Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Bauer sucht Arzt – oder die Quadratur des Kreises

September 2014

Spitäler und Kassen tun sich immer schwerer ärztlichen Nachwuchs zu finden. Gleichzeitig steigt der Bedarf an medizinischer Behandlung, weil die Zahl älterer Menschen zunimmt. Vorarlberg ist noch dazu bundesweit Pensionsspitzenreiter. Kippt das Gesundheitssystem

Eigentlich gelten Hausärzte als Hoffnungsträger der Reformer im Gesundheitswesen. Sie sollen Patienten besser durch das komplizierte System leiten, wohnortnah versorgen und damit teure Spitalsambulanzen entlasten. Das Problem: in den kommenden fünf Jahren gehen in Vorarlberg fast ein Drittel aller niedergelassenen Ärzte in Pension. Und Nachwuchs ist kaum in Sicht. Aktuell hat die Gebietskrankenkasse drei offene Stellen mit Kassenvertrag, die keiner will – in Höchst, Krumbach und Mellau. Weil die Stellen in der ersten Runde nicht besetzt werden konnten, sind sie nun österreichweit ausgeschrieben. Findet sich auch da niemand wird im gesamten deutschsprachigen Raum Nachwuchs gesucht.

Dabei war noch vor einigen Jahren ein Kassenvertrag unter Ärzten heiß begehrt. Immerhin ist es so etwas wie die Pragmatisierung bei Beamten: schwer bis gar nicht zu kündigen. „Vor ein paar Jahren gab es noch für jede Stelle mindestens fünf Bewerber“, sagt Harald Schlocker, Vizepräsident der Ärztekammer und zuständig für die niedergelassenen Ärzte. Doch heute sind auch Stellen in Spitälern nicht mehr so leicht zu besetzen. Die Vorarlberger Spitalsgesellschaft, die bis auf das Stadtspital Dornbirn alle Kliniken im Land führt, musste im Vorjahr die Gehälter von Jungärzten um mehr als 20 Prozent anheben, damit diese nicht in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Deutschland abwandern. Vorarlberg ist zudem Testregion für eine neue Arztausbildung, wo niedergelassene Praxen Jungärzte für ein Jahr in einer sogenannten Lehrpraxis schulen. Die Hoffnung: der Nachwuchs soll sehen, dass der Job am Land doch attraktiv ist.

Nun könnte man meinen, dass das Problem mit erhöhten Gehältern und einer verstärkten Nachwuchsausbildung wieder in den Griff zu bekommen sein wird. Tatsächlich könnte das Gegenteil der Fall sein. Denn auf das Gesundheitswesen kommt ein weit größeres Problem zu – steigender Aufwand und höhere Ausgaben. Anders formuliert: das Geld wird knapp und die Arbeit mehr.
Eine ungesunde Kombination. Seit den 80er Jahren steigt nämlich vor allem in Vorarlberg die Zahl der Pensionisten stark. „Von 1985 bis heute ist die Zahl der Pensionisten um 93 Prozent auf über 70.000 gestiegen. Im Bundesdurchschnitt war es nur ein Plus von 43 Prozent“, sagt VGKK-Obmann Manfred Brunner. Beinahe jeder vierte Vorarlberger ist bereits in Pension. Und das bedeutet höhere Ausgaben für die Krankenkasse und gleichzeitig sinkende Einnahmen. Denn die Kassenbeiträge werden über Abgaben auf Löhne und Gehälter finanziert. Gibt’s weniger Menschen, die arbeiten, gibt’s weniger Einnahmen. Umgekehrt steigt –nicht überraschend – der medizinische Bedarf bei älteren Menschen.

Als Konsequenz aus dieser Kostenschere steigt der Spardruck und den spüren die Gesundheitsbeschäftigten bereits jetzt. „Wir stehen vor enormen Herausforderungen“, sagt Brunner. Im Jahr 2012 seien die Ausgaben für Arzneimittel um neun Prozent gestiegen. Bundesweit lag das Plus bei etwas mehr als vier Prozent. Das liegt zum einen am steigenden Bedarf, mehr noch aber an den steigenden Preisen für die Medikamente. Denn die werden immer komplexer. Vor allem aber wird hier ein Hauptproblem des Gesundheitssystems zum Bumerang für die Krankenkassen: Im Jahr 1997 hatten sie sich zum Teil aus der Spitalsfinanzierung zurückgezogen. Der Grund war damals die Bettenlastigkeit der Krankenhäuser. Geld gabs pro Bett. Folglich gabs viele Betten. Und damit die nicht leer und das dazugehörende Personal gelangweilt herumstanden, wurden möglichst viele Patienten aufgenommen.

Seither gibt es nur noch fixe Geldmittel gekoppelt an die Diagnosen, die Krankenkassen deckeln ihre Beiträge auf ein Drittel ihrer Einnahmen und die Spitalsträger, wie Länder und Gemeinden, müssen den Rest aus ihren Steuertöpfen zahlen. Klingt sinnvoll, führte in ein Fiasko. Denn seit damals schaut jede Seite, dass die Patienten möglichst im anderen Bereich behandelt werden. Spitäler schicken Patienten zur OP-Vorbereitung zum niedergelassenen Arzt, obwohl sie selbst alle diagnostischen Einrichtungen haben, weil die Kosten dann bei den Kassen anfallen. Diese hoffen, dass Patienten im Spital behandelt werden, weil sie dafür nur einen Pauschalbetrag zahlen. Auf der Strecke blieben die Patienten.

Solange jede Seite genug Geld hatte, war das egal. Doch jetzt wird’s für Spitäler und Kassen knapp. Ein Grund sind teure Medikamente und eben die älter werdende Bevölkerung. Vor allem für neue Krebsmittel verlangt die Pharmaindustrie Rekordpreise. Im Einzelfall kosten Therapien pro Jahr bis zu 70.000 Euro. Und weil diese Produkte auch helfen, wird das, was alle wollen, zum Sargnagel für das System: Patienten leben länger, sind aber chronisch krank und brauchen die Medikamente laufend. Das bedeutet, sie bekommen sie nicht mehr in Spitälern, sondern in der Apotheke und damit auf Kassenkosten. „Das sind natürlich für die Menschen segensreiche Entwicklungen. Der Wunsch von Patienten, die beste Medizin zu bekommen ist absolut berechtigt und muss auch von uns erfüllt werden“, sagt Brunner. Allerdings wird eben die Erfüllung dieses Zieles immer schwieriger und gleicht der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises.

Helfen soll deshalb eine bessere Abstimmung von niedergelassenen Ärzte und Spitälern und deren Ambulanzen. Das ist der Kern der neuen Gesundheitsreform, die auch die Versorgung am Land verbessern soll. Dort sollen verschiedenste Gesundheitsberufe, wie Therapeuten, Pflegekräfte und eben Ärzte sich besser vernetzen und kooperieren. Im Zentrum sollen dann nicht mehr die eigene Arbeit oder der jeweilige Finanzierungstopf stehen, sondern der Patient mit seinen Bedürfnissen. Das wiederum wird allerdings nicht leicht werden, angesichts der Tatsache, dass sich immer weniger Nachwuchsärzte finden.

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