David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Freihandel als Grundsatz

Februar 2024

Die Stimmen der Globalisierungsgegner sind leiser geworden. Die Realität hat sie eingeholt: Mit der Zunahme des weltweiten Handels ist der Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten gestiegen, insbesondere in ärmeren Ländern. Auch die Kinderarbeit ist zurückgegangen. Es ist vielfach ein Fortschritt in eine positive Richtung erkennbar.

Die alte Leier der Globalisierungsgegner in den vergangenen Jahrzehnten lautete, Freihandel würde zu Lohndumping führen und Arbeits- sowie Umweltstandards senken. Nur große Unternehmen würden von der Globalisierung profitieren, während der Rest der Gesellschaft – sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern – den Kürzeren ziehe. Mittlerweile sind die Stimmen der Globalisierungsgegner leiser geworden. Die Realität hat sie eingeholt und diese gestaltet sich deutlich anders.

Mythos der Verarmung durch Freihandel
Mit der Zunahme des weltweiten Handels seit 1990 und dessen weiterer Ausdehnung ab dem Jahr 2000 – zusätzlich angefacht durch den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation – ist der Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten gestiegen, insbesondere in ärmeren Ländern. Die Kinderarbeit ist weltweit zurückgegangen, obwohl sie aufgrund des Bewusstseins über die Existenz von Zulieferern in derzeit noch armen Ländern und aufgrund der globalen Vernetzung für manche vielleicht präsenter erscheint als vor 30 Jahren. Zudem gibt es keine Senkung von Standards im Umweltbereich. Mit zunehmendem Wohlstand schützen Länder ihre Umwelt verstärkt, und der weltweite Handel beschleunigt den Übergang zu neuen, als „grün“ bezeichneten Technologien.

Handel hebt den Wohlstand
Unternehmen und Investoren suchen nicht gezielt die ärmsten Länder der Welt auf, um sie auszubeuten, sondern tätigen ihre Investitionen hauptsächlich in verhältnismäßig wohlhabenden Ländern und Schwellenländern. Wenn sie in besonders arme Länder investieren, sei es durch Direktinvestitionen oder durch Investitionen in ihre Zulieferer, besteht die Hauptauswirkung der Investitionen darin, die Produktivität und darauffolgend Löhne sowie Arbeitsstandards zu verbessern. Auch wenn die Löhne und Standards natürlich noch nicht das hohe Niveau der USA oder vieler EU-Länder erreichen, ist im Vergleich zu vor mehr als 30 Jahren ein Fortschritt in eine positive Richtung erkennbar.
Nahezu jede Prognose und Warnung der Globalisierungsgegner hat sich als weitestgehend unzutreffend erwiesen. Die Betrachtung globaler Daten offenbart, dass der weltweite Anteil der Beschäftigten, die in extremer Armut leben, zwischen 2000 und 2022 von rund 26,3 Prozent auf 6,4 Prozent gesunken ist. Ohne die teilweise übertriebenen Lockdowns während der Corona-Pandemie wäre die extreme Armut mit hoher Wahrscheinlichkeit noch stärker zurückgegangen.
Ein Indikator für Ausbeutung ist Kinderarbeit. Zwischen 2000 und 2020 verringerte sich der Anteil der Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren, die Arbeiten verrichteten, für die sie gemäß der gängigen Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen zu jung waren oder die ihre Gesundheit oder Sicherheit gefährden könnten, von etwa 16 Prozent auf 9,6 Prozent. Es ist bemerkenswert, dass Kinder in ländlichen Gegenden armer Länder etwa dreimal so oft arbeitstätig sind wie in städtischen Gebieten, in denen sich eher Zulieferbetriebe für westliche Unternehmen befinden. Zulieferer bieten vielleicht keine großartigen Löhne nach westlichem Verständnis, aber doch oft solche, dass Eltern ihre Kinder nicht zur Arbeit schicken müssen, sondern sie zur Schule gehen lassen können. 
Auch im Bereich der Umwelt zeigt sich, dass ein steigender Wohlstand oft mit einer Verbesserung der Umweltqualität einhergeht. Der Environmental Performance Index der Yale University und ihrer Partner versucht, die ökologische Nachhaltigkeit nahezu aller Länder weltweit zu bewerten, wobei Faktoren wie Biodiversität und Luftverschmutzung mitberücksichtigt werden. Demokratische Marktwirtschaften, die aktiv am Freihandel teilnehmen, belegen die oberen Ränge. Autokratien mit geringem Außenhandel belegen hingegen eher die unteren Ränge.

Warum erhöht Freihandel den Wohlstand?
Das Aufkommen globaler Wertschöpfungsketten hat dazu geführt, dass Unternehmen ihre Zulieferer in anderen Ländern als Bestandteil ihres eigenen Geschäftsmodells betrachten. Technologien und Prozesse, die für eine effizientere Produktion dienlich sind, finden dadurch weltweit Verbreitung. So konnten viele ärmere Länder, wie Indonesien oder Vietnam, sowie mittlerweile wohlhabende Länder wie etwa Polen, mehrere Entwicklungsstufen überspringen und rasches Wachstum realisieren. Sie sind heute ein Teil der globalen Wertschöpfungsketten.
Wenn politische Entscheidungsträger keine Handelshemmnisse schaffen, sondern die Rolle ihrer Länder als Zulieferer und Empfänger von Direktinvestitionen als Chance begreifen, erscheinen auch Infrastrukturinvestitionen sinnvoller. Sobald Straßen, Häfen und Fabriken errichtet sind, um beispielsweise Textilien oder Plastikspielzeug herzustellen und zu transportieren, können diese Infrastrukturen auch teilweise für High-Tech-Industrien genutzt werden. Viele Schwellenländer, insbesondere China, demonstrierten bereits, wie realistisch dieser Weg ist. 
All dies ermöglicht es Arbeitnehmern, mit ihrer Arbeit einen höheren Wert zu schaffen. Dann erhalten sie auch eine bessere Vergütung. Tatsächlich bieten exportorientierte Unternehmen in armen Ländern höhere Löhne als Produzenten, die nur für den heimischen Markt produzieren – noch besser zahlen nur direkt ausländisch geführte Unternehmen. Die Arbeit ist bei Zulieferern in ärmeren Ländern attraktiver und die Arbeitsstandards sind höher als in anderen Wirtschaftsbereichen. Die Weltbank empfiehlt beispielsweise zur Verbesserung der Arbeitsplatzqualität in der kambodschanischen Wirtschaft, dass dort einheimische Unternehmen dieselben Arbeitsstandards wie die Bekleidungsfabriken von Zulieferern für den internationalen Markt anwenden sollen.

Nicht alles ist rosig
Die Argumente der Globalisierungskritiker waren stets wenig konsistent und die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre demonstrieren das Potenzial des Freihandels für die weltweite Steigerung des Wohlstands.
Doch eine konsistente ökonomische Perspektive muss berücksichtigen, dass Freihandel nicht immer ausschließlich positive Auswirkungen hat. Ein Argument in diesem Kontext ist die Schutzbedürftigkeit junger Industrien. Es postuliert, dass neue Branchen möglicherweise vor internationaler Konkurrenz geschützt werden müssen, bis sie ausgereift und wettbewerbsfähig sind. Dieses Argument ist theoretisch stichhaltig. Allerdings berücksichtigt es politökonomische Anreizstrukturen unzureichend. Wird ein Wirtschaftssektor vor ausländischer Konkurrenz geschützt, ist eine positive Entwicklung nicht garantiert, da es für die Begünstigten oft rentabler ist, sich politisch für dauerhaften Schutz und immer neue Subventionen einzusetzen.
Angesichts des weltweit steigenden CO2-Ausstoßes könnte es sinnvoll sein, den Freihandel durch Klimazölle etwas zu regulieren. In Ländern, die Klimaschutz effizient durch eine CO2-Bepreisung betreiben, sind die Produktionskosten aufgrund der Bepreisung etwas höher. Um diesen Nachteil im internationalen Wettbewerb auszugleichen, wird mitunter vorgeschlagen, einen Ausgleich über Klimazölle zu schaffen. Dadurch würden CO2-intensive Produkte aus Ländern, die keinen oder nur wenig Klimaschutz betreiben, mit einem Zoll belegt, um den Wettbewerb gegenüber jenen, die das Klima schützen, „fairer“ zu gestalten. Wiederum ist dieses Argument theoretisch stichhaltig. Allerdings werden auch hier politökonomische Aspekte vernachlässigt. Klimazölle verursachen einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Zudem besteht die große Gefahr, dass sie für protektionistische Zwecke missbraucht werden. Dies ist sogar wahrscheinlich, da „Klima“ heutzutage eine Rechtfertigung für fast jede beliebige Maßnahme zu sein scheint, die den aktuellen politischen Entscheidungsträgern gerade genehm ist.
Obwohl es theoretisch nachvollziehbare Argumente gegen Globalisierung und Freihandel geben kann, stellt Freihandel angesichts der oft völlig verzerrten Anreize in der Politik eine hervorragende Grundregel dar. Vom Prinzip des Freihandels sollte daher nur in absoluten Ausnahmefällen und dann auch nur für eine im Voraus stark begrenzte Zeitperiode abgewichen werden.

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