David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Der klimanützliche Gsiberger

Oktober 2019

Der Klimawandel ist ein relevantes Problem. Deshalb fordern viele sofortiges Handeln und radikale Maßnahmen. Andere jammern, neue Regulierungen wären einschränkend, und befürchten, die damit verbundenen Preiserhöhungen im Energie- oder Verkehrssektor träfen die sozial Schwachen. Wenn das so weitergeht, dürften wir bald unter Klimaaufständen und Klima-Wirtschaftsrezessionen leiden. Was also tun? Hier ein pfiffiger und bedenkenswerter Vorschlag für Vorarlberg mit einer allgemeinen Erkenntnis. 

Vorarlberg könnte kostengünstig und vollständig klimaneutral werden – am besten noch im heurigen Jahr. Dies wäre möglich, indem CO2-Kompensationszertifikate im Ausland für die gesamten Vorarlberger CO2-Emissionen gekauft werden. CO2-Kompensationen im Ausland inkludieren beispielsweise die Finanzierung von Waldschutz- oder Aufforstungsprojekten in Entwicklungsländern. Insbesondere weltweite Aufforstung wurde erst kürzlich in einer Studie in der Fachzeitschrift „Science“ als eine der besten globalen Lösungen gegen die Erderwärmung erwähnt. Für effektiven Klimaschutz ist es nämlich nicht entscheidend, wo auf der Welt weniger CO2 emittiert wird, sondern dass in der Summe weniger emittiert wird bzw. dass mehr CO2 aus der Atmosphäre in neuen Wäldern gespeichert wird.

Entgegen der landläufigen Meinung wäre Klimaneutralität für Vorarlberg nicht übermäßig teuer. CO2-Kompensationszertifikate, die von Konsumentenorganisationen wie Stiftung Warentest bewertet wurden, kosten zwischen 5 bis 25 Euro pro Tonne CO2-Reduktion. Damit könnten die Treibhausgas­emissionen von rund 2,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente für gute 10 Millionen Euro pro Jahr vollständig kompensiert werden, was weniger als 30 Euro pro Einwohner und Jahr entspräche – ein Schnäppchen. 

Ohne massive CO2-Reduktionen durch China, die USA, Indien und Russland, die zusammen über 50 Prozent der Weltemissionen ausmachen, wird der Klimawandel voran schreiten – völlig unabhängig davon, was im Ländle passiert.

Der Einwand, man solle nicht auf die günstigste CO2-Kompensation setzen, ist falsch. Die günstigsten Kompensationslösungen sind diejenigen, die besonders leicht vermeidbare CO2-Belastung abstellen, und das ist sinnvoll. Zwar könnte sich Vorarlberg angesichts der tiefen Kosten auch teurere internationale Kompensationen-Maßnahmen leisten. Aber wer aus politischen Gründen viel Geld ausgeben will, soll nicht teure Maßnahmen finanzieren, sondern größere Mengen der günstigsten – das hilft dem Klima mehr. Um Kinder und Jugendliche in Zukunft von sogenannten „Schulstreiks“ abzuhalten, könnten sie durch den Kauf von Kompensations-Maßnahmen sogar alle Neugeborenen in Vorarlberg gleich voll und ganz für ihr gesamtes Leben kompensieren. Das würde pro Kind unter 2500 Euro ausmachen, ein Bruchteil der Kosten, die die Gesellschaft für die derzeit von den Jugendlichen „bestreikte“ Ausbildung bereitstellt. 

Mit einer regionalen CO2-Abgabe von rund 5 Euro pro Tonne oder weniger als 30 Euro pro Vorarlberger und Jahr könnten die Kompensationsmaßnahmen finanziert werden. Gleichzeitig müssten dann die vielen Regulierungen aufgehoben werden, die heute die CO2-Belastung zu mindern versuchen, aber wenig bewirken. Natürlich sollte sich Vorarlberg im Klimabereich von der Bundesregierung oder aus Brüssel keine Vorschriften mehr machen lassen, denn das Ländle wäre eben bereits klimaneutral. Ein derartiges Vorgehen würde auch den Föderalismus stärken und Vorarlberg damit wettbewerbsfähiger machen. Klimaneutralität würde ein einträgliches Geschäft, von dem alle profitieren: Die Vor­arlberger, weil ihre Aufwendungen für Klimaschutz sinken und die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, die Empfänger der Kompensationszahlungen zumeist in Entwicklungsländern, womit Vorarlberg seinen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit vervielfachen würde; die Welt, weil das Klima stärker entlastet wird als mit den heutigen Maßnahmen. Zu beachten ist, dass Vorarlberg diesen Vorschlag schnell durchführen sollte. Denn bei einer großen Nachfrage nach Kompensationszertifikaten könnten sie im Preis steigen. 

Natürlich würde die Erderwärmung durch die Klimaneutralität Vorarlbergs nicht gestoppt, denn der Vorarlberger Beitrag an den weltweiten CO2-Emissionnen ist nahezu irrelevant. Ohne massive CO2-Reduktionen durch China, die USA, Indien und Russland, die zusammen über 50 Prozent der Weltemissionen ausmachen, wird der Klimawandel voran schreiten – völlig unabhängig davon, was im Ländle passiert. Doch die von anderen Österreichern teils humorvoll, teils abwertend als „Gsiberger“ bezeichneten Vorarlberger dürften sich fortan mit Stolz als „klimanützliche Gsiberger“ bezeichnen, und sie würden im Vergleich zu vielen anderen eben nicht nur reine Symbolpolitik betreiben. 
Bei der Klimapolitik ist ein Punkt zentral: Klimaschutz kann und muss international erfolgen. CO2 soll weltweit dort reduziert oder gespeichert werden, wo es am günstigsten ist. Die internationale Sicht auf Maßnahmen zur CO2-Reduktion in der Atmosphäre ist die echte Grundeinsicht dieses Essays. Den Klimawandel als weltweite Fragestellung mit weltweiter Antwort zu begreifen, ist doppelt gewinnträchtig: Finanziell sind die Belastungen kleiner, und die Erderwärmung kann besser begrenzt werden. Der „klimanützliche Gsiberger“ kann ein echtes Vorbild sein, wenn er – wie in vielen anderen Bereichen – über die regionalen und nationalen Grenzen hinaus denkt und weltweit tätig wird.

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