Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Vom Streit in der Demokratie

Februar 2024

Wesentlich für das Vorhandensein von Politik ist das Phänomen des Konfliktes, ohne Konflikt gibt es keine Demokratie“, konstatiert Politologe Anton Pelinka. Der Konflikt ist somit Wesensmerkmal und Voraussetzung für Demokratie. Einerseits geht es um die Verteilung von politischer Macht, andererseits um die Durchsetzung von Interessen, die in einer offenen Gesellschaft immer divergierend sind, wenn wir einen utopischen Gesellschaftszustand einmal realistischerweise außer Acht lassen. 
„Die Unfähigkeit zu streiten, ist demokratiepolitisch zerstörerisch“, sagt die psychoanalytisch orientierte Konfliktberaterin Susanne Jalka, die in Wien ein Institut für Konfliktkultur gründete. Tatsächlich zeigen die „Verhandlungen“ im österreichischen Parlament oft ein unwürdiges Bild von Streitkultur. Zum einen, weil die Entscheidungen zu den einzelnen Abstimmungen schon im Vorfeld in den Klubs gefallen sind, zum anderen, weil es dann nur mehr um das Argumentieren für die eigene Entscheidung und gegen die der Opposition geht, ohne wirklich auf die anders Argumentierenden einzugehen. Eine gute Streitkultur sieht anders aus, hat sehr viel mit Offenheit, Zuhören und dem Suchen nach der besseren Lösung zu tun, die aus dem Streit heraus erst entwickelt wird. Oft wird es ein Kompromiss sein, manchmal ist auch ein Kompromiss nicht zu finden, und dann gilt es immer noch, die Rechte und Anliegen der unterlegenen Minderheit nicht unreflektiert zu übergehen.

Fehlende Streitkultur
In den Parlamenten fehlen auf allen Ebenen Unternehmerinnen und Unternehmer, weil sie erstens kein (finanziell sicherndes) Rückkehrrecht nach einem politischen Abstecher haben, auch nicht in ihren Markt, und zweitens – gerade in Gemeindeparlamenten – sie Angst haben, dass ihre unternehmerischen Aktivitäten darunter leiden könnten, weil Person und Sache nicht getrennt werden. Es bleibt dahingestellt, ob diese Angst berechtigt ist, aber sie zeugt von mangelnder Streitkultur in der Bürgerschaft. 
In einer Demokratie sollte es zum guten Ton gehören, anderer Meinung sein zu dürfen, ohne Sanktionen erwarten zu müssen. Tatsächlich wird aber oft mit moralisch und persönlich abwertenden Haltungen und Aussagen reagiert, dass jemand unfähig oder unwillig ist, „richtig“ zu entscheiden. Der andere hat also nicht einfach eine andere Meinung zur Sache, sondern er wird aufgrund dieser anderen Meinung auch moralisch abgeurteilt. 
Nicht nur bei Politikern, sondern das lässt sich auch bei Bürgerinitiativen beobachten. Wer sich dort engagiert, hat nicht einfach eine andere Meinung, sondern ist gegen die Befürworter und deshalb ein „Gegner“, nicht nur auf der Sachebene, sondern auch auf der Beziehungsebene. So werden leider auch kritische Unternehmer, die sich gegen politische Entscheidungen engagieren, bei öffentlichen Stellen wie Land und Gemeinden „ausgelistet“ und müssen somit mit persönlichen Konsequenzen für ihr bürgerschaftliches Engagement „bezahlen“. Auch werden soziale Beziehungen bis hin zu Freundschaften gekappt und das ist einer Demokratie und einer zivilisierten Gesellschaft weder würdig noch zuträglich. 
Eine andere Meinung zu haben, ist legitim, ist sogar Wesensmerkmal einer Demokratie und schafft oft die bessere Lösung. Dazu braucht es das Gespräch auf demokratischer Augenhöhe und wertschätzender Beziehungsebene.

Streit hat mit Macht und Gewalt zu tun, aber auch mit Rückgrat 
„Demokratie ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln“, sagt der Künstler Carsten Jost. Nämlich der Sprache und der verbalen Auseinandersetzung statt der physischen Gewalt. Es soll nicht die verbale Gewalt, soziale, strukturelle, physische und psychische Gewalt kleingeredet werden, sondern im Gegenteil, als solche bezeichnet und angesprochen werden, um die Streitkultur auf möglichst hohes zivilisatorisches, gewaltfreies Niveau zu heben.
Jegliche Macht kann missbraucht werden, aber jeder Missbrauch kann auch benannt und angesprochen werden. Dazu braucht es die Reflexion in der Auseinandersetzung und das sogenannte Rückgrat neben dem Mut, die Dinge beim Namen zu nennen und sich bei manchen dafür – zumindest fürs Erste – oft unbeliebt zu machen. Meistens eben bei jenen, die (zu viel) Macht haben und Macht nützen. Ob es nun ein Unternehmer, ein Politiker, ein Beamter oder ein selbsternannter Bürgervertreter ist. Einerlei. Macht darf und soll zum Thema gemacht werden.

Deliberative Demokratie als Ausweg und Spielwiese?
„Deliberatio“ meint die Beratschlagung und beinhaltet die partizipative Demokratie, in der frühzeitig mit Bürgern in öffentlichen Diskursen wichtige politische Themen erörtert und beratschlagt werden. Damit soll die Bürgerschaft nicht nur gehört, sondern es sollen auch Entwicklungen von Lösungen und Meinungen ermöglicht werden. Gemeint sind damit aber weder pseudodemokratische Bürgerversammlungen, wenn eh schon alles klar ist und die vorgefertigte Entscheidung bürgergerecht „verkauft“ werden soll, noch aufwendige Bürgerbeteiligungsverfahren, die in der Schublade verschwinden. Auf der anderen Seite müssen gerade solche Partizipationsmöglichkeiten schon von einer gewachsenen demokratischen Alltagskultur getragen werden und gut und ehrlich moderiert sein: Neutral, aber auch in einem allparteilichen Sinne, dass jenen auch eine Stimme gegeben wird, die sich verbal oder emotional nicht gleichermaßen einbringen können.

Demokratische Streitkultur 
Nur wer Demokratie verstanden hat, weiß, dass Streiten ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie ist, diese sogar erst ausmacht, denn sie ist ein Ausfluss der Meinungsfreiheit und im besten Falle verantwortlich, die bessere Lösung zu generieren. So gehört zu jeder Demokratie Streitkultur, für die wir alle mitverantwortlich sind, im Kleinen wie im Großen.

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