Der Boom der Bibliotheken
In Helsinki wird bis 2018 eine öffentliche Bibliothek der Superlative erbaut. Sie kostet 96 Millionen Euro, man rechnet mit 10.000 Besuchern pro Tag. Bereits 2012 war hier die neue Universitätsbibliothek eröffnet worden. Beide sind architektonische Prunkstücke, die symbolisieren, welchen Stellenwert Bildung in der finnischen Gesellschaft einnimmt.
Noch nie wurden so viele großartige Bibliotheken neu gebaut wie in den letzten Jahren. Selbst die Finanzkrise konnte die öffentliche Hand nicht davon abhalten, in Stuttgart, Wien, Innsbruck, Berlin, Birmingham, Aarhus, Helsinki und in vielen anderen Städten rund um den Erdball große Summen für die Modernisierung oder den Neubau von Bibliotheken auszugeben. Vielerorts entstanden stadtbildprägende Bauten in bester Lage, und das sicher nicht nur, um „Papiermuseen“ zu erhalten oder neu entstehen zu lassen. So nannte die bekannte deutsche Schriftstellerin und Journalistin Katrin Passig pauschal die Bibliotheken und sprach ihnen ihre Existenzberechtigung im digitalen Zeitalter ab. Sie argumentiert, dass die flächendeckende Grundversorgung mit Unterhaltungs- und Bildungsmaterialien längst das Internet übernommen habe.
Obwohl im wissenschaftlichen und universitären Umfeld der analoge Bereich mehr und mehr seine Funktion als Leitmedium verliert, wachsen auch dort die Bestände immer noch an. In Bibliotheken wie der Vorarlberger Landesbibliothek mit sehr unterschiedlichen Zielgruppen und dem zusätzlichen Auftrag, das kulturelle Erbe zu sichern, wird es die hybride Bibliothek – also das Nebeneinander von digitalen und analogen Medien – wohl noch lange geben. Noch werden hier in großer Zahl Bücher und gedruckte Zeitschriften angekauft, die immer mehr Platz brauchen.
Egal wie stark die Digitalisierung in einer Bibliothek fortgeschritten ist, gibt es die übereinstimmende Meinung, dass trotz – oder vielleicht gerade wegen – der zunehmend digitalen Umgebung die Menschen den realen Kontakt zueinander suchen, die Bibliothek daher auch ein Ort der Begegnung sein muss.
Der Impuls, der den Bauboom auslöste, liegt daher nicht nur in der Ausweitung der Regalflächen, sondern zunächst in einem verbesserten Raumangebot für die Besucher: Lesesäle, Arbeitsplätze, Gruppenräume, Schulungsräume, Zeitungsecken, Cafés oder wie in Birmingham ein Tischtennistisch im Innenhof. In jüngster Zeit nutzen zunehmend auch Schüler Bibliotheken als Lern- und Aufenthaltsort, da sie sowohl die nur hier zur Verfügung stehenden Informationsquellen schätzen als auch die inspirierende Atmosphäre, die zum konzentrierten Lernen anregt. Auch in der Vorarlberger Landesbibliothek wäre dieses Potenzial bei passender Infrastruktur vorhanden, ist doch die Bibliothek in der Vorbereitung auf die „vorwissenschaftliche Arbeit“ intensiv engagiert. In diesem Rahmen müssen pro Jahr etwa tausend Schülerinnen und Schüler im Rahmen der neuen Matura eine kleine wissenschaftliche Arbeit verfassen. Sie besuchen zu diesem Anlass eine verpflichtende Schulung in der Landesbibliothek, um ihre Informationskompetenz zu schulen, und kommen später erfreulicherweise auch wieder, um in der Bibliothek an relevante Informationen zu gelangen.
Wie die Erfahrung überall zeigt, hat sich das Lernverhalten junger Menschen in den letzten Jahren grundlegend geändert. Durch die Umstrukturierung des Studiums wegen des Bologna-Prozesses wechseln sich intensive Phasen des individuellen Lernens mit immer wiederkehrenden Phasen der Teamarbeit ab. Moderne Bibliotheken bieten daher komfortable Plätze für unterschiedlichste Lernsituationen an, und deren Vorhandensein beeinflusst mittlerweile sogar das Ranking ihrer Universitäten positiv.
Dass Bibliotheken dann tatsächlich gebaut werden, wird oft erst nach jahrelangem Ringen entschieden. Ob dann Autobahnen, Spitäler, Sportstätten, andere öffentliche Einrichtungen oder eben Bibliotheken den Vorzug erhalten, hängt davon ab, welchen Stellenwert der Bildung in einer Gesellschaft zugesprochen wird. Es ist aber wahrscheinlich kein Zufall, dass Finnland in allen PISA-Studien und auch im neuesten „Human Capital Report“ (Studie zum vorhandenen Humankapital, 2015) den ersten Platz belegt. Dort wird berichtet, dass Finnland „von einer gut ausgebildeten jungen Bevölkerung profitiert“.
Die Bibliotheken Helsinkis sind selbstbewusste und nicht zu übersehende Symbole für eine Geisteshaltung: Ja, wir sind stolz auf unsere Bibliotheken! Sie sind unverzichtbare Bildungseinrichtungen, für die wir bereit sind, auch finanzielle Mittel einzusetzen!
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