
„Worte erreichen uns unmittelbar“
In Weingarten, 50 Kilometer von Bregenz entfernt, nimmt ein von Künstler Marbod Fritsch entworfenes Denkmal Gestalt an; ein Denkmal, das an die einstigen Bauernkriege erinnern soll. Warum ein 500 Jahre altes Textfragment auch heute noch von Belang ist, das erklärt der Künstler im Interview. Fritsch sagt: „Erinnerung ist kein abgeschlossener Zustand.“
Herr Fritsch, Sie haben 2022 einen Wettbewerb zur Gestaltung eines neuen Denkmals in der Stadt Weingarten gewonnen, mit dem die Schwaben an das Ende der Bauernkriege 1525 erinnern wollen. Was entsteht auf dem Münsterplatz derzeit?
Der Platz wird derzeit umgestaltet – man könnte fast sagen, es bleibt kein Stein auf dem anderen (lacht). Konkret wird ein Textband in das bestehende Pflaster eingelassen, gefertigt aus weißen Marmor- und schwarzen Basaltsteinen. Der Text verläuft als sich wiederholendes, ein Meter breites Band in einem Kreis mit sieben Metern Durchmesser. So entsteht ein Denkmal, das sich bewusst in den Raum integriert und nicht durch Monumentalität, sondern durch Sprache und Präsenz wirken soll.
Sie haben sich gegen eine Skulptur, sondern für einen Text entschieden, warum?
Ich arbeite ja schon seit vielen Jahren in meiner künstlerischen Praxis mit Texten. Worte erreichen uns unmittelbar, auch wenn sie immer die Gefahr der Mehrdeutigkeit in sich tragen. Mir war wichtig, dass das Denkmal eine direkte, sprachliche Ansprache ermöglicht, nicht über abstrakte oder figürliche Symbolik. Schließlich sind wir es, die aus dem Gezeigten etwas lernen oder uns damit auseinandersetzen sollen.
Es handelt sich dabei um ein Textfragment, das aus dem Weingartener Vertrag stammt und wie folgt lautet: „Damit Frieden, Ruhe und Einigkeit dauerhaft bewahrt werden, sollen wir...“
Genau genommen lautet der Originaltext: „sollen sie ...“. Ich habe ihn bewusst verändert, weil ich wollte, dass wir uns direkt angesprochen fühlen. Gerade in Zeiten, in denen wieder Milliarden für Rüstung bewilligt werden, sollte man innehalten und sich fragen, was jeder Einzelne zum Frieden beitragen kann – oder sollte.
Sie appellieren, „Erinnerung nicht als abgeschlossen, sondern als stets auf Erneuerung und Veränderung basierenden Prozess zu sehen“.
Erinnerung ist kein abgeschlossener Zustand, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der Geist des Friedens muss bewusst weitergetragen werden, im gesellschaftlichen Miteinander, in politischen Entscheidungen und im Alltag. Das Denkmal versteht sich nicht als abschließendes Zeichen, sondern als Ausgangspunkt. Es steht sichtbar im öffentlichen Raum und formuliert eine Aufforderung: Frieden, Ruhe und Einigkeit sind keine Selbstverständlichkeiten, sie müssen immer wieder neu verhandelt und gelebt werden. Von uns allen!
Deutsche Lokalmedien nannten das Projekt „umstritten“, da offenbar historisch unklar ist, ob der 500 Jahre alte Weingartener Vertrag wirklich Frieden gebracht oder nicht doch eher die Bauern diffamiert habe. Halten Sie sich da raus aus der historischen Diskussion?
Ja. Ich bin kein Historiker, sondern Künstler. Mein Anliegen ist eine zeitgenössische, künstlerische Auseinandersetzung. Das Jubiläum bietet dafür den Rahmen, nicht den Inhalt. Wie der Vertrag historisch zu bewerten ist, bleibt umstritten – selbst Fachleute sind sich nach 500 Jahren nicht einig. Ein moralisches oder ethisches Urteil über diese Zeit steht mir nicht zu. Ich maße mir nicht an, die damaligen Verhältnisse abschließend zu beurteilen. Mir geht es darum, aus der Geschichte Fragen für die Gegenwart zu entwickeln. Und um deutlich zu machen, wie schnell sich gewisse Muster wiederholen können. Wer das für übertrieben hält, soll sich Wolfszeit von Michael Haneke ansehen.
Interessant ist auch eines: Die 60.000 Euro, die das Projekt insgesamt kostet, sind von einem Förderverein ausnahmslos über Spenden lukriert worden, sprich ohne Steuergelder. Wäre so etwas in Vorarlberg auch denkbar?
Eher nicht. Ich habe versucht, ein Erinnerungszeichen für den Zuzug der Gastarbeiter zum 60-jährigen Jubiläum des Anwerbeabkommens zu initiieren. Da wurde mir sowohl von öffentlicher als auch von privater Seite kaum bis keine Unterstützung signalisiert. Aber um fair zu bleiben: Auch in Weingarten hätte das Projekt mit rein öffentlichen Mitteln wohl keine Mehrheit gefunden. Umso mehr freut es mich, dass engagierte Bürger und Bürgerinnen die gesamte Finanzierung aufgebracht haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Siehe auch auf die Seite 26 dieser Ausgabe.
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