Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Dann wird sich diese Frage viel dramatischer stellen“

September 2025

Österreich verliert zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit. Warum das so ist, und was endlich zu tun wäre, das erklärt Nikolaus Graf, Wirtschaftsforscher bei EcoAustria. Der Leiter des Forschungsbereichs Wettbewerbsfähigkeit sagt im Interview: „Die Analyse zeigt, dass die österreichische Wirtschaft bereits zunehmend an Substanz verliert. Die Zeit drängt.“

Herr Graf, in Sachen Wettbewerbsfähigkeit gibt es aktuell kaum Positives zu berichten.
Ganz im Gegenteil. Die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Volkswirtschaft entwickelt sich im Vergleich der EU-Ökonomien zunehmend negativ. Österreich liegt unter den EU-Vergleichswerten. Der ECI* misst die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich und stützt sich dabei auf drei zentrale Indikatoren: Bruttoanlageinvestitionen, Nettoexporte und reale Arbeitsproduktivität. Und da zeigt sich für Österreich ein negatives Bild. Bis Ende 2020, Anfang 2021 gibt es bei den drei genannten Indikatoren eine grundsätzlich positive Entwicklung, 2022 folgt eine Phase der Stagnation. Und seit 2023 ist bei den Indikatoren eine negative Entwicklung beobachtbar. Es hat sich eine Phase mit rückläufiger Tendenz verfestigt. 

Und das gibt Anlass zur Sorge. Auch im gesamteuropäischen Kontext.
Ja. Es fällt besonders kritisch ins Gewicht, dass sich Österreich im gesamteuropäischen Vergleich schlechter entwickelt, also gemessen an allen Mitgliedstaaten. Natürlich wachsen die neueren Mitgliedstaaten tendenziell schneller, es sind aufholende Ökonomien, entsprechende Prozesse sind da im Gang. Dass sich Österreich aber auch im Vergleich mit wirtschaftlich stärker entwickelten Ökonomien der EU-15 schlechter entwickelt, das ist doch besorgniserregend. Der Strukturunterschied zwischen den Wachstumsökonomien der jüngeren Mitgliedsstaaten und den stärker entwickelten Ökonomien der älteren Mitgliedstaaten kann jedenfalls nicht mehr als Argument einer weniger intensiven wirtschaftlichen Dynamik gelten: Zahlreiche der ebenso höher entwickelten EU-Volkswirtschaften, etwa Dänemark, entwickeln sich dynamischer als Österreich. Die Entwicklung der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit ist also nicht nur Spiegel der gegebenen globalen Rahmenbedingungen, sondern auch Ausdruck eigener Schwächen.

Von welchen Schwächen sprechen Sie da konkret?
Der ECI benennt keine Ursachen, er liefert nur die Diagnose. Aber die beobachtete, rückläufige Entwicklung offenbart zumindest gewisse Strukturschwächen. Und wenn sie mich nun nach den Ursachen der rückläufigen Wettbewerbsfähigkeit fragen, dann würde ich zunächst einmal sagen, dass Faktoren der preislichen Wettbewerbsfähigkeit die Durchsetzungsfähigkeit der stark exportorientierten Unternehmen auf globalen Märkten erschweren. Ich spreche von Abgaben, Steuern, der Lohnentwicklung, der Inflation, den Energiekosten und von Regulierung und Bürokratie. Österreich ist eine exportorientierte Volkswirtschaft und hat einen hohen Anteil an mittelständischer Industrie, das gilt auch für die Vorarlberger Regionalwirtschaft. Die Unternehmen sind zwar weiterhin im Niveau hochproduktiv, sie sind innovativ, bestreiten ihre Märkte und können sich auch durchsetzen; nur werden eben die Rahmenbedingungen schwerer. Und all das dürfte sich in den eingangs genannten Indikatoren zeigen, also in den Bruttoanlageinvestitionen, in den Nettoexporten und in der realen Arbeitsproduktivität. 

Sie sagten zuvor, dass auf die Phase einer guten Entwicklung ab 2022 zunächst Stagnation, dann Rückläufigkeit folgte. Was brachte den negativen Umschwung?
Die Faktoren Energiekosten, Lohnentwicklung, Lohnnebenkosten, Reallöhne, Lohnstückkosten haben zunehmend die Durchsetzungsfähigkeit der Unternehmen erschwert. Dazu kamen strukturelle Änderungen auf Weltmärkten, geopolitische Krisen, technologische Veränderungen, geänderte Nachfragestrukturen, geänderte Nachfrage-Präferenzen. Österreich hängt als Vorleister eben auch sehr stark am deutschen Markt, und hier kam – und kommt nach wie vor – wenig positiver Impuls. Also: Faktoren der preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf der einen und die Abnehmerseite auf der anderen Seite erklären die Entwicklung seit 2023.

Was wäre in Österreich konkret zu tun?
An veränderten Nachfragestrukturen und veränderten Technologien kann man kurzfristig relativ wenig ändern. Aber an den Faktoren der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, die gegenwärtig die Durchsetzungsfähigkeit der Unternehmen auf globalen Märkten erschweren. Österreichs Industrie ist von mittlerer Technologie geprägt, doch ist mittlere Technologie arbeitskräfteintensiv und energieintensiv. Wir sprechen also von Lohnentwicklung, von Energiekosten und von Regulierung. Effizienzorientierung im regulatorischen Rahmen wäre eine Hilfe, fehlende Effizienzorientierung ist umgekehrt eine Hürde. Ich will jetzt nicht zu negativ klingen: Österreich hat nach wie vor ein hohes Produktivitätsniveau. Aber: Effizienzorientierung in der Regulierung würde bedeuten, dass die von Regulierung angestrebten Ziele nicht nur sinnvoll, sondern eben auch wirtschaftlich begründbar sind. 

In einer aktuellen EcoAustria-Note formulieren Sie kurz und knapp, dass sich Österreich Selbstzufriedenheit nicht leisten könne …
Ein Industriestandort erfüllt auch wichtige wohlfahrtsstaatliche Funktionen. Doch an der Entwicklung seit der Jahrtausendwende sieht man, dass in Österreich der Wertschöpfungsanteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft zurückgegangen ist. Der Anteil des produzierenden Sektors an den Arbeitnehmerentgelten ist rückläufig. Dabei ist die Beschäftigung im produzierenden Bereich ein Stabilisator. Höhere produktive Beschäftigung ergibt im Durchschnitt auch höhere Löhne, so ließe sich das sagen. Auch die Exportorientierung ist von hoher Bedeutung. Insofern ist eine wettbewerbsfähige, produzierende Industrie eben nicht nur für den Standort wichtig, sondern auch für die Finanzierung von Leistungssystemen. Und wenn die Wettbewerbsfähigkeit zurückgeht, dann stellen sich auf unserem gewohnten Wohlstandsniveau unweigerlich entscheidende Fragen: Wie finanziert man weiterhin Pensionen, Gesundheitssysteme, Infrastruktur? Eine hohe Wettbewerbsfähigkeit ist Grundbedingung für die Finanzierung dieser Leistungssysteme. Ohne diesen alles stabilisierenden Faktor wird es gewiss nicht leichter werden. Und insofern denke ich, dass wir in Österreich gut beraten sind, ein positives Verständnis für die produzierende Industrie zu entwickeln – und auch entsprechend die Rahmenbedingungen zu gestalten. Denn ansonsten geht volkswirtschaftlicher Wohlstand verloren. Wir dürfen uns nicht auf unseren historischen Stärken ausruhen. Und die Analyse zeigt eben, dass die österreichische Wirtschaft bereits zunehmend an Substanz verliert.

Ein positives Verständnis? Man hat den Eindruck, dass nicht allen in Österreich diese Problematik überhaupt bewusst ist.
Das Verständnis, wie bedeutend Wettbewerbsfähigkeit und Exportorientiertheit sind, hängt in Österreich davon ab, mit wem man spricht. Ich glaube, auf diese Aussage können wir uns einigen. Das ist noch nicht einmal verallgemeinernd. Ist in gewissen Kreisen von Wettbewerbsfähigkeit und Industriepolitik die Rede, taucht unweigerlich die Frage auf: Wozu braucht es das überhaupt? Wir haben Gesundheitsversorgung, Pflegeversorgung, Kindergärten doch viel nötiger. Keine Frage, das sind alles wichtige Themen. Aber der Zusammenhang wird nicht gesehen. Nochmals: Wesentliche Finanzierungsgrundlage all unserer Leistungssysteme – Bildung, öffentliche Infrastruktur, Gesundheitswesen – ist die wettbewerbsfähige, exportorientierte Wirtschaft. 

Österreichische Ökonomen warnen seit langem. Vergeblich. Fühlt man sich als Ökonom da bisweilen an Kassandra erinnert, also an jene Figur aus der griechischen Mythologie, die zwar die Zukunft kannte, deren Prophezeiungen aber kein Gehör fanden?
Kassandra? (lacht kurz auf) Eine wirkungsorientierte Industriestrategie und Standortpolitik ist grundsätzlich im Regierungsprogramm verankert. Ich würde sagen, dass die Diagnose der Problemstellen – also der preislichen Wettbewerbsfähigkeit, der produktivitätsorientierten Lohngestaltung, der Energiepreise und der Regulierung – in der Diskussion zwar präsent ist, aber in Bezug auf Lösungen und Korrekturen keine allgemeine Einigkeit besteht. Es bräuchte mehr Verständnis und eine politische Legitimation, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten. Wir müssen abwarten, was in den nächsten Monaten kommt und was dann spätestens das nächste Jahr bringt. Ich bin da recht kritisch: die Zeit drängt. Sind Wertschöpfungspotenziale erst einmal verloren, sind Investitionen und Unternehmen abgewandert, dann wird sich die Frage nach den Finanzierungsgrundlagen unserer Leistungssysteme noch viel dramatischer stellen, als sie sich heute bereits stellt. Es ist jetzt eine Frage der Durchsetzung und der Herstellung von politischer Legitimation für eine wettbewerbsorientierte Industriepolitik.

Man kann wirklich nicht behaupten, dass Ökonomen, Unternehmen und Interessensvertreter nicht schon seit langer Zeit warnen.
Nein. Das kann man nun wirklich nicht behaupten. Die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, die hohe Abgabenquote, der hohe öffentliche Anteil am BIP, die Regulierung; all das liegt seit Jahren auf dem Tisch. Doch hat sich in der Substanz zu wenig getan, zumindest nichts dramatisch Gutes in die richtige Richtung. Jetzt drängt die Zeit umso mehr. Jetzt ist die Politik gefragt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Nikolaus Graf, studierte Politikwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen ökonomische und institutionelle Fragestellungen der Standortqualität und der Effizienz öffentlicher Ausgaben.

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