
Österreich am Ende der Bequemlichkeit
Vor Zeiten lief es noch erstaunlich gut in Italien, obwohl die Politik kaum funktionierte: Bis zur Jahrhundertwende hatte Italien in drei Jahrzehnten nicht weniger als 32 Regierungen und 17 Ministerpräsidenten verschlissen. Aber: In zwei Jahrzehnten bis Anfang der Neunzigerjahre nahm die Wirtschaftsleistung Italiens um mehr als ein Drittel rascher zu als im Durchschnitt Europas. Anfangs meinte man: „Und das trotz schwacher Regierungen.“ Allmählich aber drängte sich auf: „Die italienische Wirtschaft floriert, weil es dort praktisch keine Regierung gibt. Dort pfuscht die Politik der Wirtschaft nicht drein.“ Dann kam Silvio Berlusconi: bedenklich als Persönlichkeit, jedoch wenigstens von einem gewissen Unterhaltungswert. Es dauerte nicht lange, bis Italien zurückfiel. Bis zu Silvios dritter Amtszeit 2006 büßte die italienische Wirtschaft im Vergleich zur europäischen rund 15 Prozent ein, und noch einmal fünf Prozent, bis er 2011 endgültig aus der Regierung entfernt wurde. Seither erholt sich das Land nicht, sondern ist zum Krisengebiet geworden.
Die Folge eines inkonsequenten Kurses
Sie haben bemerkt, worauf ich hinaus will: Österreich verzeichnet seit dem Ende der Ära Schüssel – manche würden sagen: schon vorher, weil ja der Koalitionspartner zerbrach – schwache Regierungen in Bezug auf politische Leistung (erst recht natürlich in Bezug auf den Unterhaltungswert). Das soll heißen, einige Zeit mag es gut gehen, wenn ein Land ohne konsequenten Kurs dahintreibt, aber nach einiger Zeit fällt seine Volkswirtschaft zurück. Die zukunftsweisende Orientierung fehlt, Unsicherheit breitet sich aus, in der Wirtschaft, unter Investoren, Konsumenten, Sparern. Der Fairness halber ist festzuhalten: Die Jahre seit 2008 waren wahrlich nicht einfach. Kollaps des Finanzsystems, zwei europäische Rezessionen, Griechenland, steigende Arbeitslosigkeit waren echt viel. Da blieb nicht einmal Aufmerksamkeit für Alpe Adria. Anfangs konnte die österreichische Wirtschaft ihre Position noch verstärken: Sie expandierte in die Osterweiterung. Wie sich heute an einigen Bankbilanzen zeigt, teilweise ein wenig bedenkenlos. Seit 2013 wächst Österreich nun langsamer als Deutschland und seit dem Vorjahr auch langsamer als die EU. Und die Prognosen für 2015/16 deuten auf weiteres Zurückbleiben im Geleitzug.
Die deutsche Wirtschaft hingegen nutzte ab 2008, als die internationale Krise einsetzte, einen Turboschub, unter anderem, weil scharfe Lohnzurückhaltung durchgesetzt wurde. Deutschland wurde „Überschuss-Weltmeister“. Sogar mit China wird ein Exportüberschuss erzielt. 2014 war ein Rekordjahr. Die deutschen Exporte wuchsen bei matter europäischer Konjunktur um fast vier Prozent, die Importe nur um zwei Prozent. Der Außenhandelsüberschuss Deutschlands erreichte 217 Milliarden Euro und damit 7,5 Prozent des BIP.
Öffentliche Sparsamkeit, zurückhaltende Lohnpolitik, hohe Qualität und Verlässlichkeit sind ja nichts Schlechtes. Aber sie haben eine Kehrseite: die Handelspartner können insgesamt nicht auch Überschüsse erzielen. Sie werden zu Importen und Kreditaufnahme gedrängt. Die Export-Meisterschaft Deutschlands droht die Währungsunion zu sprengen. Und die deutsche Wirtschaft investiert die Überschüsse im Ausland. Von solchen Sorgen ist Österreich weit entfernt. Österreichs Wirtschaft wächst seit 2014 langsamer als die EU, sie weist derzeit eine höhere Inflationsrate auf, nicht zuletzt, weil öffentliche Tarife hinaufgeschnalzt werden. Das kostet Realeinkommen und Konsumnachfrage. Die Arbeitslosigkeit ist im Vorjahr um zehn Prozent gestiegen und erreicht Werte, wie sie seit 1953 (!) nicht mehr vorkamen. Und der Staat hat weder die Mittel noch einen Plan, dies rasch zu ändern. Nach alter österreichischer Tradition gilt eine solche Situation als „hoffnungslos, aber nicht ernst“. Aus Vorarlberger Sicht wäre hinzuzufügen: Immerhin, die Franken-Aufwertung kann man als freundliche Konjunkturhilfe der Nachbarn deuten – wenn man keinen Franken-Kredit hat.
Drei ausgewiesene Problembereiche
Die Probleme Österreichs haben längerfristige, bedenkliche Dimensionen und ungünstige künftige Rahmenbedingungen: Für Konjunkturimpulse fehlt das Geld, die Staatsschulden sollen abgebaut werden, ihre Verzinsung wird nicht nahe null bleiben, die Alterung der Bevölkerung und der Sozialbedarf beschleunigen sich, für Klimapolitik werden Sonntagsreden nicht mehr genügen, die europäische Sicherheit könnte kosten. Sich für neutral zu erklären, aber das Heer auszuhungern, ist nicht „nach dem Vorbild der Schweiz“. Zahllose Problembereiche, reduziert auf drei grundlegende: Der österreichische Staat mit seinen Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen, vor allem aber mit seinen interessenpolitischen Festungen ist, erstens, teuer und dafür zu wenig effizient. Zweitens: Unser Sozialsystem ist überdurchschnittlich ausgebaut. Angesichts der demografischen Alterung werden die bisher gewohnten Ansprüche schrittweise unfinanzierbar. Drittens: Die Qualität des Bildungssystems entspricht nicht den Anforderungen der modernen Welt. Das beeinträchtigt die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die geistige, kulturelle und humanitäre Qualität.
Vor allem ein Punkt bedrückt sehr
Zum ersten Punkt: Es wurden schon ganze Bibliotheken von Gutachten, Analysen und Rechnungshofberichten geschrieben, die in Schubladen vermodern. Am Anfang müsste klar werden, welche Ziele wir als Gesellschaft ansteuern, welche Aufgaben der Staat wahrnehmen soll – und welche nicht. Vorbilder gäbe es einige in Europa. Der zweite Punkt bedrückt sehr: Die fortschreitende Alterung verursacht Mehrkosten für Pensionen, Pflege und Gesundheit. Wir leisten uns das niedrigste Pensionsantrittsalter und eine der höchsten Ersatzquoten der Pensionen gemessen an den Aktiveinkommen. Wir steuern auf ein Generationenproblem zu. Davon will aber die Politik nichts wissen. Reformgedanken werden pauschal ins asoziale Eck gestellt: „Beunruhigt das Volk nicht!“ Nein, um Himmels willen, es ist schon. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft. Beispiel Gymnasium: Sie haben wahrlich Staub angesetzt. In acht Jahren drei Mal die Punischen Kriege durchfechten zu müssen (in der Unterstufe, in der Oberstufe und in Latein), jedoch nichts über den Kalten Krieg zu erfahren, den Namen der Frau von Alexander dem Großen lernen zu müssen, aber Ludwig Erhard, Gorbatschow oder Robert Schuman nicht zu kennen – die verehrten Gymnasialprofessoren wehren sich gegen Anregungen von „schulfremden“ Personen, riskieren aber dabei, als „weltfremd“ angesehen zu werden. Eine Direktorin antwortete mir (in Wien!), auf die künftigen Lebensbereiche der Maturanten angesprochen: „Über die Zukunft können wir nichts lehren, denn die hat noch nicht stattgefunden.“ Über die Universitäten schreibe ich heute nichts.
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