
Hinter dem Vorhang
Warum sich ein Unternehmen, das auf Diversität verzichtet, selbst schadet und was das mit den Wiener Philharmonikern zu tun hat – das erklärte IHS-Direktor Holger Bonin im Rahmen einer Veranstaltung an der Fachhochschule Vorarlberg.
Dass sich ein höherer Frauenanteil in Aufsichtsräten positiv auf die Profitabilität größerer Unternehmen auswirkt, das hatte eine Studie der Österreichischen Nationalbank erst Mitte Mai nachgewiesen. Auch auf diese Studie bezog sich Holger Bonin (56), der Direktor des österreichischen Instituts für Höhere Studien – der jüngst im Rahmen eines Business Summits an der Fachhochschule Vorarlberg einen Vortrag zum Thema Diversität hielt.
Aber warum ist das so? Warum wirkt ein höherer Frauenanteil? Bonin klärte auf. Demnach nehmen Frauen ihre Kontrollfunktion ernster. Sie haben einen anderen Blickwinkel auf die Probleme, tragen zu einer differenzierteren Sicht der Dinge bei. Sie sind risikoscheuer, können Unternehmen damit auch vor Fehlentscheidungen schützen. Sie sind weniger anfällig für betrügerische Praktiken. Und es gibt noch einen Effekt, den die eingangs erwähnte Studie laut Bonin nicht zeigt, der aber in anderen Untersuchungen nachgewiesen worden sei: „Frauen an der Spitze führen dazu, dass es auch auf unteren Ebenen leichter wird, Ungleichheiten und Vorurteile abzubauen.“ Mehr Diversität im Unternehmen kann prinzipiell für eine höhere Heterogenität sorgen – und diese wiederum für mehr Kreativität, mehr Innovation, bessere Produkte, diversifiziertere Märkte.
„Wie kann das sein?“
Doch der Zeitgeist scheint ein anderer geworden zu sein, zumindest in den USA, in Donald Trumps zweiter Amtszeit. Bonins Beispiel? Unter Joe Biden hatte Volkswagen in den USA noch mit dem Slogan geworben, der Autobauer lebe Diversität und Inklusion. Dass der Konzern heute davon nichts mehr wissen will, das ließ sich vor kurzem diversen Medienberichten entnehmen. „VW passt Diversitätsziele an Trumps Politik an“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Mitte Mai. Auch andere Unternehmen, hieß es in dem Bericht, hätten ihre Strategie längst geändert. „Wir wissen, wie wichtig Diversität, Gleichstellung, Inklusion für wirtschaftlichen Erfolg sind“, sagte Bonin, „wie kann es also passieren, dass wir uns so irrational verhalten?“ Sein salopper Satz: „Vielleicht braucht man das, um autokratisch, populistisch, eben politisch erfolgreich zu sein. Aber wir schießen uns mit dieser Zeitenwende eigentlich ins eigene Knie.“
Um die Vorteile von Diversität aufzuzeigen, nannte der Deutsche interessante Beispiele. Eines davon? Die Wiener Philharmoniker. Das Orchester ist ein Verein, in dessen Statuten sehr lange geschrieben stand, dass keine Musikerinnen aufgenommen werden dürfen. Geändert hat sich das erst 1997. Doch ist Bonin zufolge der Frauenanteil bei den Philharmonikern mit nur 14 Prozent nach wie vor gering, ungewöhnlich gering, auch im Vergleich mit anderen renommierten Orchestern, beispielsweise deutscher Herkunft.
Die Qualität der Töne
Da es in einem Orchester aber nicht auf das Geschlecht, sondern „nur auf die Qualität der Töne“ ankommt und es nun wirklich viele hervorragende Musikerinnen gibt, bedeute die Entscheidung der Philharmoniker, nicht mehr Frauen aufzunehmen, im Endeffekt nur eines: Freiwillig auf großes Potenzial zu verzichten. „Sie alle kennen das Beispiel mit dem Vorhang“, sagte Bonin. Soll heißen: In der Ansicht, Geschlechterdiskriminierung bestmöglich zu vermeiden, hatten Orchester bereits vor Jahren damit begonnen, Bewerberinnen und Bewerber hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen.
Die dargebotene musikalische Qualität sollte den Ausschlag geben, nicht mehr das Geschlecht der Bewerberinnen und Bewerber. Man erforschte die Sache, das Ergebnis: „Der Prozentsatz an Musikerinnen, die eingestellt wurden, erhöhte sich massiv. Weil viele Musikerinnen schlichtweg besser waren als männliche Bewerber.“ Über einen größeren Zeitraum hinweg betrachtet, seien 55 Prozent der Zunahme rekrutierter Frauen auf diesen Vorhang-Effekt zurückzuführen, berichtete Bonin. Das wiederum zeigt laut dem Forscher: „Ein Orchester, das Frauen nicht einstellt, hat ein Qualitätsproblem.“
Über Monopolisten
Was aber führt dazu, dass man freiwillig auf die besten Leute verzichtet? Wer kann überhaupt diskriminieren? Bonin nannte drei Gruppen. Gruppe eins: Arbeitgeber mit Monopolstellung. Monopolisten oder auch Quasi-Monopolisten können in der Tat auf Diversität verzichten, „aber eben nur, weil sie keine Konkurrenz von anderen Arbeitgebern bekommen, die nicht diskriminieren.“ Die Wiener Philharmoniker, sagte der Ökonom, könnten sich ihren niedrigen Frauenanteil und den damit verbundenen Qualitätsverlust nur leisten, weil sie keine unmittelbare Konkurrenz haben: „Die spielen ihre Konzerte, ihre Abos sind bereits die nächsten sieben Jahre ausgebucht.“ Eine Botschaft lautet also: „Wenn wir weniger Diskriminierung wollen, brauchen wir mehr Wettbewerb.“
Die Kollegen
Die zweite Gruppe, die diskriminieren kann? Kollegen. Bei den Wiener Philharmonikern stimmen die Mitglieder über Neu- und Nachbesetzungen ab. Und im Orchester sitzen nun einmal überwiegend Männer. Allerdings gebe es auch das Gegenteil, sagte Bonin: „Es gibt auch eine Präferenz für Vielfalt.“ Bonin verwies da auf eine aktuelle Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), der zufolge Top-Arbeitskräfte Diversität schätzen.
Für diese Studie ließ man noch studierende Männer mit Qualifikationen für hochkarätige Jobs aus verschiedenen Arbeitsplätzen auswählen, wobei die zur Wahl gestellten Unternehmen einen verschieden hohen Frauenanteil hatten. Ergebnis: Männer wären bereit, auf 2,5 Prozent ihres Gehaltes zu verzichten, um in dem Unternehmen mit höherem Frauenanteil zu arbeiten. Frauen würden in einem solchen Fall gar auf 6 Prozent ihres Gehaltes verzichten. „Frauen schätzen es, wenn sie mit mehr Frauen zusammenarbeiten können. Die einzige Frau in einem männerdominierten Unternehmen zu sein, ist nicht sehr attraktiv.“ Die einzelne Frau in einem ansonsten nur aus Männern besetzten Vorstand bekommt deswegen mehr Gehalt, gewissermaßen zur Kompensation, auch das zeigt die Studie. Die Untersuchung zeigt laut Bonin Positives: „Wir könnten davon ausgehen, dass die Absolventen, die da kommen, Vielfalt mittlerweile höher schätzen.“
Und die dritte Ebene, die man ebenfalls nicht unterschätzen dürfe? „Das sind die Kunden.“ Auch Kunden können diskriminieren, das zeige umfassende Forschung zu diesem Gebiet. Bonin griff an dieser Stelle wieder die eingangs erwähnte FAZ-Schlagzeile auf, wonach VW seine Diversitätsziele an Trumps Politik anpasse. In dessen polarisiertem Amerika ist Diversität nicht mehr gefragt, damit offenbar kein Geschäft mehr zu machen, zumindest bei einem erheblichen Teil der Kundschaft. Der Zeitgeist ist dort ein anderer geworden.
Das Fazit
Doch was heißt das nun für uns? Für Wirtschaft und Gesellschaft? Bonins Fazit? Erstens: „Diversität setzt Unternehmen und Gesellschaften immer auch unter Spannung – die sich aber auszahlt.“ Zweitens: „Weniger Diskriminierung und mehr Integration sind keine Selbstläufer, sie müssen gegen durchaus starke Widerstände aktiv gestaltet werden.“ Und drittens: „Der populistische Angriff auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion führt nicht aus der Krise, sondern weiter hinein. Europa muss dagegenhalten und aus seinem Anderssein Kapital schlagen.“ Es ist ein gutes Fazit.
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