtet worden waren. Und über Jahrtausende hinweg wurde diese Einstellung weiter tradiert, die Auffassung: Macht Euch die Erde untertan! Die Idee, dass der Mensch außerhalb und über der Natur stehe, hatte Blom in einem „Thema Vorarlberg“-Interview 2022 gesagt, „diese Idee ist in Mesopotamien geboren, wurde in der Bibel über Jahrhunderte konserviert und ist dann mit der Bibel nach Europa gekommen. Und hat da ein neues Leben angefangen.“ 
Mit der Christianisierung anderer Kontinente, später der kulturellen Revolution, die in die Aufklärung übergeht und in der industriellen Revolution mündet, beginnt die Zerstörung um sich zu greifen. „Die Idee der Beherrschung der Natur war so lange keine zutiefst zerstörerische Idee für natürliche Zusammenhänge, solange die Gesellschaften nicht die Technologie hatten, um tief in die Natur einzugreifen.“ Und die Idee der Natur als totem Territorium, das beliebig getreten, ausgebeutet und unterworfen werden kann, ist laut Blom gleichsam „ein kulturelles Muster, das uns bis heute begleitet“.
Aber wie gegensteuern, wie ein Umdenken erreichen? Man solle nicht ständig von Verzicht sprechen, sagte der Historiker, man solle die Diskussion umkehren: „Wie wäre es denn, wenn wir die Menschen fragen: In welchem Land wollt ihr 2050 leben?“ Und wenn die Menschen für sich eine positive Antwort formuliert hätten, dann müsse man die nächste Frage anschließen: „Und was müssen wir jetzt machen, um dahin zu kommen?“ Drehe man die Diskussion um die Zukunft derart um, würden viele Menschen offener für Fakten und Prozesse. 
Wobei: Verzicht? Blom erheiterte an dieser Stelle das Publikum, in dem er die Zuhörer bat, aufzuzeigen, wer Kinder habe – und dann mit Blick auf die vielen erhobenen Hände sagte: „In einer marktwirtschaftlichen Welt ist das so ungefähr die dümmste Entscheidung, die Sie haben treffen können. Sie haben sich wirtschaftlich abhängig gemacht, sie haben pro Kind ungefähr den Wert einer Eigentumswohnung verloren, haben als Frau vielleicht auf ihre Karriere verzichten müssen.“ Warum also? Warum tut man das? „Weil man eine qualitativ andere Zukunft will – und für diese qualitativ andere Zukunft, die man erreichen will, sind solche Verzichtslösungen dann nicht mehr besonders wichtig.“ Könnte man laut Blom also die Diskussion auf eine qualitativ andere Zukunft lenken, „auf eine mögliche gute Zukunft unter schwierigen Umständen, dann könnten wir auch die Debatte ändern, über die Maßnahmen, die wir auf dem Weg dorthin treffen müssen.“ Eingangs, zu Beginn seines Referates, hatte Blom gesagt: „Ich glaube, dass wir vor einer beispiellosen historischen Transformation stehen, und zwar nicht nur einer Transformation unserer Ökonomie, sondern letztendlich auch unseres Denkens und unserer Perspektive auf die Welt.“

Bruchlinien 
Windräder auf dem Pfänder? Ein Kleinkraftwerk im Mellental? Zum Auftakt der Veranstaltung, die das Energieinstitut unter das Motto „Bruchlinien auf dem Weg zur Energie-Autonomie“ gestellt hatte, sagte Landesrat Daniel Zadra, dass die Energieautonomie immer stärker sichtbar werde, etwa in Form von Photo­voltaikanlagen auf den Dächern.
Und doch ist das Sichtbargewordene umstritten, umstritten wie es eben die andiskutierten Windräder sind. „Für die einen sind das unsere neuen Freiheitsstatuen“, sagte der Landesrat, „für die anderen aber eine absolute Verschandelung der Landschaft.“ Detto werden Kleinwasserkraftwerke von den einen gefordert, von den anderen abgelehnt, aus Sorge um Flora und Fauna. „All das sind Bruchlinien, mit denen wir alle konfrontiert sind“, erklärte Zadra. Und gestand recht freimütig, dass das auf ihn sogar in doppelter Art und Weise zutreffe: „Ich bin einerseits Energie- und Klimaschutzlandesrat, andererseits aber auch Naturschutzlandesrat. Ich bin also der fleischgewordene Interessenskonflikt.“ Er versuche, damit sorgsam umzugehen, offen zu agieren, aber auch Grenzen zu setzen: „Weil wir nicht das Eine bis zum Exzess ausleben können, ohne das Andere zu berühren.“ Und in diesen demokratischen Aushandlungsprozessen befinde man sich tagtäglich, sagte der Landesrat.
Doch wie umgehen mit diesen Bruchlinien auf dem Weg zum Ziel? Müsse man unbequemer werden, weniger Rücksicht nehmen, um die Energie­autonomie verwirklichen zu können?
Diese Fragen stellte Moderator Wolfgang Seidl wiederum dem Historiker Philipp Blom. Und Blom antwortete: „Eine spannende Frage! In einer Demokratie braucht man nicht 51 Prozent, um etwas weiterzubringen. Vielleicht braucht man nur die richtigen 15 Prozent, die Trends setzen, die Meinungen schaffen.“

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