David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Schuldenbremsen werden gerne missachtet

November 2023

Politiker jeglicher Couleur geben lieber Steuergeld aus, als zu sparen. Solide Staatsfinanzen wären aber wichtig, was den meisten Politikern und insbesondere den Wählern bewusst ist. Wohl auch deshalb ist die Zustimmung zu Fiskalregeln wie der Schuldenbremse in der Bevölkerung und in Teilen der Politik hoch. Doch sparen wollen die meisten nicht heute, sondern erst in der Zukunft. Das zeigt sich auch im Budget 2024 für Österreich.

Stattliche Neuverschuldung für 2024 
Das österreichische Finanzministerium rechnet im Bundeshaushalt mit Einnahmen von rund 102,6 Milliarden Euro. Dem stehen Ausgaben von rund 123,5 Milliarden Euro gegenüber. Daraus ergibt sich ein Defizit von 20,9 Milliarden Euro. Damit liegt das Budgetdefizit für das kommende Jahr mit -2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung noch im Rahmen der Maastricht-Grenze von -3,0 Prozent. Österreich hält den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU knapp ein. Andere Länder wie Frankreich oder Italien halten sich nicht daran. Natürlich sollte sich Österreich bei den Staatsfinanzen nicht mit den „Schwachen“ messen, sondern eher mit Ländern wie Schweden oder Dänemark, die deutlich geringere Defizite oder sogar Überschüsse planen.
Defizite und daraus resultierende Schulden haben ihren Preis – das weiß jedes Kind. Hohe und weiter steigende Zinsen bedeuten, dass in den nächsten Jahren über 9 Milliarden Euro pro Jahr für Zinszahlungen aufzubringen sind. Zum Vergleich: Der Schuldendienst entspricht fast dem Dreifachen der Staatsausgaben für „Klima und Transformation“, die von manchen Vertretern der Regierung als besonders wichtig eingestuft werden. 

Schuldenbremse wird nicht eingehalten
Grundsätzlich gälte nach dem Österreichischen Stabilitätspaket 2012 eine Schuldenbremse. Demnach müsste der Staatshaushalt grundsätzlich ausgeglichen oder im Überschuss sein. Diesem Grundsatz wird entsprochen, wenn das jährliche strukturelle Defizit des Bundeshaushaltes 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreitet. Das Schlüsselwort ist hier „strukturell“. Die Schuldenbremse wird derzeit formal nicht verletzt, da das „strukturelle Defizit“ einen konjunkturbereinigten Finanzierungssaldo ohne Anrechnung einmaliger und sonstiger befristeter Maßnahmen bezeichnet. Die Regierung argumentiert, dass aufgrund der konjunkturellen Rahmenbedingungen zur Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ein höheres Defizit notwendig wäre.
Tatsächlich sieht das Wachstum Österreichs derzeit nicht besonders rosig aus und für 2023 wird mit -0,8 Prozent ein Abschwung der realen Wirtschaftsleistung prognostiziert. Auch 2024 und in den Folgejahren könnte das Wachstum niedrig ausfallen. Es ist weitgehend unklar, ob das Wirtschaftswachstum tatsächlich unter dem Wachstumspotenzial liegt, oder ob die Struktur der Wirtschaft dauerhafte Schwächen aufweist, sodass längerfristig mit niedrigen Wachstumszahlen zu rechnen ist und es sich derzeit nicht nur um eine Art konjunkturelle Schwäche handelt.
Im Vergleich zu Österreich plant die deutsche Regierung jedenfalls derzeit noch, die Schuldenbremse 2024 einzuhalten. Geht man davon aus, dass das Wachstum strukturell niedrig bleibt, müsste im Grunde auch hierzulande die Defizitgrenze von 0,35 Prozent bald eingehalten werden. Insofern scheint die österreichische Politik sehr stark auf ein höheres Wachstum in der Zukunft zu hoffen. Dass sich manche politischen Entscheidungsträger in der Regierung und Opposition gerne wachstumskritisch äußern, kann daher nur verwundern.

Die Relevanz von Schuldenbremsen
Schulden machen ist für den Staat oft einfach. Die Konsolidierung der Staatshaushalte ist schwierig. Natürlich glauben viele politische Entscheidungsträger, dass ihre politischen Projekte und die Ziele der ihnen nahestehenden Wähler- und Interessengruppen besonders wichtig sind und daher bedient werden müssen. Tatsächlich mag auch manch angestoßenes Projekt das Potenzial aufweisen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und den Wohlstand langfristig zu fördern. Schuldenbremsen – wenn sie denn eingehalten werden – bremsen viele schlechte, aber leider auch manche gute Projekte aus.
Wer glaubt, dass politische Entscheidungsträger in der Regel nur teure und schlechte Projekte realisieren, ist für eine strikte Schuldenbremse, möglichst ohne Ausnahmen und mit Verfassungsrang. Wer etwas mehr Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Politik hat, mag gegen Schuldenbremsen sein. Vertrauen allein greift aber zu kurz. Wer auf Regeln wie der Schuldenbremse besteht, hat einen realistischeren Blick auf die Menschen im politischen Prozess. Der Zeitraum, in dem Politiker Regierungsverantwortung tragen, ist oft kurz, manchmal sogar kürzer als eine reguläre Wahlperiode. Selbst wenn eine Regierung potenziell gute Projekte hat, leiden die Entscheidungsträger unter Zeitinkonsistenz: Wie ganz normale Menschen haben sie gute Vorsätze, aber es fällt ihnen schwer, sich daran zu halten.
Sie wollen solide Staatsfinanzen, ja, aber im Hier-und-Jetzt ist ihnen einfach etwas anderes wichtig. Zu groß ist die Versuchung, in der Gegenwart mehr auszugeben, weil es für ihren nächsten Wahlkampf von Vorteil sein könnte. Das Problem der Zeit­inkonsistenz wird durch die zunehmende Polarisierung der Politik noch verstärkt. Polarisierung bedeutet auch, dass es wahrscheinlicher wird, dass bald andere Politiker in der Regierung sind. Dann aber ist es für die heute Regierenden besser, jetzt Ausgaben zu tätigen. Die Lasten der heutigen Entscheidungen müssen die politischen Gegner tragen.
Um das Problem der Zeitinkonsistenz zu überwinden, braucht es Regeln. Eine strikte Schuldenbremse wäre eine solche Regel. Aber Regeln werden in der Politik nur allzu gerne missachtet, weil die Probleme, die aus ihrer Nichtbeachtung entstehen, oft andere treffen.

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