Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Industrie und Technologie

September 2025

Vorarlbergs Unternehmen sind in ihren Nischen stark technologiegetrieben, Forschung und Entwicklung haben einen hohen Stellenwert. Technologie ist dabei Mittel zum Zweck, sprich: Mittel zum Erfolg auf den Märkten. Doch fließen die Forschungsmittel des Bundes nur spärlich und wird die Konkurrenz aus Asien, speziell aus China immer stärker. Unternehmer sagen: „Wir bräuchten ein besseres Verständnis in der breiten Bevölkerung, wie wichtig eine starke Wirtschaft und eine wettbewerbsfähige Industrie sind.“

Vorarlberg ist ein stark industrialisiertes Bundesland. 75 von 1000 Einwohnern arbeiten in der Industrie, in diesem Ranking liegt das Land im Bundesländervergleich auf dem zweiten Platz, hinter Oberösterreich. Die Arbeitsproduktivität ist hoch, beispielsweise in der Metallverarbeitung, die Vorarlbergs Industrie dominiert; dort beträgt sie pro Erwerbstätigem 104.800 Euro und damit um ein Fünftel mehr als im österreichweiten Durchschnitt. Vorarlberg erzielt – wiederum nach Oberösterreich – auch das zweithöchste Exportvolumen aller Bundesländer. Und hat die höchste Innovationsquote in Österreich. Was wiederum das österreichische Patentamt alljährlich zur Feststellung veranlasst: „Die Chance, in Österreich einen Erfinder zu treffen, ist in Vorarlberg am höchsten.“
Eine der stärksten Patentanmelder ist dabei traditionell die Blum-Gruppe. Der weltweit führende Hersteller von Möbelbeschlägen, der über acht Werke in Vorarlberg und weitere Produktionsstätten in aller Welt verfügt, beliefert mehr als 120 Märkte weltweit. Blum integriert Forschung und Entwicklung (F&E) tief in die Unternehmensstrategie. Im Gespräch mit Thema Vorarlberg sagt Geschäftsführer Martin Blum, der zusammen mit seinem Cousin Philipp den Konzern leitet: „Wir beschäftigen bei Forschung und Entwicklung eine sehr große Mannschaft. Doch F&E hat bei uns mehrere Dimensionen: Erforscht und entwickelt werden auch Innovationen im Servicebereich, die unseren Kunden die Arbeit im Alltag erleichtern. Es werden bestehende Produkte verbessert, auch kleine Verbesserungen können große Auswirkungen haben; Es werden auch neue Felder, neue Anwendungen entwickelt, beispielsweise die Integration von Elektrifizierung im Möbelbeschlag.“ 

Nischen und Weltmärkte
Markus Preißinger ist Forschungsleiter und Prokurist an der FHV – Vorarlberg University of Applied Sciences. Ihm zufolge sind viele der hiesigen Industrie-Unternehmen bereits aus der Vergangenheit heraus sehr technologiegetrieben: „Vorarlberger Unternehmer haben sehr häufig die Variante gewählt, in einer Nische sehr gut zu sein und dort das Beste aus dem herauszuholen, was mit dem jeweiligen Produkt möglich ist. Und dazu braucht man hochtechnologische Entwicklungen, gerade bei der Fertigung, um auf den Weltmärkten entsprechend reüssieren zu können.“ 
Das sagt auch Jimmy Heinzl, der Geschäftsführer der Wirtschaftsstandortgesellschaft. Vorarlbergs Industrie sei höchst spezialisiert in ihren Nischen und in diesen Bereichen teilweise auch Technologieführer, er verweist beispielsweise auf Zumtobel. Der international führende Anbieter ganzheitlicher Lichtlösungen bietet als Innovationsführer hochwertige LED-Leuchten und Lichtmanagementsysteme für professionelle Gebäudebeleuchtung an, die Elbphilharmonie in Hamburg oder das Google Hauptquartier in London sind Beispiele. 
Wie technologiegetrieben ist die Vorarlberger Industrie? Unternehmer Udo Filzmaier unterscheidet zwischen Produkten auf der einen und Fertigungstechnologien auf der anderen Seite: „Insgesamt würde ich sagen, dass die Vorarlberger Industrie technologisch sehr gut positioniert und in hohem Maße automatisiert ist. Es werden teilweise bereits Roboter eingesetzt. Humanoide Roboter und humanoide Ersatzroboter werden in der Industrie sehr wichtig, sie werden stark zum Einsatz kommen.“ 
Der Gründer und Geschäftsführer der F-Technologies AG, eines weltweit tätigen Elektronikunternehmens, sagt auch: „Viele Fertigungsbetriebe in Vorarlberg haben zum Teil selbst sehr hoch technisierte interne Abteilungen. Und halten sich damit wettbewerbsfähig.“

Kein Selbstzweck
Jimmy Heinzl nennt – stellvertretend für andere Unternehmen – auch Blum und Alpla, den weltweit führenden Hersteller innovativer Kunststoffverpackungen. Und er nennt Photeon Technologies, ein Unternehmen, das auf ASIC-Entwicklungen für weltweit führende Halbleiterhersteller spezialisiert ist. Ein internationales Ingenieurteam realisiert dort komplette Entwicklungsprojekte von der Idee und Spezifikation bis hin zur Massenproduktion. Im Fokus stehen dabei Chip-Lösungen in den Bereichen Automotive, Audio, Wireless, Communication und Consumer sowie hochkomplexe Sensorik-Anwendungen. „Die Technologiedichte in Vorarlberg ist sehr hoch“, sagt Heinzl. Doch ist Technologie ihm zufolge kein Selbstzweck: „Vorarlberger Unternehmen sind deshalb so erfolgreich, weil sie Marktchancen erkennen. Um diese Marktchancen aber auch zu nützen, brauchen sie die Technologie.“ Soll heißen? „Im Zentrum des Interesses steht Wertschöpfung. Steht Innovation. Steht der Nutzen für den Kunden. Und nicht die Technologie per se. Die ist ein Mittel zum Zweck, zum Erfolg auf den Märkten.“ 

Verlässlichkeit
Das unterstreicht auch Martin Blum: „Nur mal schnell etwas ausprobieren, nur mal schnell etwas entwickeln, das geht bei uns nicht. Das ist noch keine Leistung. Denn wir haben uns stets einer Herausforderung zu stellen.“ Und diese Herausforderung heißt: Verlässlichkeit. „Eine Innovation von uns muss verlässlich sein“, erklärt Blum, „das ist unsere große Herausforderung im Entwicklungsprozess. Wir stehen als verlässlicher Partner für unsere Kunden.“ Bringe Blum ein neues Produkt, eine neue Funktion auf den Markt, „dann hat das zu funktionieren“. Dabei steckt der Teufel oftmals im Detail: „Produktinnovationen müssen auf Fertigungsprozesse abgestimmt werden und umgekehrt Fertigungsprozesse auf Produktinnovationen. Denn die Fertigung muss möglichst effizient und kostengünstig sein, also auch mit minimalstem Materialeinsatz einhergehen. Nur ein paar Gramm Materialeinsparung, das macht sich bemerkbar bei Millionen von Stückzahlen.“ 

Nachteile kompensieren
Laut WISTO erbringt die Industrie ein Viertel der gesamten Wirtschaftsleistung Vorarlbergs. Rechnet man die vor- und nachgelagerten Wirtschaftszweige hinzu, beträgt der Anteil sogar 38 Prozent. In 286 Industriebetrieben sind übrigens knapp 30.000 Personen beschäftigt, und damit knapp ein Viertel aller unselbstständig Beschäftigen in Vorarlberg. Mit Blick auf die breit aufgestellte, diversifizierte Vorarlberger Industrie, sagt Filzmaier, dass jede einzelne Industrie ihre eigenen Herausforderungen habe. Grundsätzlich gelte: „Digitalisierung und Automatisierung sind bereits weit fortgeschritten, werden aber immer noch wichtiger. Das heißt auch, dass Handarbeitsplätze in immer höherem Maß wegfallen werden.“ Doch ohne Automatisierung könne man nicht wettbewerbsfähig sein, ganz im Gegenteil: „Es ist mittel- und langfristig unsere einzige Chance, immer noch stärker zu automatisieren, die Prozesse zu optimieren und die Technologien so anzuwenden, dass man bei möglichst geringem Ressourceneinsatz möglichst viel Produkt herausbringt.“ Das werde die Herausforderung sein: „Wir haben höhere Energiekosten, höhere Lohnkosten, unsere Industrie muss diese Nachteile anderweitig kompensieren.“

„Holt, was euch zusteht“
In Vorarlberg liegen Forschung und Entwicklung dabei fast vollständig in den Händen der Unternehmen. Von den 400 Millionen Euro, die in Vorarlberg jährlich für F&E ausgegeben werden, werden 350 Millionen von den Unternehmen getragen. Mangels vorhandener öffentlicher Strukturen. Vorarlberg ist kein Universitätsstandort. Und die Bundes-F&E-Mittel sind vorrangig an universitäre und außeruniversitäre Strukturen gebunden. „Deswegen können viel weniger Förderungen eingeworben werden; es fehlt schlicht die Grundlage für die Einwerbung vieler weiterer Bundesmittel, die forschungs- und innovationsrelevant sind“, das hatte Expertin Gerlinde Pöchhacker-Tröscher im Rahmen der Standortkonferenz der Wirtschaftskammer Vorarlberg im Februar gesagt. Und nachgelegt: „Vorarlberg lukriert lediglich 0,13 Prozent der nationalen Mittel für F&E. Diese 0,13 Prozent entsprechen drei Millionen Euro. Dabei würden Vorarlberg 120 Millionen Euro pro Jahr zustehen, gemäß dem Anteil an der gesamtösterreichischen Bevölkerung. Das ist ein riesiges Manko.“ Ihr zufolge sollten sämtliche relevanten Vorarlberger Akteure in Wien gemeinsam auftreten und mehr einfordern. Ihr Ratschlag: „Seid nicht so bescheiden, holt, was euch zusteht. Vorarlberg muss die Mittel einwerben, die der Innovationsstandort für die Zukunft ganz dringend braucht.“
Der große Schwachpunkt also sind die viel zu geringen Bundesmittel, die im Land ankommen. Das Positive laut Pöchhacker-Tröscher: „Zu den Stärken des Innovationsstandortes zählt eindeutig die Unternehmensstruktur. Die Betriebe sind sehr innovationsfreudig. Auch die Forschung ist ausgebaut worden, an der Fachhochschule, aber auch mit dem AIT, mit der Digital Factory, es hat sich da sehr viel getan.“ 

Drei Möglichkeiten 
Apropos Fachhochschule. Preißinger zufolge gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten, wie Unternehmen und FHV zusammenarbeiten können. 
Möglichkeit eins: Die Wissenschaftler an der Fachhochschule entdecken in ihrer angewandten Grundlagenforschung Phänomene, die ihrer Ansicht nach für hiesige Unternehmen interessant sind. Dann sprechen die Forscher von sich aus die Unternehmer an. Das war der Weg, den das zeitlich auf fünf Jahre befristete Josef Ressel Zentrum für intelligente thermische Energiesysteme an der Fachhochschule gemacht hatte. „Mit der Idee, energietechnische Verfahren und Prozesse stärker zu digitalisieren, Energiesystemen quasi ein Gehirn zu geben, haben wir damals Firmen kontaktiert“, berichtet Preißinger. Mehrere Unternehmen – unter ihnen Gantner Instruments – sagten zu, wurden Partner, die Forschungen begannen. Und wurden zu einem Erfolg. 
Möglichkeit zwei: Unternehmen kommen mit einem konkreten Problem, einer konkreten Fragestellung auf die FHV zu. Auch so kann gemeinsame Forschung beginnen. Die dritte Möglichkeit ist laut Preißinger die umfangreichste Kooperation: „Sowohl die illwerke vkw als auch Blum engagieren sich an der FHV mit je einer Stiftungsprofessur für Energieeffizienz beziehungsweise Digital Business Transformation.“ 

Konkurrent China
Ist Technologie, resultierend aus Forschung und Entwicklung, Basis des unternehmerischen Erfolgs von Blum? „Ja“, antwortet Geschäftsführer Martin Blum. Sein Nachsatz: „Es holt zwar auch hier die Konkurrenz aus Asien auf, aber wir haben – noch – einen Vorsprung. In der konstanten Qualität, in der Zuverlässigkeit, in der Sicherheit der Funktionen, in den engen Toleranzen, und in der Sicherheit und Qualität der Fertigungsprozesse liegen unsere Vorteile. Ein Produkt von Blum, oder generell ein europäisches Produkt, das steht immer noch für Zuverlässigkeit, für Qualität, das ist sicher noch der entscheidende Faktor.“ Aber: „Die außereuropäischen Mitbewerber schlafen nicht. Und da muss eines klar sein: Ohne eigene Fertigung kann kein produzierendes Unternehmen Technologieführer sein. Das ist eine Illusion. Hier denken und woanders fertigen lassen, dieses Motto funktioniert nicht.“ 
Ihn beschäftige eine Frage sehr, sagt Blum, und zwar eine Frage, die sich weniger auf Vorarlberg oder auf Österreich, als vielmehr auf die gesamteuropäische Perspektive beziehe: „Wo hat Europa heute noch einen technologischen Vorsprung? Ehrlich gesagt: Ich wüsste nicht, in welchem Industriebereich Europa noch Technologieführer ist. Bei KI, Robotik, autonomen Systemen? Gewiss nicht.“ China habe lange Zeit „all das produziert, was den westlichen Ländern zu unangenehm und zu dreckig war. Aber von dem Bild, dass die Chinesen nur kopieren, kann man sich verabschieden. Das ist längst überholt. Heute haben die Chinesen die Technologieführerschaft in sämtlichen zukunftsrelevanten Bereichen übernommen. Und in anderen Bereichen holen sie auf.“ 

„Die Nische wird umkämpfter“
Digitalisierung, Automation, Robotik, Künstliche Intelligenz schreiten weiter fort. Auch deshalb sagt Preißinger: „Unternehmer haben sich starke Gedanken darüber zu machen, wie ihr Geschäftsmodell in zehn, in 15 Jahren aussehen wird, ob dann nicht in anderen Ländern das Gleiche in ebenso hoher Qualität hergestellt werden kann.“ Wie ist das zu verstehen? „Wir kommen aus den 1980er Jahren, also aus einer Zeit, in der die Fachkraft an sich sehr viel Wissen hatte.“ Bestes Beispiel: Hochdruckschweißnähte. „Das war lange Zeit etwas, was nur sehr wenige Menschen konnten“, sagt der Wissenschaftler, „heute kann das jeder Roboter genauso gut, und das an jedem beliebigen Ort in der Welt.“ Soll heißen? „Dass auch die Nische definitiv umkämpfter wird.“

 
Ein besseres Verständnis
 

Geschäftsführer Martin Blum sagt: „Wir müssen uns in Europa dringend auf die Hinterfüße stellen, um nicht zu verlieren, was wir haben.“ Doch dazu braucht es auch ein besseres Verständnis in der breiten Bevölkerung, wie wichtig eine starke Wirtschaft und eine wettbewerbsfähige Industrie sind. „Vielleicht ist es ein Wohlstandsphänomen“, sagt Blum. Es dürfte den Menschen so lange Zeit so gut gegangen sein, dass offenbar eines immer stärker vergessen worden sei: Dass eine starke Wirtschaft und eine starke Industrie ursächlich für den Wohlstand einer Gesellschaft sind. „Dieses Verständnis“, sagt Blum, „muss dringend wieder geschaffen werden.“ Unser allgemeiner Wohlstand, das sagt auch Udo Filzmaier, sei sehr stark aus der Industrie und aus dem sie umgebenden Gewerbe getrieben: „Ich glaube aber nicht, dass das den Menschen so klar bewusst ist. Es gibt eine gewisse Sättigung. Doch in einer reinen Dienstleistungsgesellschaft, ohne starke Industrie, würde es für viele Menschen sehr viel schwieriger, ihren jetzigen Lebensstandard halten zu können.“ In anderen Ländern trete man industriellen Anliegen viel positiver gegenüber: „Und bei uns? Ich sag’s nur so: Jeder will beispielsweise Infrastruktur. Aber nicht vor der eigenen Haustür. Die Rahmenbedingungen in Österreich – und auch in Deutschland – sind nicht sehr industriefreundlich.“ Auch Jimmy Heinzl sorgt sich um dieses sinkende Verständnis. Wobei er sich zum Thema erst jüngst mit einem Kollegen aus Wien ausgetauscht habe; dass sich die Menschen eben stärker bewusst sein müssten, dass es eine starke Wirtschaft brauche, um Österreichs Sozialsysteme finanzieren zu können. Doch der Kollege aus Wien habe ihn nur angeschaut und gesagt: „Bei Euch in Vorarlberg ist das eh super. Schau uns an. Von Wirtschaft redet in Wien keiner.“

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