Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Vorarlbergs architektonische Meilensteine der vergangenen beiden Jahrzehnte

Februar 2025

VAI-Direktorin Verena Konrad und Architekturpublizistin Sandra Hofmeister dokumentieren in ihrem aktuellen Buch „Architektur in Vorarlberg“ 50 herausragende architektonische Projekte in Vorarlberg. Warum Architektur im Land ein regionales Phänomen ist, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat, und was in Zukunft zu erwarten ist, das erklären Konrad und Hofmeister im Interview.

Sie haben 50 Architektur-Projekte ab 2000 porträtiert. Was sind das für Projekte? Und warum haben Sie sich für diese 50 entschieden und nicht für andere? 
Sandra Hofmeister: Die Auswahl war nicht einfach, es hätten auch 100 Projekte sein können, aber die Seitenzahl im Buch war begrenzt. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, eine große Bandbreite an Nutzungen, an Konstruktionsarten, Materialien und nicht zuletzt auch an Regionen abzudecken. Klar war auch, dass die großen architektonischen Meilensteine der vergangenen beiden Jahrzehnte dabei sein müssen. 
Verena Konrad: Über unsere Exkursionsprogramme wissen wir sehr genau, welche Gebäude international rezipiert werden, das war ein wichtiger Aspekt für unsere Entscheidung. Wichtig war uns aber vor allem, welche Themen und Diskurse über die Baukultur behandelt werden. So haben wir beispielsweise keine klassischen Einfamilienhäuser im Buch abgebildet, obwohl es wirklich schöne und herausragende davon in Vorarlberg gibt. Diese Bauaufgabe braucht jedoch keine Öffentlichkeit mehr und liefert auch keinen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten. Wir haben daher nur ein Auszugshaus in Holzbauweise, eine Nachverdichtung auf einem bereits bebautem Grundstück, und ansonsten Sanierungen und Erweiterungen von Wohnbestandsgebäuden ins Buch aufgenommen. Wirklich bemerkenswert ist die hohe Qualität öffentlicher Bauten in Vorarlberg. Das spiegelt sich auch in unserer Auswahl wider.

Könnten Sie, ohne die anderen Beispiele zu schmälern, das Besondere eines dieser 50 Projekte näher beschreiben? 
Sandra Hofmeister: Ich finde alle Projekte herausragend, aber ich habe ein persönliches Lieblingsprojekt, das mir neben all den vielen beeindruckenden Architekturen besonders am Herzen liegt: die Sanierung Adler von Fink Thurnher Architekten. Ich finde es wunderbar, wie sich mit der Intervention der Architekten alt und neu ergänzen, wie aus dem Gasthaus ein Wohnhaus wird, das verdichtetes Wohnen im ländlichen Raum möglich macht. Das Haus und seine Geschichte sind sehr beeindruckend in seiner Baukultur und die Umnutzung ein Beispiel dafür, wie der Bestand weiter belebt werden kann. Dass die Sanierung so leise daher kommt, ist in meinen Augen vorbildlich bei so einem tollen Bestand. 
Verena Konrad: Für mich hat der Islamische Friedhof von Bernardo Bader eine sehr große Bedeutung. Er zeigt, wie Architektur dazu beiträgt, einem kulturell und gesellschaftspolitisch wichtigen Thema Präsenz und Anerkennung zu verleihen.

Sie haben im Vorgespräch zu diesem Interview gesagt, dass Architektur im Land ‚ein regionales Phänomen‘ ist. Inwiefern?
Sandra Hofmeister: Vorarlberg hat eine jahrhundertealte Holzbautradition, viele Waldflächen und viele hochspezialisierte Holzbauunternehmen. Das Wissen und das Knowhow zur Holzverarbeitung sind regionale Phänomene, die sich weiter entwickelt haben zu einer Expertise für den mehrgeschossigen Holzbau, der heute von Vorarlberg aus in die Welt wirkt – international. Viele Unternehmen liefern ihre Holzelemente ins Ausland und Architekturbüros aus Vorarlberg planen Gebäude nicht nur in Bregenz oder Feldkirch, sondern auch in Toronto oder Paris. Insofern ist auch die Architektur made in Vorarlberg regional und gleichzeitig international.
Verena Konrad: Architektur entsteht immer im Kontext einer Bauaufgabe an einem bestimmten Ort. Insofern sind neben der Gesetzgebung und ökonomischen Voraussetzungen vor allem kulturelle Themen bestimmend. Zur Baukultur in Vorarlberg gehört ganz wesentlich die regionale Wertschöpfung, der Dialog von Land und Gemeinden mit den Bürgern und Bürgerinnen und anders herum, Instrumente wie die Gestaltungsbeiräte und viele Menschen, die mit ihrem Engagement und ihrer Expertise einen Beitrag leisten. Die enge Verzahnung all dieser Elemente miteinander und die hohe Kommunikationsbereitschaft, das sehr gute Bildungsniveau in Bezug auf die Themen des Handwerks und Bauens, zu dem neben dem intellektuellen Wissen auch das Wissen der Hände zählt, ist essenziell. All das macht die Baukultur in Vorarlberg so besonders und spürbar anders.
 
Wird in Zukunft im Land weniger gebaut werden?
Sandra Hofmeister: In Zeiten einer eher kränkelnden Baukonjunktur ist eine Vorhersage schwierig. Ich würde mir jedoch generell wünschen, dass auch in Vorarlberg – aber nicht nur dort – mehr umgebaut, weitergebaut und umgenutzt wird. Das Bauen im Bestand muss Vorrang vor dem Neubau haben – es ist wesentlich energiefreundlicher, der ökologische Fußabdruck ist viel besser. Es wird in Zukunft darum gehen, dass wir Qualitäten in bereits existierenden Gebäuden erkennen und sie mehr schätzen durch gute Umbauten. 
Verena Konrad: Ich würde das nicht für alle Bereiche gleich einschätzen – im öffentlichen Sektor gibt es einen wachsenden Bedarf und auch die Verantwortung, Räume für gesellschaftliche Teilhabe und für Bildung zu schaffen. Auch im Wohnbau geht es in Richtung von mehr sozialem Wohnbau. Die Frage von weniger und mehr ist vielleicht aber auch zu allgemein. Ich stimme meiner Kollegin zu, dass es differenziert betrachtet wohl eher um das Feld des Weiterbauens gehen wird, des Sanierens und der damit verbundenen Nachnutzungen, denn Vorarlberg hat einen sehr guten Bestand, den man auch gut weiter nutzen kann. 
 
Von zentraler Bedeutung ist – und bleibt? – der Holzbau.
Sandra Hofmeister: Auf jeden Fall – der Holzbau ist in Vorarlberg zu Hause. Doch auch im Holzbau hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel getan. Wir können heute höhere Häuser und die verschiedensten Typologien aus Holz bauen. Vorarlbergs Holzindustrie war schon immer vorn dran – auch mit Blick auf Technologien und auf die Praktikabilität von Holzelementen. Der nächste Schritt im Holzbau, der jetzt ansteht, ist der Blick auf seine Kreislauffähigkeit und Wiederverwendbarkeit. 
Verena Konrad: Der Holzbau hat eine sehr erfreuliche Entwicklung genommen und die Zeichen stehen gut, dass es auch gut weitergehen kann. Das Bauwesen hat einen großen Hebel für die ökologische Transformation, der nicht nur, aber eben auch in der Materialwahl liegt. Zum Holz kommt aktuell ganz wesentlich der Lehm hinzu. Man darf gespannt sein, wie die Entwicklung hier weiter geht. 
 
Was hat sich denn seit dem Jahr 2000 an der Architektur in Vorarlberg verändert?
Verena Konrad: Das Bewusstsein für die Bedeutung öffentlicher Räume hat stark zugenommen. Das hat sicher mit den politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre zu tun und bildet sich in Folge auch in Entscheidungen, vor allem aber im öffentlichen Diskurs ab. Die gebaute Umwelt ist ein Spiegel dieser Entwicklungen. Zudem hat sich nach der Weltwirtschaftskrise 2008/09, die durch eine Immobilienblase ausgelöst war, die Situation paradoxerweise sogar noch verstärkt. Die Finanzialisierung des Wohnbaus ist auch in Europa zu einem prägenden Phänomen geworden. Es wurde viel gebaut, in sehr unterschiedlicher Qualität – vor allem aber standardisiert. Ein weiterer Faktor ist das Zunehmen von Regelwerken, auch das bildet sich in den Bauwerken nach 2000, vor allem aber nach 2010 deutlich ab.

Welches sind die Stärken, welches die Schwächen in diesem Zeitraum? Und was lässt sich daraus lernen?
Verena Konrad: Die Stärken liegen in Vorarlberg im öffentlichen Sektor, bei den Gemeindebauten – in Vorarlberg ist damit (leider) nicht der soziale Wohnbau gemeint, sondern vor allem Gemeindezentren und Bildungsbauten. Hier ist Vorarlberg wirklich sehr gut aufgestellt. Die große Schwäche liegt im Wohnbau, der noch kein urbanes Gesicht hat und zu wenig diversifiziert ist. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Was lässt sich denn in Bezug auf den öffentlichen Bau sagen?
Sandra Hofmeister: Öffentliche Gebäude haben oft eine Vorbildfunktion, das gilt insbesondere für Kindergärten, Gemeindezentren und Schulen aber auch für Krankenhäuser oder Kulturbauten. Für Deutschland würde ich mir so mutige Bauherren wie die Kommunen in Vorarlberg oft wünschen, denn sie sind wirklich einzigartig. Sie pochen auf Qualität, scheuen oft keine Kosten – und das Ergebnis ist, dass die öffentlichen Bauten oft Pionierbauten sind, die Schule machen und in vielerlei Hinsicht zu Leuchttürmen werden. Ein einzigartiges Phänomen, das auf das Selbstverständnis der Gemeinden zurückgeht und von deren Sachverstand für Architektur und Gemeinschaft zeugt.
 
Vorarlberg gilt seit längerem vielen als Musterland der Architektur. Trifft diese Zuschreibung denn noch zu?
Sandra Hofmeister: Musterländer sind immer für bestimmte Aspekte vorbildlich – und das gilt auch für Vorarlbergs Architektur. Denn es gibt viele Leuchtturmbauten, deren Konstruktion, Materialität und deren ökologischer Fußabdruck einzigartig sind und international überzeugen. Das gilt für Lehmbauten, Holzkonstruktionen – aber auch für den Umgang mit dem Bestand. Dann wieder gibt es in Vorarlberg allerdings auch einige Aspekte, die weniger überzeugen. Dazu zählt der Städtebau. Oft sind Gemeinden stark und zunehmend zersiedelt – die Ortsränder sind zerpflückt und wuchern. Was für mich persönlich auch nicht recht vorbildlich ist, ist die Frauenquote in der Architektur. Es könnte meiner Ansicht nach noch viel mehr Architektinnen geben – und mehr Büros, die von Frauen geführt werden. Hier hat Vorarlberg noch deutlichen Nachholbedarf.
Verena Konrad: Ich habe keine große Freude an Klischees. Und ein Musterland ist in meiner Vorstellung nichts Erstrebenswertes. Die Frage ist für mich, wie es gelingen kann, durch die gebaute Umwelt einen Beitrag zu leisten für alles, was uns im Alltag und darüber hinaus für gesellschaftliche Entwicklungen wichtig ist. In Vorarlberg gibt es dazu eine lebendige Tradition, die es weiterzuentwickeln gilt. Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Lesetipp!

Sandra Hofmeister, Verena Konrad „Architektur in Vorarlberg. Porträt einer regionalen Baukultur“, mit Texten von Eva Lingg-Grabher und Nicola Hilti, Christian Kühn, Verena Konrad, Sandra Hofmeister, Marina Hämmerle und anderen, Edition Detail, erschienen im November 2024. 

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