Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

Hommage an Kurt Kalb

März 2016

1935 als Sohn des Vorarlberger Installateurmeisters Erwin Kalb geboren, wurde Kurt Kalb eine der schillerndsten Persönlichkeiten der jüngeren österreichischen Kunstgeschichte, der als Kunsthändler und Galerist die Wiener Kunstszene, insbesonders die Aktionisten, und später auch Künstler wie Beuys und Kippenberger förderte und prägte. Kalb machte sich 1955 selbstständig. 1972 eröffnete er in Wien die legendäre Galerie Grünangergasse, aus der später die Galerie Kalb in der Bäckerstraße wurde. 1974 lernte Kurt Kalb die Kunsthistorikerin Evelyn Oswald kennen und gründete gemeinsam mit ihr das mittlerweile genauso legendäre Künstlerlokal „Oswald & Kalb“. Seit geraumer Zeit hat sich Kurt Kalb ins ländliche Oed zurückgezogen. Bei seinen raren Besuchen Wiens erweist er sich nach wie vor als scharfsinniger Beobachter der Wiener Kunstwelt und grandioser Geschichtenerzähler, der bei aller Fabulierlust ein Mann voller Geheimnisse geblieben ist. Kurt Kalb erhielt das Goldene Ehrenzeichen des Landes Wien. Das folgende Gespräch und der von Kurt Kalb geschriebene Lebenslauf seien als Hommage an eine große (Vorarlberger) Persönlichkeit verstanden.

Wir haben hier einige Fotos aus dem Archiv Konzett vorliegen, die aus der Zeit der Sechzigerjahre stammen. Hier ein ausgelassenes Badevergnügen – wo und wann war das und wer hat fotografiert?

Wir, die Dargestellten, Freunde von Konrad Bayer (Anmerkung: charismatischer Schriftsteller, der unter anderem „Der Kopf des Vitus Behring“ schrieb), hatten nach seinem Tod im Oktober 1964 die Absicht, von Robert Klemmer ein Bild malen zu lassen mit dem Titel „Robert Klemmer und die Freunde des Konrad Bayer“ – Klemmer hat sich auf all seinen Bildern auch selbst dargestellt. Unser Freund, der Fotograf Luigi Hoffenreich, hat dann eine ganze Menge Fotos gemacht – nicht nur in der Badewanne. Das Bild ist zwar nicht entstanden, aber die Fotos sind halt geblieben. (Foto 1)

Und was geschieht hier mit wem? Mann in Uniform, Frau mit Maschinengewehr! Ist das eine Performance?

Das waren Probeaufnahmen für den von Serge Kirchhofer alias Udo Proksch geplanten Film Simplicius Simplicissimus mit Erika Pluhar, Marisa Mell und mir. Der Film ist nicht über die Anfänge hinausgekommen. Es dürfte so um 1965 oder 1966 gewesen sein. Die Aufnahmen sind in der Lobau entstanden, Teile davon sind in dem Film von (Robert) Dornhelm über Udo Proksch vorgekommen. (Foto 2)

Über Udo Proksch , der viel später, in den Achtzigerjahren, auf die schiefe Bahn geriet und im Gefängnis starb, hast du mir ja schon erzählt, dass er für viele Künstler eine angesehene und wichtige und großzügige Figur gewesen sei, auch, weil er etlichen Leuten zu Jobs verholfen hat in der Brillenfabrik von Wilhelm Anger, als er selbst dort Brillendesign gemacht hat, und der, als Chef des „Café Demel“, auch den legendär berüchtigten „Club 45“ betrieb.

Auf dieser Aufnahme hier bist du als Fußballer zu sehen, auch gibt es in dieser Mannschaft offenbar noch weitere Leute aus dem Freundeskreis von Proksch – oder um welche Mannschaft handelt es sich hier?
Das war eine Vergnügnismannschaft. Wir haben ja noch in den Siebziger- und Achtzigerjahren in verschiedenen Zusammenstellungen gespielt, „Oswald & Kalb“ gegen „Kleines Café“, gegen „Demel“ und andere Mannschaften. (Foto 3)

Auf dem nächsten Foto hier sieht es fast aus wie bei einer Schlägerei, was war hier los?

Das war das Happening Zock 1967 im Restaurant „Grünes Tor“ in der Lerchenfelder Straße. Teilnehmer waren Christian Ludwig Attersee, Otto Kobalek, Michel Würthle, Otto Muehl, Oswald Wiener, Dominik Steiger, Reinhard Priessnitz, Wolfgang Bauer und andere. Das Fest wurde dann vom Überfallkommando aufgelöst, einige Teilnehmer verhaftet. Das kann man alles in der Literatur genau nachlesen. Wahrscheinlich steht aber nirgends, dass ein Polizeihund einem unbeteiligten Gast, der ihn streicheln wollte, in der Schank einen Finger abbiss. Auf dem Foto ist ganz links Hanni Rühm mit Sonnenbrille zu sehen, rechts hinten mit Brille Rudi Goessl, neben ihm Gerhard Rühm, der sich mit mir boxt; vor ihm im Stuhl sitzend VALIE EXPORT, rechts hinten Attersee mit Backenbart; neben ihm Monika Pöschl und vor ihr mit gespreizten Fingern Mechthild Rausch, die damalige Freundin von Gerhard Rühm. (Foto 4)

Zu diesem Foto gibt es schon eine Erklärung von dir: Oswald Wiener tritt auf mit der Gitarre, und ihr alle singt ein Lied von Freddy Quinn zur Begrüßung von Christian Ludwig Attersee, der gerade aus Berlin gekommen war, also auch 1967. Wo war das?

Das war in der Galerie im Griechenbeisl anlässlich einer Attersee-Ausstellung, da sind wir mit dem Freddy-Quinn-Lied „Wir!“ („Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden?“) aufgetreten – ein lächerliches, gegen die Jugend gerichtetes Lied. Wir haben das natürlich ironisch gemeint. Am nächsten Tag ist dann allerdings in der Zeitung gestanden: „Endlich zeigen uns ordentliche, brave, sauber gekleidete junge Menschen, dass es auch eine andere Jugend gibt.“ (Foto 5)

Hier haben wir zwei Musikszenen, einmal Gerhard Rühm am Klavier und einmal dich als „Dirigenten“ zweier Musiker beim Heurigen, oder ist das in einem Wirtshaus? Zum Thema Wirtshäuser, Lokale und so möchte ich dich noch fragen: Wohin seid ihr damals am liebsten gegangen? Zum Essen zum Beispiel?

Neben dem Hawelka sind wir damals sehr oft in der Schönlaterngasse gewesen: Ecke Sonnenfelsgasse war das Künstlerlokal „Steffi“, daneben das „Café Sport“. Das „Café Sport“ und die „Steffi“ haben ein gemeinsames Klo im Hof gehabt, und daneben war das „Abbazia“, wo auch Künstler gerne gesehen waren. Ebenso beliebt war das „Bukarest“ in der Bräunerstraße. Die „Jugo-Lokale“ waren überhaupt viel freundlicher und großzügiger als die meisten Wiener Gaststätten. Dazu gehörte auch das alte „Beograd“ in der Singerstraße. Dann musste das „Beograd“ einer Billa-Filiale weichen, danach hat das neue „Beograd“ in der Schikanedergasse/Ecke Mühlgasse Quartier bezogen. Das war ein altes, seit dem 18. Jahrhundert unter dem Namen „Blumenstöckl“ bekanntes Künstlerlokal – Schikaneder, Mozart, Beethoven und andere Künstler hatten dort verkehrt; in den 1960er-Jahren musste es schließen und hat eine sehr kurze Zeit als Lokal „Bali“ – Mitbesitzer war Toni Sailer – existiert. Mit dem neuen „Beograd“ waren die alten Verhältnisse wiederhergestellt und es wurde von uns sehr frequentiert; seine große Zeit war aber erst in den Siebzigerjahren. (Foto 6)

Du hast ja schon sehr früh im Kunsthandel gearbeitet, was dir – gar nicht so nebenbei – auch gestattet hat, manchen Künstlern immer wieder mal die Zeche zu zahlen, was sie dir übrigens noch heute hoch anrechnen! Und du hast mir erzählt, dass du über diese Tätigkeiten schon ab den frühen Sechzigerjahren die meisten Künstler deiner „Clique“, wie du sie nennst, kennengelernt hast, am Anfang sehr häufig über Konrad Bayer. Und dann hätten eines Tages einige Künstler der Galerie nächst St. Stephan wie Pichler und Rainer den Wunsch nach einer neuen Galerie geäußert, weil sich dort allmählich vieles im Kreis gedreht hat. Und da hättest du ein freies Lokal in der Grünangergasse gemietet und dort eine Art Produzentengalerie aufgemacht, und für die erste Ausstellung hätten Attersee, Pichler, Gironcoli und Rainer gemeinsam große Farbzeichnungen gemacht. Auch hättest du mehr Künstlerinnen gezeigt, als das die St. Stephan gemacht habe, zum Beispiel Maria Lassnig, Martha Jungwirth und VALIE EXPORT. Also das war ja wohl der Beginn deiner eigenen Galerietätigkeit, so um 1970 herum, oder?

Die Galerien, die ich führte, waren in den Jahren von 1972 bis Ende 1975 die Galerie Grünangergasse, Anfang bis Ende 1976 die Galerie in der Prinz-Eugen-Straße und Anfang 1977 bis 2000 die Galerie Kalb in der Bäckerstraße. Das hat also mit den Sechzigerjahren nichts zu tun. Aus dieser Zeit kann ich mich außer an die Galerie nächst St. Stephan noch an die Galerie im Griechenbeisl erinnern, und kurze Zeit gab es noch die Galerie Junge Generation und die Galerie Fuchs.

Spiegeln diese Galerien bis zu einem gewissen Grad auch bestimmte Gruppierungen von Künstlern wider? Gab es gegen Ende der Sechzigerjahre Abgrenzungen jener Gruppe, mit der du dann deine Galerie aufgebaut hast, gegenüber anderen Gruppen, und wenn ja, wie wichtig waren Abgrenzungen in dieser Zeit?

Es gab die Phantastischen Realisten, die Abstrakten und andere Künstler. Rainer, Gironcoli, Pichler, die mit der Galerie nächst St. Stephan in Verbindung waren, haben mit Attersee, Brus, Nitsch und mir beschlossen, eine neue Galerie in der Grünangergasse zu machen.

Wie würdest du die Stimmung in den Sechzigerjahren zurückblickend beschreiben? Als eher eine heitere Zeit mit vielen Visionen, oder als eine problematische, erdrückende Periode – es gab ja auch viel Ignoranz und Feindschaft der jungen Kunst gegenüber, politisch und auch in der Kunstkritik …?

Also es war teils heiter, aber auch bedrückend. Zusätzlich zu sagen ist: Es hat in Österreich in den Sechzigerjahren eine Emigration von Künstlern und Literaten gegeben – Maria Lassnig, Hundertwasser, H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Helmut Eisendle, Raimund Abraham, Nitsch, Brus, Oswald Wiener und viele andere. Sie hatten ja dann im Ausland auch Erfolg. Das hat auch in Österreich Wirkung gehabt und die Situation verändert.

Vielen Dank für das Gespräch!

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