Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Und kannst nicht anders, als deine Seele zu entblößen“

April 2025

Das Flatzmuseum hat mit der faszinierenden Werkschau der Fotografin Inge Morath „Ich traue meinen Augen” seine Bestimmung als überregional wahrgenommenes Zentrum der Fotografie gefunden. Gerald A. Matt präsentiert die Ausstellung, die noch bis Juni 2025 zu sehen ist.

Im Dornbirner Flatzmuseum, dem Zentrum für Fotografie, ist bis zum Juni 2025 eine faszinierende Werkschau der Fotografin Inge Morath unter dem Titel „Ich traue meinen Augen” zu sehen. Zu verdanken ist die hochkarätige Ausstellung den hervorragenden Beziehungen des Museums und seiner Kooperation mit dem Fotohof Salzburg, dessen Mitgründer  Kurt Kaindl und Brigitte Blüml – exzellente Kenner und langjährige Freunde der 2002 verstorbenen Künstlerin – sämtliche Arbeiten zur Verfügung stellten.
Den Auftakt der Ausstellung bilden Selbstportaits der Fotografin. Von einer Aufnahme aus den 1950er Jahren, auf der die junge, sich selbstbewusst ins Bild setzende Inge Morath vor einem Spiegel mit ihrer Kamera posierte bis hin zu einer der letzten, vor ihrem Tode gemachten Aufnahmen, die sie voller Neugier und Lebensfreude beim Karneval in der von ihr so geliebten Grenzlandschaft zwischen der Steiermark und Slowenien zeigt. 
Es folgen wunderbare Portraits großer Persönlichkeiten, die ihren Lebensweg kreuzten, darunter Künstler, Literaten, Maler, Stars wie Jean Cocteau, Alberto Giacometti, Louise Bourgeois, Friedrich Dürrenmatt oder Henry Moore. An ihren Portraits besticht ihr warmer, respektvoller Blick und die dadurch entstehende natürliche und sympathische Anmutung der Fotografierten. So zeigen ihre sensiblen Portraits nicht nur Gesichter, sondern machen die Charaktere von Menschen erlebbar. Zu sehen ist in der Ausstellung das eindrucksvolle Portrait von Saul Steinberg. Beeindruckend auch das liebevolle Portrait von Audrey Hepburn oder ihr Bild, das die ungeheure Vitalität eines Picasso einfängt.
Besonderes Augenmerk legt die Ausstellung auch auf die meisterhaften frühen Farbarbeiten von Orten wie London und New York, die eng mit ihrem Lebensweg verbunden waren. Gezeigt werden auch einige Ikonen ihres Werkes, bis hin zu Backstage-Aufnahmen von Marylin Monroe bei den Dreharbeiten von „Misfits“.
Nachdem sie den Regisseur John Huston kennengelernt hatte, arbeitete Morath als Standbildfotografin an zahlreichen seiner Filmsets mit. Während der Dreharbeiten zu Marilyn Monroes letztem Film „Misfits“, 1961, lernte die Fotografin den mit der Schauspielerin verheirateten Dramatiker Arthur Miller, der das Drehbuch für den Film geschrieben hatte, kennen. 1962 heirateten Morath und Miller, im selben Jahr wurde die gemeinsame Tochter, Rebecca Miller, geboren. Als ich Mitte der 1990er Jahre die beiden in ihrem Haus am Land in Massachusetts besuchte, erzählte sie mir schmunzelnd, dass sie bei dieser Fotoarbeit ihre Blicke öfter auf Monroes Mann als auf Marylin selbst gerichtet habe. So herausragend ihre Bilder sind, so spannend und ereignisreich ist auch ihr Leben, es ist das imponierende Leben einer ungemein starken, selbstbewussten, lebensfrohen Frau, die ihren erfolgreichen Weg in einem damals von Männern beherrschten Metier fand.
Inge Moraths Kindheit war gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg und dem Bombenkrieg um Berlin, wo sie aufgrund der Berufstätigkeit ihres Vaters ihre Kindheit verbrachte. Nach einem schweren Bombardement auf Berlin schloss sich die 1923 in Graz geborene Morath einem Flüchtlingszug nach Österreich an. Nach dem Krieg arbeitete sie als junge Journalistin in Salzburg für den „United States Information Service“ und schrieb für den neugegründeten Radiosender „Rot-Weiß-Rot“ literarische Texte und Hörspiele. Dabei bewegte sie sich in der Wiener Kultur- und Intellektuellenszene und schloss Freundschaften unter anderem mit Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger. Für Heute, eine einflussreiche Illustrierte der US-Militärregierung, arbeitete Inge Morath in Wien. Dort lernte sie auch den Fotografen Ernst Haas kennen. Als dieser von Robert Capa als Mitglied der Agentur Magnum 1949 nach Paris eingeladen wurde, nutzte Morath die Chance, und folgte ihm. Anfangs konnte sie Texte für die Fotoagentur Magnum erstellen. In ihrem Buch „Das Leben einer Fotografin” (1999) erzählt sie: „Wir stiegen mit viel Proviant und wenig Geld versehen in einen Zug von Wien nach Paris und blieben in Paris.“ Bald sollten ihre Fotografien in Life, Paris-Match, Holiday und zahlreichen anderen Magazinen erscheinen. Sie war 1955 die erste Frau, die in die Fotoelite von Magnum, der berühmten Pariser Foto Agentur aufgenommen wurde.
Moraths Fotografien sind Bilder eines Lebens, das von Mut, Neugier, Leidenschaft einer Frau erzählt, die von sich selbst sagte: „In meinem Herzen bleibe ich gerne Amateur, in dem Sinne, dass ich in das verliebt bin, was ich tue, und immer wieder erstaunt bin über die endlosen Möglichkeiten, die Kamera als Aufnahmewerkzeug zu sehen und zu verwenden.”
Für Morath war Fotografie „im Wesentlichen eine persönliche Angelegenheit – eine Suche nach innerer Wahrheit.” Sie bildete nicht nur Außenwelten, Stadtleben, Straßenszenen und Interieurs ab, sie verewigte vielmehr in ihren Arbeiten Gefühle, Atmosphären, den Zeitgeist ihrer Epoche. Mit den Farbmotiven entführt sie uns auf eine Zeitreise; es sind Bilder, die uns Geschichten erzählen, Geschichten, die uns zum Weiterträumen einladen.
Im Titel der Ausstellung, einem Zitat von Inge Morath „Ich traue meinen Augen” offenbart sich ihre künstlerische Haltung basierend auf Vertrauen, Zutrauen und Selbstvertrauen in Menschen, die Welt und auch in sich selbst. Nicht die Kamera wird von ihr angesprochen, nein, sie betont die Bedeutung des Blickes, des Augenblickes, ja der Augen als Membran zwischen Seele und Welt. Inge Morath fotografierte, wie Arthur Miller sagte „das, was sie sieht, ein Auge auf das Motiv gerichtet, eines auf die eigene Seele.“ Inge Morath sagte: „Fotografie ist ein seltsames Phänomen. Du vertraust deinem Auge und kannst nicht anders, als deine Seele zu entblößen.“

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