Nora Weiß

Redakteurin Thema Vorarlberg

Foto: Weissengruber

DAS LANGE WARTEN

November 2021

Das lange Warten
ODER über Lieferengpässe

Egal ob Fahrrad, Auto, Waschmaschine oder Kühlschrank, die Lieferzeiten für Konsumgüter aber auch Materialien für die Produktion sind enorm. Immer mehr Branchen beklagen Lieferengpässe, jüngstes Beispiel ist die Buchwirtschaft, die seit kurzem mit einem massiven Papiermangel konfrontiert ist. Doch was sind die Gründe dafür? Vorab nur so viel: die „Ever Given“ ist nicht schuld – oder zumindest nicht allein.
„Im Zuge des ersten Lockdowns hat sich die Struktur des Konsums stark verschoben. Die Konsumentinnen und Konsumenten konnten ihr Geld nicht mehr für Urlaube, Gastronomie oder körpernahe Dienstleister ausgeben und investierten dieses in Wareneinkäufe“, erklärt Elisabeth Christen, Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung, einen der Auslöser für die anhaltenden Lieferengpässe. So habe der stärkere Fokus auf das eigene Zuhause beispielsweise zu einer Haus- und Gartenverschönerungswelle geführt, mit der Folge, dass die Nachfrage bei sogenannter „weißer“ Ware sowie Baumarktprodukten massiv anstiegen sei. Gleiches gilt laut der WIFO-Forscherin auch „für den Bereich der Informationstechnologie, in dem sich Homeoffice-bedingt der Absatz an Computern, Laptops oder Monitoren deutlich erhöht hat“. Aber auch Fahrräder, Fitnessgeräte und andere Sportartikel waren in den ersten Monaten der Pandemie sehr gefragt.
Der zweite, weitaus weniger erwartete Grund liegt laut der Ökonomin in der raschen Erholung der Sachgütererzeugung. „Die Betriebe konnten dank einfach umsetzbarer Schutzmaßnahmen sehr rasch die Produktion wieder aufnehmen und die Produktionsabläufe mehr oder weniger normal weiterlaufen lassen“, sagt Elisabeth Christen. Mit der Produktion aber stieg selbstredend die Nachfrage nach Rohstoffen und entsprechenden Importen, das Niveau war schnell wieder dasselbe wie vor der Pandemie.
Der hohen Nachfrage standen einige Faktoren gegenüber, die kombiniert zu den nun anhaltenden Lieferengpässen, vor allem aus dem asiatischen Raum, führten. Beispiele?
Durch die Corona bedingten Hygieneschutzmaßnahmen ist die personelle Kapazität an den großen Häfen deutlich verringert. Es kommt daher zu Verzögerungen bei der Be- und Entladung eines jeden Containerschiffes. „Dadurch hat sich natürlich auch der Rücktransport der Container in den asiatischen Raum deutlich verzögert und es kam zu einer gewissen Falschverteilung der Transportkapazitäten. Das heißt zu viele leere Container in Europa, zu wenige im asiatischen Raum“, konkretisiert Christen. Zudem fehlte aufgrund des fast vollständig eingestellten Flugverkehrs die Transportalternative. Vor der Pandemie waren auch freie Kapazitäten im Frachtraum der Passagiermaschinen für den Transport von Waren, vorzugsweise von elektronischen Geräte oder Computerchips genutzt worden. 
Wobei es diesbezüglich zu differenzieren gilt, wie die Ökonomin betont: „Betrachtet man im Detail, welche Waren per See und welche per Flugtransport aus dem asiatischen Raum nach Europa kommen, zeigen sich deutliche Unterschiede. Am Seeweg werden vor allem sperrige, langlebige Konsumgüter wie etwa Möbel oder Waschmaschinen transportiert. Es handelt sich meist um Gegenstände im eher günstigen Preissegment. Am Luftweg werden hingegen hochwertige Güter mit geringem Packmaß und geringem Gewicht transportiert, wie eben Handys oder elektronische Geräte.“ Beachte man nun das stark divergierende Packmaß, hätte der Flugverkehr ohnedies nur bedingt eine Alternative dargestellt, stellt Christen klar.

Der Tropfen auf den heißen Stein

Nun zurück zum medialen Hauptfaktor des Lieferengpasses – zurück zur Suezkanal-Blockade durch die „Ever Given“. Waren die Lieferketten aufgrund der verminderten personellen Kapazitäten sowie der Falschverteilung der Container ohnehin bereits verzögert, kamen noch zusätzliche Faktoren, wie etwa Naturphänomene – etwa die Dürre in Texas, die die Chipproduktion stark einschränkte – und die Blockade der wichtigsten Handelsroute hinzu. „Dies führte in Folge auch zu Stau in den europäischen Häfen, da nun alle Schiffe ziemlich zeitgleich einliefen und die Kapazitäten zur Entladung nicht gegeben waren. Dadurch spitzte sich die Lage natürlich weiter zu.“ 

Situation bleibt angespannt

Die Lage scheint sich auch in den kommenden Monaten noch nicht zu entspannen, darauf deuten Umfragen des WIFO bei den österreichischen Unternehmen hin, in denen ein Drittel der Betriebe nach wie vor Lieferengpässe als Hemmnis für das eigene Wirtschaften nennt. „Allerdings sind Prognosen derzeit sehr schwierig“, erklärt die Expertin: „Denn es kann pandemiebedingt jederzeit überall auf der Welt wieder zu Schließungen kommen. Das haben wir im Sommer bei den fünf größten chinesischen Häfen gesehen, die temporär geschlossen wurden, und wir sehen das derzeit an diversen Produktionsstätten in Vietnam.“ 
Aber auch die starken Preissteigerungen wie etwa bei Holz oder Halbleitern tragen nicht zur Entspannung der Situation bei. Gesetzesänderungen in anderen Ländern, die jahrzehntelange Produktionsabläufe einschränken, wie es derzeit bei der Magnesiumproduktion in China der Fall ist, führen zu einer zusätzlichen Verknappung der Rohstoffe für den europäischen Markt. Hinzu kommt: Wenn eine erste Erholung hinsichtlich der Lieferverzögerungen zu spüren sein wird, werden die europäischen Unternehmen beginnen, ihre Lagerbestände wieder aufzustocken. 
Bei einem ist sich die Expertin aber sicher: Sobald ein uneingeschränktes Reisen, vor allem auch in die Ferne, wieder möglich ist, wird sich die Nachfrage im Bereich der Konsumgüter wieder normalisieren – und damit auch die Lieferkette.

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