Vorarlberg unterm Hakenkreuz
Es ist an sich nicht weiter bemerkenswert, wenn zu der umfangreichen Fotosammlung der Landesbibliothek 4000 Fotos hinzukommen, wenn sie aber eine Zeitperiode und ein Thema beleuchten, zu denen es nur vereinzelt fotografisches Material gibt, könnte das ein Meilenstein für die Bilddatenbank volare werden. Der Neuzugang betrifft Fotos des Bregenzer Fotografen Werner Schlegel (1908-1945), die zwischen 1936 und 1941 aufgenommen wurden und fast ausschließlich Aufmärsche und andere Aktivitäten der Nationalsozialisten in Vorarlberg zeigen. Es handelt sich dabei um Propagandafotografie der Nazis, bei der nur glückliche, begeisterte Gesichter bei den verschiedensten Gelegenheiten zu sehen sind. So etwa beim Erntedankfest, im Kindergarten, im Turnverein, im Theater, beim enthusiastischen Empfang von Parteigrößen und bei vielerlei anderen Anlässen.
Es ist ungewöhnlich, dass eine so reichhaltige und historische wertvolle Sammlung so viele Jahre unentdeckt bleibt. Sie befand sich wohl jahrelang in Familienbesitz und erst nach dem Tod der Tochter Schlegels wurde sie ab 2016 von einer entfernten Verwandten nach und nach auf einem Flohmarkt angeboten. Glücklicherweise war der Käufer der Bregenzer Restaurator Arno Gehrer, der sich der Bedeutung der Fotos von Anfang an sehr wohl bewusst war und die originalen Postkarten, Glasplatten, Negative und andere persönliche Dokumente sorgsam verwahrte. Anlässlich einer Ausstellung im vorarlberg museum, die die Fotos von Norbert Bertolini – einem Freund Werner Schlegels – zeigte, verfasste Gehrer einen sorgfältig recherchierten, ausführlichen Artikel über das Leben und Werk Schlegels. Auf dieser Veröffentlichung beruht auch der biografische Teil des vorliegenden Textes. Im Zuge der Ausstellung entstand der Kontakt zur Vorarlberger Landesbibliothek, die sich sehr interessiert an der Sammlung zeigte. Vor einiger Zeit überließ dann der besagte Sammler den zeitgeschichtlich interessanten Teil der Schlegel-Fotos der Bibliothek, um die Digitalisierung und in weiterer Folge den Zugang für die Öffentlichkeit und die Forschung zu ermöglichen.
Die Qualität und der Inhalt der Sammlung ist eng mit der Biografie des Fotografen Werner Schlegel verknüpft, die mithilfe von persönlichen Dokumenten aus dem Nachlass teilweise rekonstruiert werden konnte.
Schlegel wurde als drittes von vier Kindern in Bregenz geboren und wuchs in der Gallusstraße auf. Er begann eine Fotografenlehre im renommierten Bregenzer Fotohaus Risch-Lau, verbrachte nach bestandener Gesellenprüfung einige Zeit im deutschen Ausland, kehrte aber bereits 1926 wieder nach Vorarlberg zurück. Hier begann er zuerst als Angestellter, später als Kompagnon von Pankraz Sonntag im Fotogeschäft Immler seine Karriere als Fotograf in Bregenz. 1936 legte Schlegel die Meisterprüfung ab und erhielt 1938 seinen Gewerbeschein. Schon früh identifizierte er sich mit den Ideen der aufstrebenden Nationalsozialisten, so trat er schon 1933 der damals in Österreich noch illegalen NSDAP bei, und wurde auch Mitglied der SA (Sturmabteilung). Auch beruflich profitierte er nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich von seiner Gesinnung, wurde er doch 1939 zum Innungsmeister der ideologisch geprägten „Handwerkerinnung für das Photografengewerbe“ ernannt. Trotzdem erhielt er keine Freistellung für den Kriegsdienst und wurde am 1. November 1941 zur Wehrmacht einberufen. Obwohl es bisher kaum Angaben zu seiner Zeit beim Militär gibt, lassen sich die Zugehörigkeit zur „Stabskompanie des Schweren Werferregiments 1“ und später zur „Panzer-Propaganda-Kompanie 691“ nachweisen, wo er vermutlich in seiner Funktion als Fotograf tätig war. Unteroffizier Werner Schlegel starb am 10. Jänner 1945 beim Rückzug der Ostfront im ostslowakischen Dorf Budimir, nahe Košice.
Wenn auch hier nur der historisch bedeutsame Teil der Schlegel-Fotos behandelt wird, sollen aber andere sehr bemerkenswerte Genres in seinem Werk nicht unerwähnt bleiben. Er produzierte unter seinem Namen kommerzielle Ansichtskarten, steuerte originelle Fotografien von Wintersportlern für touristische Publikationen bei und versuchte sich sogar als Aktfotograf. Spektakuläre Bilder entstanden in seiner Funktion als Bildreporter: so sind aus dem Jahr 1932 etwa 700 Fotos erhalten, die bei einer Motorradtour aufgenommen wurden, die Schlegel mit drei weiteren Vorarlbergern bis nach Nordafrika führte. Das öffentliche Interesse an den Abenteurern war enorm, und ihre Rückkehr wurde in Bregenz wie ein Volksfest zelebriert.
An zwei exemplarischen Beispielen aus dem Jahr 1939 soll gezeigt werden, wie Schlegel mit seinen Propagandafotos die Nationalsozialisten buchstäblich ins rechte Licht rückte. Ob die Fotos im Auftrag der Partei entstanden sind, ist bisher unbekannt und könnte Inhalt weiterer Nachforschungen sein. Zur Datierung und Beschreibung der Fotos dient die Berichterstattung des „Vorarlberger Tagblatts“, das zwischen 1933 und 1945 das Sprachrohr der heimischen Nationalsozialisten und ab März 1938 die einzige Tageszeitung Vorarlbergs war, nachdem alle anderen Medien ausgeschaltet worden waren. Dort wird am 7. Juli 1939 in großer Aufmachung berichtet, dass Reichsjugendführer Baldur von Schirach zum Abschluss einer mehrtägigen Besichtigungsfahrt am Tag zuvor den Gau Tirol-Vorarlberg besucht hat und – wie die Fotos zeigen – dabei offensichtlich auf der ganzen Reise von Werner Schlegel begleitet wurde. Der Tag begann mit dem Empfang der aus Tirol kommenden Wagenkolonne am Arlbergpass, worauf Kundgebungen in Langen am Arlberg, Dalaas, Schruns, Bludenz und schließlich in Schlins folgten, wo von Schirach den Grundstein für das erste HJ-Heim der Ostmark legte, das dann allerdings nie gebaut wurde.
Weiter ging die Fahrt über Bludenz, Feldkirch, Dornbirn in den Bregenzerwald, wo der Besuch mit einem nächtlichen Aufmarsch in Bezau endete. Das „Tagblatt“ berichtete damals, dass dieser Tag „in der Geschichte der Hitlerjugend unseres Landes für immer ein festlicher Erinnerungstag bleiben wird“ Am nächsten Morgen zeigte sich der Reichsjugendführer, der im Hotel „Weisses Kreuz“ in Bregenz abgestiegen war, noch einmal den hauptsächlich jugendlichen Besuchern. „HJ, BDM, JM und Pimpfe hatten vor dem Hotel Aufstellung bezogen, um dem Reichsjugendführer zu huldigen.“ Damit sind die nationalsozialistischen Jugendorganisationen Hitler-Jugend, Bund Deutscher Mädchen, Jungmädelbund sowie die Jüngsten, die Pimpfe, gemeint.
Schirach soll sich im Rückblick sehr lobend über seinen Besuch in Vorarlberg geäußert haben, lauschten doch etwa in Schruns 700 Besucher seiner Ansprache. Die NS-Propagandamaschinerie hatte ganze Arbeit geleistet, denn es waren Sonderzüge organisiert worden, die Jugendliche aus dem ganzen Land zu den Kundgebungen transportierten.
Der auf den Fotografien so umjubelte Baldur von Schirach wurde 1931 zum Deutschen Reichsjugendführer ernannt. Von der ihm anvertrauten Hitler-Jugend verlangte er „letzte Einsatzbereitschaft“, die „keine Frage nach dem privaten Schicksal stellt“ und die für Hitler „auch gegen die Hölle marschieren wird, wenn er das will“. 1940 wurde er Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien und war dort als überzeugter Antisemit für die Deportation der Wiener Juden verantwortlich, da er sich zum Ziel gesetzt hatte, Wien als erste Großstadt „judenfrei“ zu machen, wofür er auch in den Nürnberger Prozessen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Er verbüßte die Haft in Berlin-Spandau und verstarb 1974 in Freiheit. Sein Enkel, der bekannte Schriftsteller Ferdinand von Schirach, fällte 2011 ein vernichtendes Urteil über seinen Großvater: „Seine Verbrechen waren organisiert, sie waren systematisch, kalt und präzise.“
Das zweite Beispiel ist der Besuch von Robert Ley, dem Führer der DAF (Deutsche Arbeitsfront), der am 24. Mai 1939 die Baumwollspinnerei und Weberei Kastner in Thüringen besuchte. Nach seiner Ansprache, in der er eine glorreiche Zukunft für die Arbeiterschaft unter nationalsozialistischer Führung ankündigte, wurde in ein „dreifaches Sieg-Heil auf den Führer eingestimmt“ („Vorarlberger Tagblatt“). Robert Ley nahm sich als einer der Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse 1945 in Haft das Leben.
Die Vorarlberger Landesbibliothek hat es sich nun zum Ziel gesetzt, die circa 4000 Fotos zu veröffentlichen und damit der Forschung zugänglich zu machen. Dabei stellen sich viele Fragen, deren Beantwortung sich auch schon eine wissenschaftliche Tagung der Österreichischen Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien zum Ziel gesetzt hat. Würde etwa ein seriöser Verlag NS-Propaganda unkommentiert und unkritisch wieder veröffentlichen? Wohl kaum, denn sonst würde er sich der Wiederbetätigung oder anderer Vergehen schuldig machen. Ebenso wenig können dies Bibliotheken in ihrer ungewohnten Rolle als Herausgeber digitaler Texte und Fotografien kritischen Inhalts tun. Sie werden daher eine ausgewogene Balance finden müssen – zwischen dem freien Zugang zu Information und der Verantwortung für die korrekte Präsentation und Interpretation von sensiblen historischen Materialien. Die Fotos dürfen demnach nicht isoliert veröffentlicht werden, sondern müssen immer in den historischen Kontext gestellt werden. In der Landesbibliothek bietet sich die Chance, die Sammlung Schlegel nach diesen Prinzipien beispielhaft zu erschließen und zu veröffentlichen, da mit Severin Holzknecht ein Mitarbeiter zur Verfügung steht, der bibliothekarisches und historisches Fachwissen in sich vereint. Das Resümee der Tagung an der Österreichischen Nationalbibliothek könnte durchaus auch für das aktuelle Projekt der Landesbibliothek gelten: „Spannende Zeiten für die Kultureinrichtung und Gedächtnisinstitution Bibliothek.“
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