Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Wer aus Franz Michael Felder einen Nazi machte

November 2023

Franz Michael Felder (1839 – 1869) lebte als recht unbequemer Zeitgenosse in der hinteren Bregenzerwälder Gemeinde Schoppernau. Er war Bauer, Einzelkind, eher schwächlich, halbblind, hatte keine schöne Schrift, aber konnte ungemein gut schreiben und wurde trotz seines kurzen Daseins zum erfolgreichen Schriftsteller und Sozialreformer.
Er schrieb Dorfgeschichten vor der Kulisse seines kleinen Heimatdorfes mit sozialkritischer Note vor dem Hintergrund der sozialen Frage seiner Zeit: „Reich und Arm“ (1868). Die Ideen des politischen Liberalismus und des Sozialisten Ferdinand Lassalle sollten auch in seiner Heimat zum Wohle der Menschen und der Gemeinschaft Einzug halten. So trat er für das gleiche Wahlrecht aller gleichermaßen ein, wie er die Idee der Genossenschaft für die bäuerliche Wirtschaftsweise erfolgreich propagierte. Dazu gehörte auch, dass er die Macht der Kirche in ihre Schranken des Religiösen verwies und letztlich von der konservativen Politik wie vom Klerus aufs Heftigste angefeindet wurde. 
Nach Felders frühem Tod lebte die bäuerliche Genossenschaft weiter, um seine Person entstand ein Denkmalstreit in Schoppernau mit überregionaler Beteiligung. Im von den Kasinos – den konservativen Bildungsvereinen – dominierten schwarzen Vorarlberg nahmen sich die Liberalen Felders an und schwenkten nach ihren politischen Niederlagen immer weiter ins deutschnationale Lager und zogen Franz Michael Felder mit. 
1910 wurde der erste Franz-Michael- Felder-Verein gegründet. Mit einer klaren politischen Ausrichtung: völkisch-deutschnational. Sein erster und einziger Obmann hieß Martin Bilgeri (1860 – 1953), stammte aus Krumbach, studierte zuerst Theologie in Brixen, bevor er Latein und Altgriechisch studierte und mit fast 40 Jahren, nach Jahren als Hauslehrer, an das Stadtgymnasium Bregenz wechselte und von 1910 bis 1924 für die Freisinnigen in der Bregenzer Stadtvertretung saß. Daneben waren im „Dreierausschuss“ zur Gründung des Felder-Vereines der freisinnige Parteisekretär Hans Nägele (1884 – 1973), der am 1. Mai 1938 NSDAP-Mitglied wurde und von 1938 bis 1944 Chefredakteur des ab 1939 NSDAP-eigenen „Vorarlberger Tagblatt“ war. Als Dritter propagierte der radikal-völkische Gymnasialprofessor Emil Allgäuer (1881 – 1923) „Volksbewußtsein, Selbstzucht und Selbstlosigkeit“. Dabei legten die Felder-Interpreten ihren Fokus einerseits auf „Felders Kampf gegen die Klerikalen“, andererseits auf Felder „als Idealgestalt des vor­arlbergischen Volksmannes“, „der wie kein zweiter dazu berufen ist, unser Führer zu sein“. Diese Rezeption Felders vollführten die Genannten in Reden und Schriften und verklärten Felder in Folge sogar zum Vordenker des Nationalsozialismus, was 1939 im Rahmen der Felder-Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag in eine Rede das NS-Landeshauptmannes Anton Plankensteiner mündete, dass Felder „Kämpfer, Revolutionär und Sozialpolitiker“ im Sinne des Nationalsozialismus gewesen sei. 
So sieht der Historiker Severin Holzknecht die Rolle des ersten Felder-Vereines ambivalent. Einerseits habe dieser Verein, mit bis zu 1000 Mitgliedern, Felder vom 19. ins 20. Jahrhundert getragen, andererseits sei die Deutungshoheit über Felder und sein Werk bis 1939 „zur Gänze auf die Nationalsozialisten übergegangen“. Und das blieb für die Rezeption von Franz Michael Felder und sein Werk nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ohne Folgen, er flog aus dem regionalen literarischen Kanon hinaus. 
1969, dem 100. Todestag Felders, wurde der zweite Felder-Verein, jener, der bis heute besteht, gegründet, um die Werke Felders wieder zu verlegen und zugänglich zu machen. Im Gründungsausschuss vertreten war ein bekannter Name: Hans Nägele. Weiters vertreten war in diesem Elmar Grabherr, loyaler Gefolgsmann des NS-Gauleiters Hofer, beide mittlerweile im konservativen Lager angekommen. Aber auch der Moosbrugger-Enkel Pius Moosbrugger, Landtagsabgeordneter der SPÖ (1954 – 1964), war vertreten. Er trat 1939 der NSDAP bei.
1983 wurde der zweite Felder-Verein von der NS-Vergangenheit noch einmal nachhaltig erschüttert, auch wenn sich Felder-Nachfahre und Vereinsobmann Walter Fink zur Verleihung der Felder-Medaille an die ranghöchste Vor­arlberger Nationalsozialistin, Natalie Beer, vielleicht nicht nur halbherzig, aber doch ungenügend, distanziert hat. Eine Aberkennung der 1983 verliehenen Felder-Medaille wäre wohl die einzig konsequente Vorgehensweise gewesen, wie die spätere Wohngemeinde Rankweil es vormachte, auch wenn die gesetzlichen Grundlagen dafür vom Land Vorarlberg trotz Bemühen nicht geschaffen wurden. 
Wer Felder gelesen hat und die zwei abstrusen Parteischriften aus dem Kopf von Moosbrugger ausklammert und kein Nazi ist, wird niemals den Nazi in Felder finden und so war die Verwendung der Person Felders oder Teile seines Werkes durch die deutschnationalen Felder-Vereinsgründer und die Nationalsozialisten ein schwerer Missbrauch eines Verstorbenen. Die Sozialisten entdeckten Franz Michael Felder nur zögerlich und hatten wohl auch inhaltlich ihre Mühen mit dem Bregenzerwälder Bauern, der sich in der sozialen Frage zu wenig radikal zeigte und gegenüber der Allmeinde seine Vorbehalte hatte. Er setzte auf die Produktivgenossenschaften, die letztlich Privateigentum bleiben, wenn auch in der gemeinsamen Hand von mehreren. 
So falsch und ungerecht die Vereinnahmung Franz Michael Felders durch die Deutschnationalen und später die Nationalsozialisten war und bleibt, so sehr verbietet sich, mehr als 150 Jahre nach Felders Tod, seine Person für irgendeine politische Partei zu verwenden. Vielmehr gründete er eine eigene Felder-Partei auf Gemeindeebene und steht auch heute noch mit seinem Werk und seinen politischen Ideen für sich selbst ein. Dies ist wohl die einzig zulässige politische Verortung Franz Michael Felders – und zwar in der historischen Welt des hinteren Bregenzerwaldes seiner Zeit.

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