David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Bleibt die Inflation auch in Zukunft hoch?

November 2022

Monate vor dem Krieg in der Ukraine war die Inflation hoch und steigend. Sie lag deutlich über die Zielmarke von zwei Prozent der Europäischen Zentralbank (EZB). Damals wurde oft behauptet, die Preissteigerungen wären ein vorübergehendes Phänomen. Fast niemand sieht das heute noch so. Stattdessen tendieren viele Politiker nun dazu, die Preissteigerungen nahezu ausschließlich den Verwerfungen aufgrund des Ukrainekrieges zuzuschreiben. Das greift viel zu kurz.

Hohes Preisniveau und Inflation
Inflation beschreibt einen Anstieg des Preisniveaus und damit eine Veränderung der Kaufkraft des Geldes. Dazu wird im Regelfall das Preisniveau von vor einem Jahr mit dem heutigen verglichen. Viele Konsumgüter sind im Vergleich zum Vorjahr deutlich teurer geworden. Daher beobachten wir hohe Inflationsraten. 
Wer vor allem den Krieg als Grund für die Inflation bemüht, dürfte bald ein Erklärungsproblem bekommen. Denn wenn der Krieg seit Februar 2022 der Haupttreiber für Inflation wäre, und das Preisniveau deshalb auch in Zukunft hoch bleibt, müsste spätestens im März 2023 die Inflation stark nach unten gehen. Inflation beschreibt eben einen Anstieg des Preisniveaus. Ist das Preisniveau über ein Jahr in etwa gleich hoch, dann wäre die Inflationsrate nahe Null. Dass die Inflation im Jahr 2023 nahe Null sein solle, erscheint eher unwahrscheinlich. 

Inflationstreiber
Tatsächlich ist bekannt, dass Inflation auf drei fundamentale Gründe zurückzuführen ist: neue Angebotseinschränkungen, steigende Staatsausgaben und die Geldpolitik. Zu den Angebotseinschränkungen der jüngeren Vergangenheit gehörte die restriktive COVID-19 Politik, die weiterhin exzessiv in China betrieben wird, die Lieferkettenproblematik sowie auch die Konsequenzen der russischen Invasion und der durch sie ausgelösten Sanktionspolitik. Darüber hinaus stimulieren steigende Staatsschulden sowie wachsende Staatsausgaben die Nachfrage nach Gütern- und Dienstleistungen. Diese trifft auf ein knappes Angebot, was die Preise treibt. Lockere Geldpolitik führt über eine höhere Geldmenge zu höherer Nachfrage. Ist die vorhandene Geldmenge im Vergleich zur vorhandenen Gütermenge hoch und steigend, ist das Preisniveau hoch und wir beobachten Inflation. 
2023 und 2024 sind große Änderungen beim gesamtwirtschaftlichen Angebot und den Staatsausgaben nicht zu erwarten. So dürften die vielen Angebotseinschränkungen fortbestehen und neue negative Überraschungseffekte auf das Angebot sind genauso möglich wie positive Überraschungen – beide sind aber nicht voraussehbar. So sind beispielsweise wenige Änderungen bei der Regulierungsdichte oder der Bürokratisierung in Europa absehbar, wobei sich Entbürokratisierung positiv auf das Angebot auswirken könnte. Eine Erhöhung der Staatsausgaben fällt der Regierung oft leichter, als zu sparen und Schulden zu reduzieren. Aus ihrer Sicht gibt es immer viele wichtige staatliche Projekte, die sie für „alternativlos“ hält. Daher ist zu erwarten, dass sich die Staatsaktivität weiter ausdehnt, was auch die Inflation treibt. 

Bliebe nur die Geldpolitik
So bliebe die Geldpolitik zur Bekämpfung der Inflation. Hier hätte die EZB das Mandat, für Preisstabilität im Euroraum zu sorgen. Dazu hätte sie die Instrumente sowie die formale und personelle Unabhängigkeit. Sie könnte die Inflation spätestens für 2024 deutlich drücken, indem sie jetzt die Zinsen stärker erhöht und ihre massiven Bestände an Staatsanleihen reduziert. Damit würde sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage reduzieren, was die Inflation nach unten brächte. 
Tatsächlich hat die EZB bereits Zinsschritte eingeleitet, die gerne als besonders groß beschrieben werden. Doch bei der derzeitigen Inflation sind es eher Zinsschrittchen und selbst im Vergleich zu den USA liegen die Leitzinsen im Euroraum niedriger. Die EZB kündigt allerdings immer an, dass sie mehr machen könne. Doch ist sie dazu willig? Wenigstens drei Gründe machen ihren Kampf gegen Inflation wenig glaubwürdig. 
›› Fiskalische Dominanz: Eine direkte monetäre Staatsschuldenfinanzierung wird durch die europäischen Verträge juristisch ausgeschlossen. Aber die EZB hat am Markt Staatsanleihen für mehrere Billionen aufgekauft. Mit ihrem neuen Anti-Fragmentierungs-Instrument könnte sie ihr bisheriges Staatsanleihen-Portfolio sogar – anders als im Juni geplant – weiter ausdehnen und dabei noch toxisch umgestalten, indem sie statt vergleichsweise sicheren deutschen Anleihen, vermehrt italienische kauft. Sie scheut vor relevanten Zinserhöhungen zurück, denn diese würden die Neuverschuldung für die Eurostaaten teurer machen. Ihr Preisstabilitätsmandat wird somit teilweise von der Angst der Auswirkungen höherer Zinsen auf die fiskalischen Belange der Staaten dominiert. 
›› Finanzmarkt-Dominanz: Höhere Zinsen bedeuten auch, dass die Preise für bestehende Anleihen fallen. Neben der EZB selbst halten viele Banken und Versicherungen Anleihen. Wenn wegen höherer Zinsen der Wert dieser Anleihen fällt, drückt das auf deren Gewinne oder führt mitunter zu Verlusten. Sogar eine Krise mancher Banken mag aus Sicht der EZB nicht vollständig auszuschließen sein. Die Inflationsbekämpfung wird von der Furcht vor den Folgen einer möglichen Finanzmarktkrise dominiert.
›› Rezessions-Dominanz: Eine Erhöhung der Zinsen wirkt auf die Inflation, weil Kredite teurer werden. Die Nachfrage nach Krediten geht zurück, womit Investitionen, Konsum und Staatsausgaben gedämpft werden. Das Ziel der Zinserhöhung ist dabei, die Übernachfrage zu reduzieren, also jene Nachfrage, die über das vorhandene gesamtwirtschaftliche Angebot hinaus geht und inflationstreibend wirkt. Dabei besteht immer das Risiko, die Nachfrage „zu stark“ zu drücken, sodass es zu einer Rezession aufgrund einer „zu tiefen“ Nachfrage käme. Die Angst, eine Rezession zu verschlimmern oder auszulösen, ist ein weiterer Grund, der die Sorge der EZB um die Inflation dominiert.
Sowohl fiskalische wie Finanzmarkt- und Rezessions-Dominanz mögen das zögerliche Verhalten EZB erklären. Doch eine Erklärung ist noch keine Rechtfertigung. Wird die Politik einer Zentralbank zu stark von anderen Aspekten als der Preisstabilität dominiert, zahlen wir alle den doppelten Preis: Inflation bleibt dann in Zukunft bestehen und droht davon zu galoppieren. Ihre Bekämpfung erfordert in Zukunft immer härtere reale Einschnitte. Am Ende stünde wohl auch die Stabilität der historisch gesehen noch jungen Währungsunion in Frage.

© Fotos: istockphoto, beigestellt

Zur Person
David Stadelmann, * 1982, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth; Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF - Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts. david.stadelmann@uni-bayreuth.de 

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