Vom Naturneid der Plattland- und Flachstadt-Bewohner auf die Westler
Die Debatte um Wintersport in Klimawandelzeiten ist ja nicht grundlos. Speziell in Ostösterreich ist der Ton dabei aber oft so, als ob sich Wurschtigkeit, Missgunst und Häme mit der Öko-Maske tarnen.
Gewaltig! Die Aussicht vom Gipfelkreuz auf der Nob (1785 Meter) oberhalb von Laterns zum Bodensee, über teils verschneite, teils dunkelschaumig bewaldete Berge wie den First, die Hohe Kugel, den Schönen Mann. Es war ein sonniger Wochentag im Februar vorigen Jahres, noch vor den Ländle-Semesterferien, und so gehörten mir, nahe Wien lebendem Exilanten, und meiner Familie die Pisten fast allein. Extrem schöner Tag.
Im Dezember wurde wieder die Debatte ums Skifahren in Klimawandelzeiten aufgetaut. Grund: die Bilder von schmalen Kunstschneestreifen auf grünbraunen Wiesen zur Weihnachtszeit, auf denen Leute rutschten. Sie erinnern sich, etwa in Mellau, Schruns und anderswo. Dazu kamen Dinge wie die Kosten und die sinkende Zahl heimischer Skifahrer. „War es das mit dem Skifahren?“, „Ist Skifahren in Zeiten der Teuerung immer noch das Leiwandste?“, sogar: „Sollen Kinder noch Skifahren lernen?“, lauteten Titel in Medien.
Später fiel viel Schnee, der Tourismus brummt. Aber vorbei ist die Skidebatte nicht. Ihr Kernraum in klassischen und (a)sozialen Medien ist das flache Ostösterreich. Von Bevölkerungsverteilung und Medienkonzentration her ist das klar. Seltsam aber ist vielfach der Ton. Doch dazu später.
Kurzer Exkurs: Klar wurden die Rahmenbedingungen seit Jahrzehnten ungünstiger. Es ist wärmer, die Schneedecke dünner, die mittlere Schneedeckendauer sank laut Uni Innsbruck seit 1961 um etwa 40 Tage, vor allem unterhalb von 1500 Meter. Gewisse Probleme gibt es auch darüber. Das Bödele hat’s schwer, am Pfänder ist’s schon lang vorbei.
Skifahren und Skiurlaub kosten ziemlich. In Österreich sinkt aber auch so die Zahl der Skifahrer: Laut dem Wiener Tourismusforscher Peter Zellmann gaben um 1990 herum etwa 60 Prozent der Leute an, mehr oder weniger oft Ski zu fahren. Heute seien es circa 40 Prozent, ein Drittel weniger. Das liegt etwa am Ende der Pflicht-Schulskikurse 1996 (verfügt von unsrer Liesl Gehrer, seither machen das nur noch etwa 100.000 bis 120.000 statt 250.000 Schüler im Jahr, das größte Minus im Raum Wien), dem wachsenden Migrantenanteil aus (ski)sportfernen Kulturen und Alternativen wie Fernflügen.
Allerdings: In mittleren und großen Höhen dürfte das Schneedefizit, falls extreme Änderungen ausbleiben, bewältigbar sein – auch mit Schneekanonen, deren Energieverbrauch samt dem aller Skilifte geringer ist, als Klimaschützer tönen (0,3 Prozent des Gesamtverbrauchs). Skifahren wurde laut Zellmann in Relation zum Einkommen nicht so heftig teurer, wie man glaubt, und war immer etwas primär für gehobene Schichten. Wegen des Bevölkerungswachstums sank die Zahl inländischer Skifahrer ab 1990 geringer als ihr Anteil (nur -22 Prozent), wurde durch Fremde kompensiert, es fahren weiter viele Junge, und: Da heute wie damals etwa 25 Prozent der Menschen in Österreich Skiurlaub (halbe Woche aufwärts) machen, ist das in absoluten Zahlen ein Plus. Also war die Tourismusbranche zuletzt zufrieden.
Jetzt aber zum Ton in der Debatte. Was da aus Ostösterreich kommt, klingt oft nach Wurschtigkeit, Madigmachen, Häme, ja Rache für als Kind erlittene „Qualen“ beim weiten Anreisen und dem ganzen Skizirkus mit dem dicken G’wand, das mal zu heiß ist und mal zu kalt, mit Nässe, Muskelkater, drückenden Skischuhen und den rauen Leuten im Westen. Bei dem Thema gibt’s ein emotionales West-Ost-Gefälle. Man kann indes schon im Süden von Niederösterreich im Prinzip skifahren, also ist’s eines zwischen dem Gros des Landes und Fernost-Österreich. Klar ist das auch so, weil dort Berg-Ausflüge nicht so easy sind wie im Ländle. Also setzt man sich das Öko-Käpple auf und nennt Skifahren trotzig böse für Umwelt und Klima, für Stadtmenschen unwichtig. Für Migranten auch.
Ein Beispiel für Spaßbremsengenörgel war ein Kommentar des im Marchfeld lebenden Öko-Publizisten Thomas W. Er möge Berge, sagt er. Aber Skifahren habe für ihn „keine Alltagsrelevanz“, sei unökologisch, man müsse „quer durchs ganze Land fahren“ dafür. Seine Frau mit Migrationshintergrund könne es nicht. Folgt: „Skifahren ist nicht mehr zeitgemäß“ und „keine österreichische Grundfertigkeit mehr“.
Mein Gott, was heißt schon zeitgemäß!? Das ist eine so modische wie beliebige Allzweck-Kulturkampfworthülse, in die man apodiktisch alles füllen kann, was einem grad nicht passt. Man glaubt, damit weise zu klingen, aber bleibt inhaltlich dünn. Gibt’s eine Altersgrenze, ab der etwas nimmer zeitgemäß ist? Sind Kirtage, Funkenfeste, Theater noch zeitgemäß, Weihnachten, Klassik, 80er-Pop und 70er-Jahre-Riesenbrillen?
Das häufige Argument, für Städter sei Skifahren unwichtig und Eltern dort zweifelten am Sinn von Skikursen für ihre Kinder, entpuppt sich als Wien-zentristisch: Es gibt viele Städte, von wo aus Menschen rasch und gern am Berg sind. Die meisten Österreicher müssen weder durchs ganze noch durchs halbe Land cruisen. Das Meer ist übrigens auch nicht ums Eck. Bitte nicht nur mit Wiener Augen glotzen! Ich hab hier in Niederösterreich gute Freunde serbischer Herkunft, die samt ihrer Kinder gern skifahren. Das sei gut und richtig, sagen sie. Was man kann, kann man.
Es beschleicht dich das Gefühl, dass Skiraunzer aus dem Plattland- und Flachstadtmilieu auch ein Naturneid treibt. Man spürte das dort deutlich, als in den Corona-Lockdowns im Winter 2020/21 die Skigebiete offen blieben, Hotels aber nicht. Im schönen Wien, wo viele auf ihre Urbanität so stolz sind, fühlten sie sich kaserniert und mussten zusehen, wie Steirer, Gsiberger etc. Tagesausflüge machten. Das hat viele sehr erzürnt – und Jessas!, erst die arge Infektionsgefahr beim Anstellen vor dem Lift! Dass Wiener Eislaufplätze offen hatten, war kein Thema.
Dass Stadtluft frei macht, ist mitunter ein Irrtum. Dort oben auf der Nob, mit Blick auf den Bodensee, dort macht dich die Luft wirklich frei.
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